Wie Fernride den Fahrermangel beheben will

Der Fahrermangel ist eine der größten Herausforderungen in der Logistikbranche, wenn nicht sogar die größte. Immer weniger Fahrer stehen stetig wachsenden Transportvolumina gegenüber. So entstehen immer mehr Geschäftsmodelle, die dieses Problem lösen wollen. Ein Ansatz des Münchner Start-ups Fernride ist, fahrerlose Lkw aus der Ferne per Mobilfunknetz über Betriebshöfe zu steuern. „Wir wollen damit die technologische Lücke zum autonomen Fahren schließen“, erklärt Hendrik Kramer, CEO und Co-Founder bei Fernride, im Gespräch mit der DVZ.

Künstliche Intelligenz sei heute noch nicht so weit, fahrerlose Prozesse vollständig autonom umzusetzen, meint Kramer. Deshalb sollen die Algorithmen des Fernride-Systems während des Teleoperations-Betriebs vom Menschen lernen. Nach eigenen Schätzungen gebe es in Europa 100.000 Lastwagen, die das Betriebsgelände nie verlassen. Das Marktvolumen beziffert der Fernride-Chef auf 5 Milliarden Euro. Grundlage für diese Annahmen seien diverse Gespräche mit Branchenteilnehmern.

Fernsteuerung per Mobilfunknetz
Schon immer habe er den Traum gehabt, ein Technologie-Unternehmen zu erschaffen, das das Leben von Milliarden Menschen verbessert, sagt Kramer. Als 16-Jähriger gründete er zunächst eine digitale Plattform für den Verkauf deutscher Dressurpferde, merkte aber schnell, dass sich sein Ziel so nicht erreichen lässt. Während seines Wirtschaftsingenieurs-Studiums an der TU München lernte er dann Maximilian Fisser und Michael Georg kennen, die gerade in Sensortechnik beziehungsweise Teleoperation promovierten. Gemeinsam entwickelten sie fortan die Idee hinter Fernride.

Und das Ganze soll folgendermaßen funktionieren: Das Fahrzeug wird mit einer Schnittstelle ausgestattet, die es ermöglicht, Gas, Lenkung und Bremse elektronisch zu steuern. Darüber hinaus werden zwölf Kameras, diverse Sensoren sowie ein Konnektivitätsmodul angeschlossen, das die Daten in Echtzeit vom Lkw an das Teleoperationszentrum sendet. Dort sitzt der Teleoperator, der die Situation des Fahrzeugs visualisiert in einer 3-D-Welt auf seinem Bildschirm vor sich sieht und bei Problemen entsprechend eingreifen kann. Denn grundsätzlich, so der Plan, soll der Mensch nur im Notfall intervenieren. „Alle Prozesse, die automatisierbar sind, sollen auch autonom und ohne Zutun des Teleoperators ablaufen“, sagt Kramer.

DB Schenker bestätigt Machbarkeit
Die technische Machbarkeit wurde kürzlich von DB Schenker bestätigt. Der Logistiker hat gemeinsam mit Fernride und dem Hersteller von Industriefahrzeugen Kamag ein Pilotprojekt abgeschlossen.

Dabei wurde ein elektrisch betriebener Wechselbrückenhubwagen mit Fernrides Teleoperations-Technologie ausgerüstet und erfolgreich fahrerlos unter Realbedingungen auf einem Hof ferngesteuert. „Teleoperation ist ein erster Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel der sukzessiv höheren Automatisierung unserer Yards. Wir können uns sehr gut vorstellen, dass die Technologie ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie werden wird“, sagt Christoph Herchenhein, Head of Terminal Handling Europe bei DB Schenker.

Der Fokus von Fernride liege zunächst auch auf den großen Spediteuren wie Schenker & Co. „Die Nachfrage übersteigt unsere Kapazitäten aktuell bei weitem, deshalb bedienen wir zunächst die Unternehmen mit dem größten Skalierungspotenzial“, sagt der Fernride-CEO. Grundsätzlich seien Effizienzsteigerungen aber bereits bei Unternehmen mit einem Fuhrpark von 3 bis 4 Lkw möglich.

Bleibt aber noch die Frage, wie diese Technik das Problem des Fahrermangels beheben soll? Allein durch das Verlegen des Arbeitsplatzes von der Fahrerkabine ins Büro ist schließlich keinem geholfen. Der Unterschied: Nach Kramers Einschätzung könne ein Teleoperator bis zu 50 Fahrzeuge betreuen. Jedoch nie gleichzeitig. „Ein Teleoperator steuert nie mehr als ein Fahrzeug zur selben Zeit, das ist ein Grundsatz. Aufgrund der häufigen Wartezeiten für Lkw auf großen Logistikhöfen ist das aber auch nicht nötig.“ Der Beweis dafür muss in den nächsten 18 Monaten bei der nächsten Produktentwicklungsphase erbracht werden. Kramer: „Die Marktreife der Technologie haben wir bei DB Schenker nachgewiesen, jetzt müssen wir zeigen, dass die Technik auch mit mehreren Fahrzeugen problemlos funktioniert.“

Vom Fahrer zum Teleoperator
Außerdem werden jetzt Teleoperatoren benötigt. Da dieser Beruf noch völlig neu ist, gibt es aktuell maximal ein Dutzend mit dieser Berufsbezeichnung, schätzt Kramer. Es mache daher Sinn, erklärt er, die bestehenden Fähigkeiten von Fahrern effizienter als Teleoperator einzusetzen. Bei Tests innerhalb mehrerer Forschungsreihen an der TU München habe das Gründerteam festgestellt, dass sich Fahrer aus dem physischen Fahrzeug direkt an das Teleoperator-Cockpit setzen und barrierefrei losfahren können. Das Cockpit sei dem eines Fahrzeugs nachempfunden und intuitiv gestaltet. Die heute eingesetzten Fahrer seien aber nicht die einzige Zielgruppe. Bei einem Test schnitt beispielsweise eine 18-Jährige ohne Führerschein am besten ab und überzeugte durch ihre vorsichtig-behutsame Fahrweise. Kramer ist sich sicher: „Der Talentpool für den Job des Fahrers/Teleoperators wird dadurch erheblich erweitert.“

Und weil dieser Job so noch nicht existiert, müssen die Parameter einer entsprechenden Ausbildung erst mal definiert werden. Aktuell werden die Teleoperatoren in Ausbildung noch im Teleoperationszentrum bei Fernride angeleitet. Das Fahrtraining dauert ungefähr so lange wie ein Lkw-Führerschein – also ein paar Wochen. Anschließend erhalten die Teilnehmer einen Teleoperator-Führerschein. Standards gebe es bislang noch nicht. Auch hier will sich das Start-up mit einbringen: „Wir wollen diese Standards definieren und etablieren.“

Interessierten Unternehmen bietet Fernride aber ohnehin eine Komplettlösung an, die alle technischen sowie personellen Erfordernisse mit einschließt. Die Kosten seien sehr individuell und nicht pauschal definierbar, sagt Kramer. Klar sei nur, dass sich der Business Case natürlich rechnen müsse. „Wir analysieren bei jedem Kunden zunächst, was sind die Kosten und wie hoch ist das Einsparpotenzial durch Effizienzsteigerung. Dann können wir einen Preis errechnen.“ Grundsätzlich sei die Technik von Fernride mit allen verfügbaren Herstellern und Fahrzeugen kompatibel. Zum Markteintritt wollen Kramer und sein Team aus inzwischen 30 Mitarbeitern aber ausschließlich mit Partnern kooperieren, die eine „Drive-By-Wire“-Schnittstelle anbieten. Entsprechende Partnerschaftsverträge mit diesen Herstellern wurden auch bereits unterzeichnet. Konkrete Namen wollte Kramer allerdings nicht nennen.

Der ersten Finanzierungsrunde, die mit 7,1 Millionen Euro abgeschlossen wurde, sollen noch zwei bis drei weitere folgen. In fünf Jahren will Kramer der führende Anbieter für fahrerlose Transportdienstleistungen in Europa sein und Fernride langfristig an die Börse bringen. „Wir sind gerade erst am Anfang.“

Quelle:
DVZ

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