„Google Maps der Logistik“ – dieses Gerät soll das Lieferketten-Problem lösen

Die Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar die globale Logistik ist. Als erste Großreederei stattet deshalb nun Hapag-Lloyd ihre Container mit einer Technik aus, die jede Box weltweit auffindbar macht. Das kostet 100 Euro pro Gerät. Ein anderes Unternehmen zahlt das Zehnfache.

Stefan Kalmund ist auf die Minute pünktlich zum Gespräch in der Münchener Innenstadt, bestellt Kaffee und Wasser und legt einen kleinen Kasten auf den Tisch. „Dieser Apparat sitzt wie ein Mobilfunkgerät für Logistikdaten auf Containern“, sagt der 50-Jährige.

Der Chef der Technikfirma Nexxiot will mit Millionen Exemplaren davon das „Google Maps der Logistik“ aufbauen, wie er erklärt. Zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort der Welt soll damit jede einzelne Stahlbox auffindbar gemacht werden.

Kalmund kommt gerade vom Frühsport und erzählt seine Geschichte im Tempo des Dauerläufers. Auf den ersten Eindruck wirken Plan und Ankündigung so großspurig, wie es für einen US-Tech-Unternehmer typisch wäre. Doch Wirtschaftsinformatiker Kalmund, ein Münchener, leitet ein bis dato weithin unbekanntes Unternehmen.

Nexxiot ist eine Ausgründung der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und besteht derzeit aus rund 100 Ingenieuren und Datenspezialisten aus etwa 30 Nationen. Ein kleines Detail an dem Gerät von der Größe und dem Gewicht eines Milchkartons verrät, dass die Entwickler Großes vorhaben:

Der Apparat ist in Orange lackiert, der Konzernfarbe von Hapag-Lloyd. Mit genau dieser Technik will die größte deutsche Reederei bis Ende kommenden Jahres eine Million Container ausstatten. Heute wissen die Reedereien zwar, wo sich ihre Schiffe befinden. Doch wo jeder einzelne Container steht, ist ihnen nicht bekannt.

Technische Lösungen sind dringend nötig in der globalen Logistik. Spätestens die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie rasch Lieferungen ausfallen und welche Folgen dies für das Alltagsleben und die Industrie hat. Der Begriff „Lieferketten“ ist in den vergangenen zwei Jahren Teil der Tagesnachrichten geworden.

Immer noch steht etwa jeder dritte Container leer herum
Viel zu viele der laut dem Datenportal Statista weltweit rund 5300 großen Containerschiffe verbrachten mehr Zeit in Warteschlangen als auf ihren Seefahrten. Staus von mehreren Wochen für einzelne Frachter vor asiatischen oder nordamerikanischen Häfen ließen die Fahrpläne der Reedereien zum Wunschdenken werden. Und immer noch steht etwa jede dritte Box leer herum oder ist am falschen Platz.

Diese Probleme sorgen für Knappheit nicht nur bei Verbrauchsgütern wie Elektronik oder Baumarktbedarf, sondern auch bei Industrieteilen. Die Folge sind drastisch gestiegene Transportpreise bis hin zu einer Verzehnfachung je Containerfahrt. Nutznießer sind die Großreedereien, die derzeit mit Jahresgewinnen in zweistelliger Milliarden-Dollar-Höhe geradezu im Geld schwimmen.

Einen Teil der Rekordeinnahmen investieren die Unternehmen nun in Technologien wie die Sendungsverfolgung von Nexxiot. Hauptzweck ist stets ein effektiverer Einsatz der Stahlboxen. Schließlich machen erst die Daten, die der Apparat von jedem Transportbehälter sendet, daraus einen gläsernen Containertransport. Die Geräte übermitteln außer dem Standort noch Angaben zur Temperatur, zu Erschütterungen und möglichen Aufbrüchen.

Kennen die Reederei und deren Kunden den exakten Standort des einzelnen Containers, können sie beispielsweise bei Überlastung einzelner Routen die Schiffe oder auch Lkw auf einen anderen Kurs schicken. Statt eines verstopften Hafens fährt der Kapitän dann den Nachbarhafen an.

Wenig sinnvoll ist es zudem, dass Reedereien oder Speditionen bislang sämtliche Leercontainer zunächst in zentrale Depots bringen. Dies lässt sich dank der neuen Technik ändern. Künftig können gezielt einzelne Standorte von Unternehmen mit Nachschubbedarf angesteuert werden.

Hapag-Lloyd hat das System zwei Jahre lang getestet
Hapag-Lloyd hat das System zwei Jahre lang getestet. Ende dieses Monats geht es offiziell los. Das Hamburger Unternehmen will den Vorteil nutzen, als erste Reederei sämtliche Container nachverfolgen zu können und dadurch für Großkunden attraktiver werden.

Hersteller wie Siemens oder Bosch verfolgten eine Zeit lang ähnliche Pläne. Ergebnisse sind jedoch nicht bekannt. Lediglich in Israel läuft ein ähnliches Projekt. Der dortige Reedereikonzern Zim will seine Container mit der Nachverfolgungstechnik des ebenfalls israelischen Herstellers Hoopo Systems bestücken.

Neben der Geräteausstattung hat Hapag-Lloyd einen Zeitvertrag über die Datenlieferung mit Nexxiot abgeschlossen. Zwar gehören die Daten der Containernachverfolgung dem Käufer der Geräte, in dem Fall also Hapag-Lloyd. Doch die Auswertung und Aufbereitung über Algorithmen, die erst einen Nutzen für die Steuerung der Containerflotte bringen, ist Aufgabe und Geschäft von Nexxiot.

„Für uns ist die Ausstattung mit den Geräten aber immer nur ein Eintrittsticket“, sagt Nexxiot-Chef Kalmund. „Die damit verbundenen Datenverträge und die Datenauswertung sind das Geschäft der Zukunft.“

Aus dem millionenfachen Senden der Informationen rund um den Globus soll eine elektronische Landkarte entstehen, auf der jeder Container zunächst in einer Region und später bis hinunter zur Straße auffindbar gemacht wird – eben eine „Google Maps der Logistik“.

Einsehbar sind die Daten jedoch zunächst nur für das einzelne Unternehmen und seine eigene Containerflotte. Das Denken in großen Dimensionen bei Manager Kalmund könnte aus seinen zehn Arbeitsjahren bei der Unternehmensberatung Accenture stammen. Danach wechselte er in das väterliche Unternehmen. Gemeinsam sind sie Beteiligungen an notleidenden mittelständischen Betrieben eingegangen und haben diese saniert.

Experten aus der Versicherungsbranche befürworten derartige Schritte der Digitalisierung in der Schifffahrt. Bereits seit einigen Jahren wird dort zur Schadenvorsorge sogenanntes „Live Cargo Monitoring“, also die Überwachung der Fracht in Echtzeit, vor allem bei sehr hochwertiger Ladung genutzt.

„Mit der Implementierung in die Container von Hapag-Loyd bekommt die Technik eine sprunghaft größere Verbreitung“, sagt Piotr Szymczak, Sicherheitsberater Schifffahrt bei der Allianz Global Corporate Specialty. Die Geräte von Nexxiot könnten auch dabei helfen, zum Beispiel über Bord gegangene Container zu orten und zu bergen.

Hapag Lloyd kommt auf 500 Millionen Euro Investitionen
Rund 600 Komponenten inklusive einer SIM-Karte für die Datenübertragung enthält das Sende- und Ortungsgerät von Nexxiot. Solarzellen auf dem Kasten laden die Batterie auf. So soll das Gerät acht Jahre ohne jeden Stromanschluss laufen.

Aus Sorge vor einer zu großen Abhängigkeit von chinesischen Herstellern stammt nur knapp ein Drittel der Bauteile aus dem Land. Zusammengesetzt werden die Apparate in Auftragsfertigung in Europa, den USA und Asien. Die Stückzahl in der Produktion liegt nach Nexxiot-Angaben derzeit bei rund 100.000 Einheiten im Monat.

In der Version für Hapag-Lloyd kostet ein Gerät etwa 100 Euro. Es geht auch teurer: Für den weiteren Großkunden Knorr-Bremse, der mithilfe der Technik Bremsanlagen an Eisenbahnwaggons überwacht, werden 1000 Euro je Einheit verlangt.

Der Bremsenhersteller hat sich gerade mit rund 60 Millionen Euro an Nexxiot beteiligt. Bei Hapag-Lloyd dürfte die gesamte Investition mit Anschaffung, Installation und Datennutzung bei rund einer halben Milliarde Euro liegen. Der Anbau der Apparate an die Außenwand der Container wird im laufenden Betrieb des Reedereigeschäfts erfolgen.

Für den Großauftrag hat Nexxiot die Geräte sieben Jahre lang in 167 Ländern getestet. Rund 200.000 Apparate sind derzeit im Einsatz. Zum Senden der Daten hat das Unternehmen Verträge mit weltweit 700 Roaming-Partnern aus der Telekommunikation abgeschlossen. Sozusagen als schwimmende Sendemasten werden zudem Handelsschiffe oder Kreuzfahrtschiffe genutzt. Schließlich verfügen die allermeisten von ihnen über zeitgemäße Technik zum Datensenden.

Quelle:
welt.de

Schreibe einen Kommentar