Europas Antwort auf Chinas „Seidenstraße“

Nach vielen Monaten diplomatischer Offensiven hinter den Kulissen, veröffentlichten die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Joseph Borrell, die Europäische Konnektivitätsstrategie „Global Gateway“. Überraschend offen wird dabei die Absicht formuliert, der chinesischen „Belt-and-Road-Initiative“ (BRI) ein Gegengewicht entgegensetzen zu wollen.

Zur Finanzierung dieses Vorhabens, wird eine Mobilisierung von 300 Milliarden Euro aus staatlichen und privaten Quellen, für den Zeitraum 2021-2027 in Aussicht gestellt.

Aufgebaut wurde dabei auf vorherige Strategien wie „Connecting Europe and Asia“ von 2018 oder dem „Strategic Outlook“-Bericht vom März 2019, in dem China erstmals als „systemischer Rivale“ bezeichnet wird.

Angesichts der Tatsache, dass das von der Generaldirektion für Internationale Partnerschaften (INTPA) entwickelte Konzept noch zwei Wochen zuvor in einer unkoordinierten Rohfassung und mit einer viel zu geringen Dotierung von 40 Milliarden Euro ausgestattet war, ist das ein gutes Ergebnis. Zudem ist Global Gateway mit einem relativ klaren Implementierungsfahrplan ausgestattet, mit dessen Umsetzung bereits im Juni 2022 plangemäß begonnen werden soll. – Die unbedingt notwendige Kompatibilität mit der von den USA und den G7-Staaten veröffentlichen „Build Back Better World“ (B3W) Initiative wird auch berücksichtigt.

„Konnektivität“ als Kern von Straßen bis Technik
Konnektivität ist ein zentraler Baustein einer geoökonomisch orientierten Wirtschaftspolitik. Damit stehen aber nicht nur Eisenbahn-Verbindungen, Straßen- und Hafeninfrastrukturen im Fokus. Es geht noch deutlicher darum, wer in Zukunft die Größenstandards von Containern, oder die Spurweiten von Bahninfrastrukturen definiert.

Nicht zuletzt geht es auch darum, wer die technischen Normen der digitalen Infrastruktur reguliert. Betrachtet man etwa den in den letzten beiden Jahren rasant erfolgten Ausbau interkontinentaler Unterwasserkabel-Verbindungen, die 95 Prozent des globalen Datenverkehrs transportieren, wird die notwendige Dringlichkeit hier rasch deutlich. – Der European Council on Foreign Relations hatte übrigens bereits 2016 mit dem Dossier „Connectivity Wars“ vor den Gefahren einer „Weaponization“ von Konnektivität gewarnt.

Ist „Belt and Road“ eine Infrastruktur-Offensive?
Hinsichtlich einer Einschätzung ob Global Gateway eine erfolgreiche Gegenstrategie zu Belt and Road ist, muss die Frage beantwortet werden, ob es sich bei der BRI überhaupt primär um ein Infrastrukturprojekt handelt. Diese Frage ist eigentlich zu verneinen. Die BRI ist das infrastrukturelle Rückgrat der „Schicksalsgemeinschaft“, also von Xi Jinpings außenpolitischem Leitkonzept.

Sie ist auch keine von langer Hand vorbereitete Strategie, sondern war eine anfangs kaum koordinierte Reaktion auf eine Rede der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton im indischen Chennai im Juli 2011.

Clinton formulierte damals eine „New Silk Road Vision“, mit der Indien und Afghanistan verbunden werden sollten, um damit eine ökonomische Stabilisierung der Region zu erreichen. Ein Artikel von ihr im Fachmagazin „Foreign Policy“ im November 2011, in dem sie den „Pivot to Asia“, also die außenpolitische Fokussierung auf Asien ankündigte, ließ schließlich sämtliche Alarmglocken in Peking läuten.

China musste darauf reagieren. Auf diese, als konfrontativ empfundene, Ausrichtung der Obama-Administration war man nicht vorbereitet. Entsprechend lückenhaft waren dann die ersten Ankündigungen von Xi über die Vorhaben zur Entwicklung eines „Silk Road Economic Belt“ und der „Maritime Silk Road“ im Herbst 2013.

Es dauerte noch eineinhalb Jahre, bis im März 2015 einige Details zum Vorhaben von der National Development and Reform Commission (NDRC), der makroökonomischen Planungsbehörde, veröffentlicht wurden. – Und dabei handelte es sich zum Großteil um Projekte, die schon Jahre zuvor beschlossen worden waren. Die Belt-andRoad-Initiative wird daher auch im gesamten 13. Fünfjahresplan (2016-2020) nicht erwähnt. Erst im 14. Fünfjahresplan (2021-2025) wird von einer „qualitativen Aufwertung“ gesprochen, eine Umschreibung für die Abkehr von Basisinfrastruktur-Investitionen.

Pekings Gelassenheit angesichts EU-Schwächen
In China begegnet man der Global- Gateway-Initiative offiziell mit Gleichgültigkeit. Die internationalen Medien CGTN und die Global Times begrüßen das Vorhaben sogar.

In den regierungsnahen Think Tanks in Peking und Schanghai ist man sich der komplexen Entscheidungsstrukturen der europäischen Institutionenlandschaft wohl bewusst. Genau auf diese Schwächen verweisen Yujun Feng, Zentralasien-Experte an der Fudan Universität, und Canrong Jin, hochrangiger Sicherheitsberater der KP im Theorieorgan der Kommunistischen Partei, „Qiushi“ (Wahrheitssuche). Auch Shen Jiru vom Institut für Weltwirtschaft an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften sind diese schwierigen Koordinationsstrukturen, aber auch die mangelhaften militärischen Fähigkeiten, um im Konfliktfall europäische Interessen zu schützen, bekannt.

Qiao Lang, Professor an der Nationalen Verteidigungsakademie, sieht in Global Gateway sogar eine Stärkung chinesischer Interessen, da Belt and Road seiner Ansicht nach nur ein „cleveres Instrument zur Eindämmung US-amerikanischer Interessen“ sei.

Strategie als Imperativ vor Finanzierung
Global Gateway ist ein wichtiger Schritt. Zweifellos. Die Umsetzung von geoökonomischen Zielen, beschränkt sich aber nicht auf die Veröffentlichung gigantomanischer Fonds, sondern macht strategisches Vorgehen zum Imperativ.

Das lässt sich am Beispiel der „Polaren Seidenstraße“, ein Teil der BRI, erkennen: China geht darin davon aus, dass die arktische Nordpassage ab dem Jahr 2035, in Folge des Klimawandels ganzjährig schiffbar sein wird. Darauf aufbauend, wurde bereits 2015 die Entwicklung von dafür geeigneten Schiffstypen in „Made in China 2025“ zur Priorität erklärt.

Die Europäische Union hat hingegen genau hierbei eklatante Mängel, die dringend behoben werden müssen. Davon abgesehen, ist es fraglich, ob Joseph Borrell in der Presseaussendung mit der Absicht zitiert werden sollte, eine „Community of Shared Interest“ rund um Global Gateway errichten zu wollen. – Diesen Begriff verwendet Xi übrigens schon seit dem Jahr 2017 zur Bewerbung seiner Belt-andRoad-Initiative.

Quelle:
Wiener Zeitung

1 Gedanke zu „Europas Antwort auf Chinas „Seidenstraße““

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