Drohender „Versorgungskollaps“ – das bedeutet der Trucker-Mangel für die Deutschen

Ausgerechnet im Sommer ist die Versorgungssicherheit mit Bier und anderen Getränken gefährdet. Denn in Deutschland fehlen Zehntausende Lkw-Fahrer. Schon bald könnte Kneipen und Biergärten, die gerade erst wieder öffnen konnten, ein missliches Szenario blühen

Bier ist genug da. Das stellt Dirk Reinsberg unmissverständlich klar. „Die Fußball-Europameisterschaft kann kommen und die Biergarten-Saison auch endlich starten“, sagt der geschäftsführende Vorstand des Bundesverbands des Deutschen Getränkefachgroßhandels (GFGH).

Die Gastronomie wie auch die Getränkemärkte seien vorbereitet – weil die Branche in den vergangenen Wochen dafür gesorgt habe, dass die Läger entsprechend voll sind. Damit könne die nach dem Ende des Lockdowns und dem zeitgleich einsetzenden Sommerwetter wohl sprunghaft steigende Nachfrage erst mal gut bedient werden.

Dass Reinsberg dieses Bekenntnis abgeben muss, kommt nicht von ungefähr. Denn selbstverständlich ist eine flächendeckende Versorgungssicherheit beim Bier, aber auch bei anderen Getränken wie Wasser, Limonade oder Saft hierzulande längst nicht mehr.

Der Grund: ein massiver und sich stetig verschärfender Fahrermangel. Zwischen 45.000 und 60.000 Berufskraftfahrer fehlen derzeit in Deutschland, haben der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) und der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) gemeinsam berechnet.

Zehntausende Fahrer fehlen
Und in den kommenden Jahren wird es noch weit schlimmer: Die Internationale Straßentransportunion (IRU) prognostiziert in ihrer jüngsten Studie eine Lücke von 185.000 Fahrern in Deutschland bis zum Jahr 2027. Trucker ist also schon jetzt ein Mangelberuf – und in den kommenden Jahren nochmals stärker.

Die mittelständisch geprägte Getränkelogistik ist dabei besonders betroffen. Markus Rütters jedenfalls spricht im WELT-Gespräch von künftig 27.000 fehlenden Fahrern in diesem Bereich. „Das sind dann 27.000 Fahrten weniger pro Tag“, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Getränke Logistik (DGL).

Das Joint Venture der Brauereien Radeberger Gruppe und Veltins ist Deutschlands größer Getränkelogistiker, hat aber auch ein Standbein in anderen Branchen und übernimmt zum Beispiel Fahrten für Baumschulen oder Baustoffhändler.

Im vergangenen Jahr ist der Mangel kaum aufgefallen, zumindest nicht in der Getränkelogistik. Schließlich war die Gastronomie monatelang geschlossen, zudem durften Events und Großveranstaltungen nicht stattfinden.

Viele Fahrer wechseln den Beruf
Brauereien mussten deswegen Einbrüche hinnehmen, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat, meldet der Deutsche Brauer-Bund. Vielerorts herrsche nun sogar Insolvenzgefahr. Aber auch in anderen Branchen gab es krisenbedingt deutlich weniger Geschäft, Kapazitäten wurden deswegen zum Teil deutlich reduziert.

Mittlerweile indes erholen sich die Volkswirtschaften, auch die Gastronomie und der Tourismus laufen wieder an. Und damit steigt die Nachfrage nach Transportdienstleistungen. Doch das führt zu Problemen, denn der ohnehin schon vorhandene Fahrermangel hat sich durch die Corona-Pause noch mal zusätzlich verschärft.

„Aufgrund der Lockdowns in vielen Branchen wie Automobil, Textil oder bei den Baumärkten gab es deutlich weniger Transporte. Weil etliche Fahrer aber nicht in Kurzarbeit wollten, sind sie in andere Branchen oder sogar Berufe abgewandert“, sagt Branchenexperte Rütters.

Die Lage habe sich deswegen weiter zugespitzt. „Wir erwarten bei Rückkehr alter Transportmengen große Herausforderungen im Logistikgeschäft. Denn wir sind skeptisch, ob abgewanderte Fahrer wieder in ihre alten Berufe zurückkehren.“ Das werde zu steigenden Frachtraten und Laderaumknappheit führen.

Preise für Fuhren sind gestiegen
Das Logistikunternehmen Noerpel aus dem schwäbischen Ulm kann das bestätigen. Eine typische Lkw-Tour aus dem Südwesten Deutschlands bis nach Hamburg zum Beispiel habe sich am sogenannten Spotmarkt zuletzt von 800 Euro auf bis zu 1200 Euro verteuert.

Mittelständler Noerpel setzt jeden Tag rund 500 Lkw für Transporte vorwiegend in Süddeutschland ein, eine ähnliche Anzahl kommt für Fahrten ins europäische Ausland hinzu. Damit die Fahrzeuge über den Tag optimal ausgelastet werden, sind rund 2000 Fahrer für das Unternehmen mit einem Umsatz von rund einer halben Milliarde Euro unterwegs.

Wie im Logistikgewerbe üblich, ist nur ein geringer Teil davon direkt bei Noerpel angestellt. Der Großteil arbeitet bei selbstständigen Fuhrunternehmern, die wiederum Aufträge für die Schwaben übernehmen, die vor allem Gartengeräte, Tiernahrung und Fahrzeugteile transportieren. „Fahrermangel ist für uns ein Riesenthema“, sagt Oliver Schröter, Leiter der Charter-Abteilung bei Noerpel.
Zumal der Talente-Pool immer kleiner wird, jedenfalls im Inland. Denn jedes Jahr gehen hierzulande laut BGL rund 30.000 Lkw-Fahrer in Rente, gleichzeitig machen aber nur halb so viele junge Berufseinsteiger den notwendigen Führerschein. Und das bei gleichzeitig steigendem Transportvolumen.

Bruttolohn: rund 2500 Euro
Längst werden in der Logistik Stimmen laut, die vor einem „Versorgungskollaps“ warnen. „Wenn es keine Trendwende gibt, müssen irgendwann Strecken und Liefertage reduziert werden“, fürchtet auch GFGH-Vertreter Reinsberg. Dann werde die Gastronomie künftig nicht mehr zwei- oder dreimal pro Woche beliefert, sondern nur noch einmal.

Das große Problem der Branche ist die mangelnde Attraktivität des Kraftfahrerberufs. Das fängt an bei langen Arbeitszeiten samt Trennung von der Familie, auch übers Wochenende. Das geht weiter bei der Bezahlung: Bei rund 2500 Euro liegt ein üblicher Bruttomonatslohn in den ersten Berufsjahren. Hinzu kommen die Tagesspesen, die netto ausgezahlt werden und mehrere Hundert Euro im Monat ausmachen.
Dass nicht mehr Geld möglich ist, begründet DGL-Chef Rütters auch mit dem Verhalten der Auftraggeber. „Wir werben bei allen Kunden für eine höhere Vergütung für unsere komplexen Dienstleistungen“, sagt der Manager.

Die aktuellen Margen reichten nicht aus, um die notwendigen Erhöhungen finanzieren zu können. Aber auch die Arbeitsbedingungen sind vielfach alles andere als ideal. „Der Umgang mit den Fahrern muss ebenso verbessert werden wie die Parkplatzsituation entlang der Autobahnen“, fordert Rütters.

Branche will frühere Führerscheinprüfung
Dazu kommt eine Altersuntergrenze. „Wenn der Berufsnachwuchs schon mit 18 Jahren den Lkw-Führerschein machen dürfte und dann eine Zeit lang begleitet fahren würde, gäbe es viel mehr Berufseinsteiger“, sagt Noerpel-Vertreter Schröter. Heute liege das Einstiegsalter bei 21 Jahren.

„Wer als Jugendlicher mit 16 Jahren die Schulausbildung beendet und Interesse am Fahrerberuf hat, will aber nicht mehrere Jahre bis zum Berufseinstieg warten.“ Die Branchenverbände haben dafür bereits Initiativen gestartet, allerdings bislang ohne Erfolg an entscheidender Adresse, also im zuständigen Bundesverkehrsministerium.
Bei der Personalsuche weichen die Unternehmen daher längst auch ins europäische Ausland aus. „Wir suchen unter anderem in Rumänien oder Bulgarien nach Fahrern und Fuhrunternehmern. Deutsche Fahrer sind so gut wie gar nicht mehr zu finden“, sagt Noerpel-Manager Schröter.

Gleiches gilt auch für die DGL, die zeitweise sogar eine eigene Akademie in Rumänien betrieben hat, in der Fahrer zum Beispiel Deutschunterricht bekommen haben. „In der Branche tobt ein heftiger Verteilungskampf“, berichtet Firmenchef Rütters.

Suche läuft auch über soziale Medien
Und den fechten nicht allein die Logistik-Unternehmen aus, denn auch Betriebe aus anderen Branchen suchen und beschäftigen Lkw-Fahrer – die Bauwirtschaft zum Beispiel, die Entsorger, Handelsunternehmen, Möbelhersteller, Chemiefirmen oder auch Molkereien und sogar der öffentliche Dienst.

Zu den Aufgaben von Alexander Kolowos gehört es, Mitarbeiter von dort wieder ins Speditionsgewerbe zurückzuholen. Der 45-Jährige verantwortet das Fuhrparkmanagement des Logistikunternehmens Geis aus dem fränkischen Bad Neustadt, einem Mittelständler mit einem Umsatz von rund einer Milliarde Euro im vergangenen Jahr.
Der überwiegende Teil der Lkw-Touren bei Geis geht in Regionen in Süddeutschland. In der Regel sind es Zwölf-Tonner samt Anhänger, die Waren auf Paletten ausliefern: Gartenmöbel, Rollrasen, Elektronik, Spielzeug oder auch mal Teile für Autozulieferer finden sich auf den Fahrzeugen.

„Wir expandieren und suchen ständig zwischen zehn und 20 Fahrer“, sagt Kolowos. Radio- oder Plakatwerbung gehören ebenso zu den Wegen der Personalsuche wie die Ansprache über soziale Medien oder über Jobbörsen. Es gibt aber auch das Firmenangebot „Mitarbeiter suchen Mitarbeiter“: Wirbt ein Kollege erfolgreich einen Fahrer an, zahlt das Unternehmen eine Prämie zwischen 500 Euro und 1000 Euro.

Auszubildende werden übernommen
Auch im Ausland wird gesucht: Findet Manager Kolowos einen Fahrer etwa aus Litauen und stellt ihn ein, ist oftmals auch die Wohnungssuche vor Ort in Franken Teil seiner Unterstützung. „Der Markt für Lkw-Fahrer zieht gerade wieder an, die Zahl der Bewerber wird geringer“, berichtet der Personalexperte, der dauerhaft gute Perspektiven verspricht.

Zum September will er bei Geis 30 bis 40 Auszubildende zum Berufskraftfahrer einstellen. „Wer bei uns einen guten Abschluss macht, dem bieten wir auch zu 100 Prozent einen Arbeitsvertrag an“, sagt Kolowos. Ohnehin ist der Lkw-Fahrer aus seiner Sicht auch in Zukunft ein sicherer Beruf.

Das sagt auch die Getränkelogistik – und lockt zudem noch mit verbesserten Konditionen – allein schon weil die Strecken kürzer sind. „Wer bei uns fährt, ist abends meistens wieder zu Hause und lebt damit dauerhaft in seinem sozialen Umfeld“, beschreibt GFGH-Mann Reinsberg.

Gleichzeitig sei der Anteil der körperlichen Arbeit aber höher, jedenfalls bei Lieferungen an die Gastronomie. „Wer einen Kipper fährt, muss zum Entladen nur auf einen Knopf drücken. Wer Bierfässer und Wasserkisten zu Kneipen und Restaurants bringt, schleppt sie dort meist auch ins Lager.“ Früher hieß das altmodisch Bierkutscher. Wobei Reinsberg hofft, dass dieser Begriff auch Fahrer von heute begeistert und überzeugt.

Quelle:
Xing

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