Mit dem Korb auf die Schiene

Es war schon eine Überraschung, als VTG und Vega vor einigen Wochen mit einer gemeinsamen Mitteilung an die Öffentlichkeit gingen. Waggonvermieter und Bahnlogistiker der eine, Nutzfahrzeugspezialist der andere – und beide kündigen eine neue Kooperation an? Dahinter steckt eine sehr interessante Idee: Gemeinsam wollen sie nicht kranbare Trailer auf die Schiene bringen.

Seit über 30 Jahren liefert Vega mit Hauptsitz in Österreich neue Nutzfahrzeuge für alle großen Hersteller weltweit aus: komplette Lkw, auch Trailer. Vor Jahren sei ihm aber schon klar geworden, dass die Frage „Fahrzeugtransporte auf der Bahn“ immer wichtiger werden dürfte, sagt Geschäftsführer Franz Blum. Zwischen 2015 und 2016 entstand daraus in Zusammenarbeit mit Kässbohrer Transporttechnik in Salzburg ein Adapter, um handelsübliche Lkw in einem Taschenwagen des Typs T3000 zu transportieren. Die „RoadRail-Link“-Technik – heute R2L – wird seit 2016 in Verkehren mit der Türkei und anderen Ländern des Nahen Ostens für Daimler eingesetzt. Zwischen Wörth und Triest werden so pro Jahr rund 10.000 neue Lkw per Bahn befördert.

Kässbohrer sollte nun den Adapter – auch „Korb“ genannt – so konstruieren, dass neben Lkw auch Vans und Trailer hineinpassen. Blum: „Die jetzige Generation 3 kann das, und zwar so, dass wir beim Wechsel von Fahrzeugen nur noch etwas umbauen, aber nicht abbauen müssen – das hätte im Terminal nicht gut funktioniert.“ Und sie wiegt mit weniger als 4 t nur noch halb so viel wie ihre Vorgängergeneration, die für einen beladenen Trailer noch zu schwer gewesen wäre.

Das war der Punkt, an dem VTG auf die Technik aufmerksam wurde. Denn die R2L-Technik kann laut Blum in der speziell auf Trailer ausgerichteten Version 98 Prozent aller Typen nicht kranbarer Sattelauflieger aufnehmen. Und: Der R2L-Korb ist so gebaut, dass er mit dem Waggon „verheiratet“ werden und im Waggon bleiben kann, auch wenn ein kranbarer Trailer verladen werden soll.

Soll ein nicht kranbarer Trailer verladen werden, wird er im Terminal einfach in den Korb hineingezogen. Dabei werden die Räder automatisch zentriert. Damit der Königszapfen für die Aufnahme in der entsprechenden Platte richtig steht, bekommen die Terminal-Zugfahrzeuge eine lasergestützte Messtechnik installiert, die dem Fahrer anzeigt, wo genau er anzuhalten hat. Das Einstellen des Trailers muss also vom Terminal übernommen werden – das kann der anliefernde externe Fahrer nicht.

Alle Trailer kranbar machen?
Natürlich wäre es besser, wenn alle Trailer normiert und vor allem kranbar wären – ingenieurtechnische Spitzenleistungen wie die R2L-Technik wären dann gar nicht nötig. Aber: „Man soll nie klüger sein als der Markt“, sagt Blum. Der Anteil kranbarer Trailer an der Gesamtproduktion in Europa liege derzeit bei etwa 5 Prozent – „Tendenz sinkend“. Wenn sich eine – eigentlich ideale – Marktgröße aber nicht steigern lasse, wolle der Markt sie offenbar nicht. Blum: „Diese Trägheit des Marktes müssen wir akzeptieren.“

Vega hat auch hier genauer hingesehen und nach Gründen gesucht. Die meisten Trailer haben demnach offenbar drei Lebenszyklen: den ersten im hochtechnisierten Markt Westeuropas, den zweiten und dritten in Ost- und Südosteuropa. Nur im ersten Zyklus aber bringt die eingebaute Kranbarkeit Vorteile – danach nicht mehr: „Da verringern die reduzierte Nutzlast und die Gefahr zu hoher Achslasten solcher Fahrzeuge den Wert.“

Klimaziele sorgen für Druck
Ähnlich pragmatisch wie Vega geht auch VTG vor. Der Waggonvermieter registriert den fehlenden politischen Druck hin zur Muss-Kranbarkeit, das geringe Interesse im Markt. Gleichzeitig aber rückt 2030 näher, sind ehrgeizige Klimaziele auf nationaler wie auf EU-Ebene gesetzt. „Wenn wir dem Markt ein Angebot machen wollen, die gewünschten Emissionsreduzierungen zu erreichen, dann müssen wir jetzt handeln“, sagt Marc Hunziker, Head of Sales Coordination des Intermodal-Segments von VTG.

Deshalb engagiert sich sein Unternehmen gemeinsam mit Vega im Geschäft mit dem Korb: Nicht kranbare Trailer sollen auf die Schiene wechseln können. Natürlich könne man warten, bis irgendwann nach 2030 wasserstoffgetriebene Lkw im Sinne des europäischen Green Deal emissionsfrei verkehren, sagt Blum, aber: „Wir können jetzt schon liefern und für erhebliche CO2-Einsparungen sorgen.“

Wichtig ist VTG, dass die eingesetzte Technik für möglichst alle Trailertypen passt und dem Terminalbetreiber wenig Zusatzarbeit macht. Das erfülle das von Vega entwickelte System, sagt Hunziker. Auch dass der Korb etwa 1.300 Kilogramm schwerer ist als Konkurrenzprodukte, falle buchstäblich nicht ins Gewicht: Trailer seien auf der Straße durchschnittlich mit 16 bis 17 Tonnen beladen – „da haben wir kein Problem mit Gewichten auf dem Zug“.

Technisch gelöst ist auch der Einsatz in Doppeltaschenwagen. Die R2L-Technik war bereits auf den gängigen Wagentyp T3000 hin entwickelt. VTG aber hat durch die Übernahme des Schweizer Waggonvermieters AAE auch deren patentgeschützten Wagentyp TWIN im Bestand. Dafür gibt es nun auch einen Korbtyp – aus Sicht des Anbieters leider als zweite Korbvariante, weil das die Einsatzplanung komplexer macht und die Stückkosten nicht weiter senkt.

VTG plant eigenes Zugsystem
Wie sieht nun das konkrete Geschäftsmodell aus? VTG will die R2L-Technik in das Angebot für Eisenbahnen (EVU) und Operateure integrieren. „Wir denken den Waggon mit Korb als Paket und wollen das unseren Kunden nahebringen“, sagt Hunziker. 175 Körbe für den Wagentyp T3000 hat VTG bereits beschafft. In den kommenden beiden Jahren sollen noch einmal zwischen 200 und 400 hinzukommen – je nach Marktinteresse.
VTG AG

Die VTG Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Hamburg zählt zu den führenden Waggonvermiet- und Schienenlogistikunternehmen in Europa. Zum Bestand gehören 94.000 Eisenbahngüterwagen, darunter vor allem Kesselwagen, Intermodalwagen, Standardgüterwagen und Schiebewandwagen sowie 9.000 Tankcontainer. Neben der Vermietung von Waggons und Tankcontainern bietet der Konzern umfassende multimodale Logistikdienstleistungen und integrierte Digitallösungen an. Darüber hinaus stehen im europaweiten Retrack-Netzwerk eigene Lokomotiven und Lokführer zur Verfügung.

Hunziker möchte das R2L-System aber auch nutzen, „um in Verbindung mit unserem EVU Retrack dem Markt gerade auch im internationalen Verkehr endlich ein Angebot zu machen, das auch nicht kranbare Trailer auf die Schiene bringt“. VTG will deshalb auch ein eigenes Zugsystem aufbauen und damit dank R2L-Technik gezielt Ladung im kontinentalen Verkehr ansprechen, die derzeit noch auf der Straße transportiert wird. „Wir sprechen beispielsweise auch Großspediteure oder Endkunden an – alle, denen dank der neuen Technik nun der Weg auf die Schiene offensteht.“ Das seien neue Märkte, betont der VTG-Manager: „Damit treten wir nicht in Konkurrenz zu unseren eigenen Kunden wie EVU oder Operateuren, die ja kranbare Ladeeinheiten und damit andere Kunden adressieren.“

Aber natürlich kann ein solches Angebot potenzielle Umsteiger davon abhalten, in kranbares Equipment zu investieren – damit würde VTG dann doch zum Wettbewerber für die angestammte Klientel aus Operateuren und EVU. „Diesem Diskurs stellen wir uns aber gern“, sagt Hunziker selbstbewusst – „die Anbieter hatten schließlich genug Zeit, den Markt mit ihren Argumenten zu überzeugen. Und wenn sie das nicht schaffen, versuchen wir es nun.“ Der Operateur Kombiverkehr beispielsweise kenne diese Pläne und gehe entspannt mit einer parallelen Marktstrategie um.

Entspannt sind auch VTG und Vega – beim Umgang mit Wettbewerbern, die auf horizontalen Umschlag setzen, um nicht kranbare Trailer auf die Schiene zu bekommen. „Wir nutzen beispielsweise auch Cargobeamer oder Modalohr, wenn sich das anbietet“, sagt Blum. Und Hunziker verweist darauf, dass jedes System, das vom Markt angenommen werde, seine Daseinsberechtigung habe – „schließlich hilft es, CO2-Emissionen zu vermeiden“.

Antrieb bekommt die Kooperation auch dadurch, dass immer mehr Verlader auf CO2-Einsparungen bei ihren Dienstleistern drängen. „Bei VW beispielsweise gibt es Konzernvorgaben dafür“, sagt Blum. Und ein spanischer Kühlspediteur fahre jetzt mit Modalohr bis Bettembourg und steige dort mit Hilfe von R2L auf Züge von DFDS um, weil er von seinen schwedischen Auftraggebern die Vorgabe bekommen habe, Transporte nachhaltiger zu organisieren.

Dabei scheint auch in der Praxis zu funktionieren, was Blum und Hunziker sich ausgerechnet haben: Zwar bringt der Korbeinsatz Mehrkosten. Die aber würden mehr als ausgeglichen dadurch, dass der Operateur die Auslastung seiner Züge steigere, sagt Hunziker. Er müsse nur bereit sein, dieses Plus auch mit den Kunden zu teilen. Blum geht sogar noch weiter. Weil jeder Korbeinsatz ja auch eine CO2-Einsparung bringe, sinke die CO2-Abgabe. Je nach Höhe dieser Abgabe errechnet er sogar einen Kostenvorteil. „Wenn ich in Schweden unterwegs bin, wo pro CO2-Tonne 200 Euro fällig werden, spart jeder Korb pro Jahr rund 40.000 Euro.“ Das müsse endlich verstanden werden, fordert der Vega-Manager: „Aus 1 Liter Treibstoff werden 3 kg CO2. Und wenn wir die Klimaziele ernst nehmen, muss das irgendwann hoch bepreist werden – und dann sparen Systeme wie das unsere richtig Geld ein.“

Vermarktet werden soll das neue System von beiden Kooperationspartnern. „Vega ist sehr gut vernetzt in Europa und wird diese Kontakte nutzen, um potenzielle Kunden anzusprechen, natürlich vor allem in der Fahrzeugindustrie“, sagt Hunziker. Das Ganze immer in Abstimmung mit VTG, aber noch nicht organisiert in einer eigenen Vermarktungsgesellschaft. Hunziker: „Das haben wir diskutiert, aber im Moment gibt es das noch nicht.“

Eher verschwiegen sind die beiden Manager, was den Start eines möglichen eigenen Zugsystems angeht. „Wir warten erst mal ab, wie sich das Marktinteresse darstellt“, sagt Hunziker. Was auch gut passt zu dem, was Vega-Manager Blum aus seinem letzten Gespräch mit VW-Logistikern mitgenommen hat: „Für sie ist nicht mehr die Frage, ob sie mit dem System beginnen, sondern nur wann.“

Quelle:
DVZ

Schreibe einen Kommentar