Endlich wieder NORMAL

Die Reederei Hapag-Lloyd erwartet gut 75 Prozent weniger Gewinn – und spricht von „wunderbaren Ergebnissen“. Wieso?

Man hätte zwar keine Tränen erwartet, zumindest aber ein betroffenes Gesicht. Doch in der ersten Märzwoche verkündete Vorstandschef Rolf Habben Jansen durchaus heiter, dass der Jahresgewinn der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd 2023 gegenüber dem Vorjahr um voraussichtlich mehr als 75 Prozent einbrechen werde. Dann folgte ein bemerkenswerter Satz: „Das wären immer noch wunderbare Ergebnisse“, sagte der Chef der größten deutschen Reederei.

Ein Gewinn fällt in sich zusammen, und das soll wunderbar sein? Wie ist das möglich?

Um die Gelassenheit des Managers zu verstehen, muss man sich die Lage der Traditionsreederei und die der zyklischen Schifffahrtsmärkte genauer anschauen. In dieser Branche schwanken die Preise noch stärker als anderswo. Mal geht es steil hinauf, mal steil hinab – und das wechselt häufig.

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat Hapag-Lloyd von einem dieser Aufstiege profitiert. Nur dass er zuletzt so groß war wie nie zuvor in der Unternehmensgeschichte. Erst überraschte der Logistikkonzern 2021 mit einem Gewinn von 9,4 Milliarden Euro vor Zinsen und Steuern. 2022 verdoppelte Hapag-Lloyd diesen erstaunlichen Profit sogar fast auf etwa 17,5 Milliarden Euro.

Im Herbst vergangenen Jahres begann sich die Lage wieder zu ändern, das dürfte erneut auf ein Extrem hinauslaufen: Für 2023 rechnet der börsennotierte Konzern nur noch mit einem Plus von zwei bis vier Milliarden Euro. Das wäre nicht mal ein Viertel des Gewinns des Vorjahrs. Aber es wäre trotzdem noch das drittbeste Ergebnis seit Gründung des Unternehmens vor mehr als 175 Jahren. Das erklärt wohl auch die Laune von Firmenchef Habben Jansen. Eine Klage darüber wäre eine auf hohem Niveau.

Außerdem rechnet der Niederländer nicht damit, dass sich die Corona-Rekorde wiederholen werden. „Der Markt normalisiert sich wieder“, sagte er im Februar. Tatsächlich hatte die Pandemie in den Jahren 2021 und 2022 zu heftigen Verwerfungen im globalen Seehandel geführt: Lockdowns und gesperrte Häfen störten die Lieferketten. Zugleich stieg die Kauflust der Konsumenten stark an. Wer es in dieser Situation schaffte, Waren auf dem Seeweg zu transportieren, konnte dafür weit mehr verlangen als bisher. Damit stiegen die Frachtraten, also die Preise für Containertransporte. Sie kletterten im Schnitt von knapp 1900 auf 2700 Euro pro Box.

Das war bitter für Hersteller und Kunden – und berauschend für Schiffsbetreiber wie Hapag-Lloyd. Auch das zeigt eine Zahl aus der jüngsten Bilanz: Die Hamburger haben 2022 etwa 11,8 Millionen Container verschifft. Das war sogar leicht weniger Menge als 2021. Trotzdem verdoppelten sich Gewinn und Umsatz, weil die Kosten zwar anzogen – aber nicht so sehr wie die Preise. Im übertragenen Sinn war es so, als würden die Reeder statt Stahlboxen jetzt Goldbarren über die Meere schippern.

Inzwischen sind die Lieferketten nicht mehr gestört, das Chaos in den Häfen ist beseitigt. Das wiederum lässt die Transportpreise sinken und mit ihnen die Erlöse der Reeder: Seit Dezember liegen die Frachtraten im Schnitt bestenfalls bei 1000 Euro pro Container. „The party is over“, sagte Habben Jansen bei der Bilanzvorlage.

Doch im Gegensatz zu den 14.500 Mitarbeitern, die zum Alltag übergegangen sind und prüfen müssen, wo sie Kosten sparen könnten, dürften die Großaktionäre noch in Feierlaune sein. Denn die Reederei zahlt die Gewinne mehrheitlich als Dividende aus. Größter Profiteur ist einer der reichsten Deutschen: der Multimilliardär Klaus-Michael Kühne. Er und die chilenische Reederei CSAV sind mit je 30 Prozent an Hapag-Lloyd beteiligt und bekommen je 3,3 Milliarden Euro. Auch Hamburg kassiert ab: Das Land hält 13,9 Prozent der Aktien und bekommt mehr als 1,5 Milliarden Euro. Für die rot-grüne Landesregierung ist es ein unverhofft großes Geschenk: Der gesamte Haushalt beträgt 2023 nur etwa 18,3 Milliarden Euro.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Hamburg durch Hapag-Lloyd kaum Steuern einnimmt, obwohl die fünfgrößte Reederei der Welt ihren Sitz an der Binnenalster hat. Hapag-Lloyd dürfte dieses Jahr weniger als ein Prozent Steuern zahlen – und das völlig legal. Der Grund ist die fast 20 Jahre alte Tonnagesteuer. Diese Sonderregel wurde eingeführt, um Reedereien in der Europäischen Union wettbewerbsfähig zu halten. Dank ihr wird nur die Größe der Schiffe pauschal besteuert und nicht der Gewinn. Bei Hapag-Lloyd richtet sich die Höhe der Steuern also nach der Kapazität der 251 Schiffe der eigenen Flotte.


Das ist in Jahren mit wenig Gewinn ein eher schlechter Deal. In Rekordjahren ist er fantastisch. Bund und Land entgingen dieses Jahr „über sechs Milliarden Euro an Steuereinnahmen“, hat die Fraktion der Linken in der Hamburger Bürgerschaft errechnet. Das sei „eine unfassbare Ungerechtigkeit, die Hamburg teuer zu stehen kommt“, monierte der Linken-Abgeordnete David Stoop. Doch selbst Firmenchef Habben Jansen hinterfragt die Tonnagesteuer. Er sei bereit, mehr zu zahlen, wenn das für alle Reedereien gleichermaßen gelte, betonte er kürzlich.

So oder so hat Hapag-Lloyd jetzt viel Geld. Mit einem Teil davon will sich die Reederei in weiteren Häfen einkaufen. Weltweit ist sie schon an Terminals in 20 Städten beteiligt, von der Westküste Südamerikas bis zur Ostküste Indiens. Auch in Wilhelmshaven gehören Hapag-Lloyd seit ein paar Monaten 30 Prozent am Terminal.

Die Ausgangslage könnte für die Reederei also kaum besser sein. Doch ihr Chef Habben Jansen muss aufpassen, den Abschwung nicht selbst zu verschärfen: Wie viele Rivalen hat er in neue Schiffe investiert und zwölf Gigafrachter bestellt, die mehr als 23.500 Container fassen. Sie zählen zu den größten Schiffen der Welt und könnten die Balance im Seehandel empfindlich stören: Denn wenn es bald mehr – und dann womöglich zu viele – Frachter gibt, könnte das die Frachtpreise und damit die Einnahmen in den Reedereien sinken lassen. Es bleibt dynamisch.

Quelle:
zeit.de

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