Logistik in Zeiten eines drohenden Krieges

Deutsche und russische Unternehmen diskutieren über Transportrouten wie die Neue Seidenstraße zwischen China und Europa. Die drohende Eskalation in der Ostukraine ist bei der Konferenz kein Thema.

Über die Ukraine spricht man an diesem Nachmittag nicht, obwohl im Raum Woronesch und auf der annektierten Halbinsel Krim gerade russische Truppen zusammengezogen werden. Die könnten in die Ostukraine einmarschieren, um die Separatisten in der Donbass-Region zu unterstützen und deren Territorium zu vergrößern. Das jedenfalls fürchten die Europäische Union (EU), die USA und die NATO.

Beim 8. Deutsch-Russischen Logistikforum an diesem Dienstagnachmittag aber geht es um ganz andere Themen, um die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft mit einem derzeit eher unfriedlichen Russland, um gute Geschäfte und strategische Transportwege wie etwa die Neue Seidenstraße zwischen China und Europa. An diesem geplanten Fernhandelskorridor will mit seinen eigenen Güterbahn-Transitstrecken auch Russland teilhaben.
Aus Sicht der Logistikbranche ist die „hybride“ Konferenz – in Moskau mit Gästen vor Ort, an verschiedenen deutschen Standorten in digitaler Übertragung – völlig nachvollziehbar Rund 300 Teilnehmer hatten sich angemeldet, etwa 120 sind digital dabei. Wie sichert man die Transportketten in Zeiten der Corona-Pandemie, für die Russland vor allem im transkontinentalen Bahnverkehr immer wichtiger wird? Wie entwickelt sich der Handel zwischen Deutschland und Russland vor dem Hintergrund von Pandemie und gegenseitigen Wirtschaftssanktionen zwischen der EU und Russland seit der russischen Besetzung der Krim im Jahr 2014?

Für Nichtlogistiker hingegen klingen die eher unbefangenen Fachdiskussionen in der aktuellen sicherheitspolitischen Lage zumindest irritierend. Politiker wie Steffen Bilger (CDU), Parlamentarischer Staatssektretär beim Bundesverkehrsminister, halten freundliche Grußworte, ganz wie in normalen Zeiten. Dabei ist jede Normalität im Verhältnis zwischen der EU und Russland derzeit weit entfernt.

Während Russland ein Drohszenario für einen Einmarsch in die Ukraine aufbaut und die politische Opposition im eigenen Land niederhält, sagt der Energie- und Infrastrukturminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel (SPD), in seinem Grußwort, man habe „gemeinsam mit den russischen Partnern“ auf der Ostsee einen logistischen „Bypass“ gelegt, um während der Pandemie „Engpässe“ im Gütertransport an den polnischen Grenzen zu umgehen. Im EU-Land Polen wird man das nicht gern hören.

Die deutschen und die russischen Unternehmen erörtern unter anderem die bisherigen Erfolge der Bahnverbindungen zwischen China und Europa, mit neuen Anbindungen auch zwischen dem russischen Kaliningrad (früher Königsberg) und dem Hafen Sassnitz-Mukran auf Rügen. „Ziemlich genau zeitgleich mit dem ersten Ausbruch des Coronavirus“ im chinesischen Wuhan habe man die ersten Tests mit interkontinentalen Containerzügen gestartet, deren Ladung auf der „Baltic Sea Bridge“ zwischen Kaliningrad und Sassnitz per Schiff transportiert werden, sagt Thomas Langlotz von Mukran Port. Der Zugverkehr sei in der Pandemie „deutlich weniger anfällig“ als etwa der Lufttransport, die neue Verbindung über die Ostsee laufe vielversprechend an.

Anlass der Konferenz an diesem Tag ist die Logistikmesse TransRussia in Moskau, zu der auch Hamburg regelmäßig eine Delegation entsendet. In diesem Jahr geht das wegen der Pandemie nicht, aber Hafen Hamburg Marketing zählt zu den Sponsoren des Deutsch-Russischen Logistiforums. Für den Hamburger Hafen ist Russland – gemessen am Containerverkehr – der viertwichtigste Handelspartner. Zugleich ist der Hamburger Hafen in Deutschland der Ort mit den meisten Güterzugverbindungen von und nach China.

Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Containereinheiten (TEU) im seeseitigen Im- und Export mit Russland zwar nur noch bei etwa 300.000 – bei einem Gesamtumschlag des größten deutschen Seehafens von etwa 8,5 Millionen TEU. Aber Hamburgs Handelsverbindungen nach Russland sind alt, eng und intensiv. Hafen Hamburg Marketing unterhält in Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg ein eigenes Verbindungsbüro, das den Hamburger Hafen und sein europäisches Netzwerk bei der Konferenz aktuell präsentierte.

Aus logistischer Sicht ist der Zeitpunkt der Konferenz ideal: Der im Suezkanal havarierte Frachter „Ever Given“ brachte im März den gesamten Schiffsverkehr zwischen Fernost und Europa durcheinander. Die Folgen kommen mit den verspäteten Containerfrachtern gerade erst in Europa und Deutschland an. Da lohnt es sich aus der Perspektive der Transportbranche, auch mal genauer auf die Entwicklung des kaspischen Transportkorridors zu schauen – vom Persischen Golf durch den Iran, das Kaspische Meer, Kasachstan und Russland bis zur russischen Ostseeküste. Zumindest für kleinere Gütermengen ist das eine Alternative zum Suezkanal, finden nicht nur der Iran, Russland, Turkmenistan und Kasachstan, die den Auf- und Ausbau eines solchen Korridors schon vor Jahren initiiert hatten. „Natürlich schauen wir uns diese Nord-Süd-Verbindung an und möchten sie gern mitentwickeln“, sagt Ingo Egloff, Co-Chef von Hafen Hamburg Marketing.

Die Hoffnung auf einen entspannten, prosperierenden Handel zwischen Europa und Russland – in der Logistikbranche lebt sie weiter, ungeachtet der Lage in der Ukraine oder die der russischen Opposition. „Bleibt gesund“, sagt Thomas Langlotz von Mukran Ports zu den übrigen Konferenzteilnehmern. „Ich hoffe auf ein Wiedersehen kommendes Jahr in Moskau.“

Quelle:
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