Ever-Given-Drama: Top-Seerechtler – „Beschlagnahme hat nichts mit Piraterie zu tun“

Ägypten hat die Ever Given beschlagnahmt. So will das Land seiner Forderung nach einem millionen-schweren Schadenersatz Nachdruck verleihen. In der Branche ist das Vorgehen umstritten.

In der Auseinandersetzung um die Schadenersatz-Forderungen gegen die Eigner des Container-Riesen Ever Given hat der Seerechts-Experte Henning Jessen das Vorgehen der ägyptischen Behörden verteidigt. Die Beschlagnahme der Ever Given durch die Behörden entspreche geltendem Seerecht, erklärte der Professor für Seerecht an der World Maritime University in Malmö gegenüber Merkur.de.

Ein Schiffsfestsetzung zur Durchsetzung von Seeforderungen sei „kein ungewöhnlicher Vorgang“, sagte Jessen am Mittwoch. Der Schritt entspreche dem „Internationalen Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über den Arrest in Seeschiffe“ von 1952. Das Regelwerk sei von über 80 Staaten ratifiziert worden, darunter auch Ägypten und Deutschland.

Ever Given: Beschlagnahme im Einklang mit Seerecht

Die Beschlagnahme der Ever Given sei im Rahmen eines „gerichtlichen Verfahrens im Arreststaat“ erfolgt. Mit Willkür oder gar „Piraterie hat das nichts zu tun“, sagte der promovierte Seerechtler. Damit trat Jessen Einschätzungen von Branchenvertretern in den USA und Schweden entgegen, die Ägypten einen fragwürdigen Umgang mit dem Seerecht vorgeworfen hatten. Davon könne keine Rede sein, sagte Jessen.

Zweifelhaft sei allenfalls die Höhe des geforderten Schadenersatzes. Die ägyptische Suez-Kanalbehörde hatte ursprünglich gut 900 Millionen Dollar aufgerufen, den Betrag jedoch inzwischen offenbar auf 600 Millionen Dollar reduziert. Die japanischen Schiffseigner Shoei Kisen Kaisha wollen laut Medienberichten hingegen lediglich 100 Millionen Dollar zahlen. Der tatsächliche Schaden werde „wohl deutlich unter 200 Millionen Dollar liegen“, sagte Jessen.

Die  rund 400 Meter lange Ever Green hatte sich Ende März nach einem aufsehenerregenden Kurs auf einem einspurigen Stück des Kanals quergestellt und zwischen den Ufern verkeilt. Dadurch war eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt tagelang blockiert. Mit Blick auf die millionen-schwere Bergung sowie entgangene Durchfahrtsgebühren hatte die Suez-Kanal-Behörde Schadenersatz gefordert und das Schiff zunächst festgesetzt und dann offiziell beschlagnahmt.

Ever Given: Seerechtsexperte sieht kaum Ansatzpunkte auf Schadenersatz für Fracht-Kunden

Zugleich dämpfte Jessen mögliche Hoffnungen von Fracht-Kunden auf eine finanzielle Entschädigung. Üblicherweise sicherten Ladungseigentümer ihre Fracht über Versicherungspolicen ab. Wegen der jüngst stark gestiegenen Frachtraten hätten viele Unternehmen darauf jedoch zuletzt verzichtet, sagte Jessen. Mit der Blockade des Suez-Kanals und der anschließenden Festsetzung der Ever Given sei für viele nun aber der „GAU eingetreten“.

Und selbst, wenn die Reedereien ihre Fracht versichert hätten, wären die Aussichten auf Schadenersatz gering, glaubt der Jurist. Schadensersatzansprüche der Ladungseigentümer gegen Ägypten oder die Kanalbehörde halte er für „aussichtslos.“ Auch mögliche Schadensersatzansprüche gegen die Reederei seien „problematisch, weil im Seehandelsrecht eine Reihe von möglichen Haftungsausschlussgründen für Verfrachter greifen.“ Es gebe bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass diese ausgehebelt werden könnten, etwa durch Vorsatz.

Angesichts dessen könne er Händlern „nur grundsätzlich davon abraten, Ware in Ostasien zu kaufen und den Transport nach Europa nicht zu versichern.“ Das entsprechende Risiko sei „unkalkulierbar“.

Quelle:
Merkus.de

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