Nach „Ever Given“-Havarie: Auch Reederei-Kunden sollen sich an Unfallkosten beteiligen

Der Schiffseigner spricht von einer „Großen Havarie“, bei der üblicherweise auch Reedereikunden haften. Für viele kleine Händler kann das richtig teuer werden.

Jetzt werden auch die Kunden der taiwanesischen Reederei Evergreen für die Unfallkosten des im Suezkanal verunglückten Containerfrachters „Ever Given“ zur Kasse gebeten. Nach Unterlagen, die dem Handelsblatt vorliegen, beauftragte der japanische Schiffseigner Shoei Kisen die Londoner Anwaltskanzlei Richards Hogg Lindley damit, von den Importeuren der insgesamt 18.000 Schiffscontainer entsprechende Sicherheitsleistungen einzutreiben. Dabei geht es um eine Schadenssumme von stattlichen 916 Millionen Dollar.

Wie das Handelsblatt erfuhr, fordert die ägyptische Kanalbehörde nicht nur einen Kostenersatz für die Bergungsarbeiten, sondern auch für den entstandenen Reputationsschaden und die Gewinnausfälle durch den versperrten Kanal. Am 13. April wurde das Schiff zur Sicherheit durch die Ägypter beschlagnahmt, weil es zwischen den Schiffseigentümern und der Kanalbehörde zu keiner Einigung kam.

„Bitte seien Sie versichert“, schrieb der Schiffsbetreiber Evergreen daraufhin an seine Kunden, „dass wir unser Möglichstes tun, um Ihre Fracht ans Ziel zu bringen.“ Zugleich weist er in dem Schreiben aber auch darauf hin, dass die Ware nicht ausgeliefert werden kann, bevor nicht alle entsprechenden Sicherungen hinterlegt sind.

Für die Eigentümer der Waren ist das eine bittere Nachricht. „Selbst wenn die Händler Sicherheiten hinterlegen, kann es jetzt Monate dauern, bis sie ihre Ware wiederbekommen“, sagt Michael Meyer, Managing Director des Logistik-Dienstleisters Megalog, dem Handelsblatt. Da viele Händler just in time bestellen, laufen nun ihre Lager leer.

Dazu kommt: Wie Experte Meyer weiß, sind etliche, gerade kleinere, Händler nicht für den speziellen Fall einer großen Havarie versichert. Das heißt, sie haften bis zum Komplettwert der Ware, die sie auf dem Schiff haben. Pro Container ist das in der Regel ein Frachtwert in einem mittleren fünfstelligen Betrag, was für manchen Händler existenzbedrohend sein kann.

Streit über Schadenshöhe dürfte Jahre dauern
Das Containerschiff hatte sich Ende März in der künstlichen Wasserstraße festgefahren und sie fast eine Woche lang blockiert. Nur mit umfangreichen Baggerarbeiten und zahlreichen Schleppern gelang es der ägyptischen Kanalbehörde in einer spektakulären Aktion, den Frachter wieder freizubekommen. Das Schiff wurde anschließend beschlagnahmt und liegt seither samt Besatzung im Großen Bittersee, einer breiteren Stelle im Verlauf des Suezkanal-Systems.

Bei dem Vorfall handelt es sich nach jahrhundertealtem Seerecht um eine sogenannte „Havarie grosse“, bei der üblicherweise auch die Eigentümer der Ladung zur Kasse gebeten werden. „Unter großen Reedereikunden dürften diese Forderungen niemanden verwundern“, sagte ein Sprecher des Verbands Deutscher Reeder (VDR). Auf hoher See spreche man stets von einer „Gefahrengemeinschaft“. Entsprechende Regeln finden sich zum Beispiel auch im deutschen Handelsgesetzbuch.

Bei der weltweit größten Seefrachtspedition, dem Schweizer Konzern Kühne + Nagel, bestätigten Experten ebenfalls, dass in diesem Fall die Regelungen der „Großen Havarie“ greifen

Die Kosten würden anteilig auf die Eigentümer der Fracht aufgeteilt, je nach Anzahl ihrer Container. Die Speditionen selbst seien davon finanziell nicht betroffen, zudem könnten versicherte Verlader die Kosten an ihre Assekuranzen weiterreichen.

Experten rechnen aber damit, dass sich der Streit über die Zahlungen über Jahre hinziehen wird. Uneinigkeit dürfte darin bestehen, ob die Schadenshöhe von fast einer Milliarde Dollar tatsächlich gerechtfertigt ist.

Um hier die Nachweise zu erbringen, wird in der Regel ein sogenannter Dispacheur eingesetzt. Als amtlicher Sachverständiger hat dieser die tatsächliche Schadenshöhe zu errechnen. Zudem gebe es für Reedereikunden Obergrenzen beim Schadensersatz, hieß es beim VDR.

Quelle:
Xing

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