„Evergiven“-Fiasko der letzte Sargnagel: Frachtschiff-Chaos beeinflusst bereits Weihnachten

Vier Monate ist es her, dass die „Evergiven“ den Suez-Kanal blockierte. Davon hat sich die internationale Schifffahrt bisher nicht erholt. Das liegt auch daran, dass das Desaster einzig die langjährigen Probleme moderner Logistik aufgedeckt hat. Die haben jetzt schon Auswirkungen auf Ihr Weihnachten.

Die moderne Frachtschifffahrt beginnt 1956. In diesem Jahr schickt der US-Amerikaner Malcom McLean erstmals einen heute so genannten ISO-Container auf die Reise. Ein Jahr lang hat der Lkw-Spediteur mit dem Ingenieur Keith Tantlinger an einem Container gearbeitet, der sich leicht verladen und transportieren lässt. Seine Erfindung wird zum Goldstandard der internationalen Logistik. 25 Millionen ISO-Container machten in den vergangenen Jahren rund 170 Millionen Reisen über die Ozeane, dazu 55 Millionen Reisen in leerem Zustand.

Die Frachtschifffahrt lief dabei lange wie ein Uhrwerk. Die simple Verladetechnik und standardisierten Containermaße erlaubten es Unternehmen und Händlern, Warenlager immer mehr abzubauen und stattdessen alle nötigen Produkte erst wochen-, dann tages- und mittlerweile oft sogar stundengenau zu bestellen. Doch diese „Just-in-time“-Mentalität kommt gerade an ihre Grenzen.

Corona-Erholung überfordert Logistik-Industrie
An vielen Orten wird das aus der Luft deutlich sichtbar. 18 Containerriesen ankern etwa derzeit vor dem Hafen von Long Beach in Los Angeles an der US-Westküste. Sie warten in einer langen Schlange auf einen Ankerplatz im Hafen. Das Schauspiel wiederholt sich an vielen anderen Orten der Welt. Vor Auckland in Neuseeland sind es zehn Containerschiffe. Ungezählt mehr sind es vor den chinesischen Häfen von Shanghai und Shenzhen. Teilweise müssen die Crews mehr als zwei Wochen ausharren, bevor sie in die Häfen einlaufen können.

Das Logistiksystem ist durcheinandergewirbelt. Schuld daran ist auf den ersten Blick die Corona-Pandemie. Sie hat im vergangenen Jahr die Frachtraten deutlich sinken lassen. Weil weniger hergestellt und auch weniger nachgefragt wurde aufgrund der in den meisten Ländern erlassenen Wirtschaftseinschränkungen, mussten auch weniger Container über die Ozeane verschifft werden. Doch seit die Infektionszahlen weltweit sinken und die Impfraten steigen, erholt sich die Wirtschaft in einem Tempo, das die Logistik überfordert.

Das größte Problem dabei ist das globale Ungleichgewicht der Erholung. Während China etwa schon vergangenes Jahr wieder mit regem Im- und Export begann, wurden viele andere Länder, besonders die USA, noch von einer zweiten Corona-Welle überrollt. Aus Sicherheitsgründen durften deswegen Container aus den USA nicht wieder nach China zurückgeschickt werden. Dort fehlten sie dann, um neu mit Waren für die USA oder Europa beladen zu werden.

Corona-Ausbrüche, Suez-Blockade: Schocks verstärken Problem
Denn die Menge an verfügbaren Container ist begrenzt. 25 Millionen gibt es insgesamt. Die Hälfte davon gehört rund zehn großen Logistikunternehmen, die andere Leasing-Unternehmen, die sie an Logistikunternehmen verleihen. 90 Prozent des weltweiten Handels werden darüber abgewickelt, aber das funktioniert eben wie ein Uhrwerk, weswegen eben auch oft leere Container verschifft werden, damit sie an anderer Stelle wieder befüllt werden können.

Das grundsätzliche Corona-Problem wurde noch durch mehrfache Schocks verstärkt. Während der Hochphase der Pandemie mussten etwa auch viele Häfen zumindest ihre Arbeit einschränken und konnten Container nicht schnell genug be- und entladen. Aktuell sorgt ein Corona-Ausbruch im chinesischen Hafen von Yantien für Chaos auf den Weltmeeren. Es ist immerhin der viertgrößte Handelshafen der Welt. Hierhin liefern die Textilfabriken des Perlflussdeltas und die Tech-Riesen aus Shenzhen ihre Waren für die weltweiten Käufer.

Die Blockade des Suez-Kanals im März sorgt ebenfalls noch bis heute für Chaos in Häfen, vor allem in Europa. Der dänische Containerriese Maersk gab zuletzt an, noch heute unter Verzögerungen zu leiden, die die einwöchige Kanalsperrung vor fast vier Monaten verursachte.

Gut für Aktionäre, schlecht für Verbraucher
Trotzdem: Für die Logistikriesen sind es gute Zeiten. Denn der Mangel an Container bei gleichzeitig hoher Nachfrage hat die Preise explodieren lassen. Kostete eine Überfahrt über den Pazifik zwischen China und den USA im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre rund 2000 Dollar pro Container, sind es aktuell rund 10.000 Dollar. Und auch Staaten sahnen ab: Panama etwa hat die Kosten für eine Durchfahrt des Panama-Kanals von 25.000 auf 35.000 bis 40.000 Dollar erhöht.

Gut ist das für die Aktionäre von Logistik-Riesen. Die Aktie von Maersk hat an der Kopenhagener Börse seit vergangenem Juli fast 120 Prozent zugelegt. Die griechische Reederei Danaos , die an der New Yorker NYSE gehandelt wird, liegt sogar 1900 Prozent im Plus. US-Containerriese Matson sieht mit plus 90 Prozent dagegen fast schwach aus.

Leidtragende sind Verbraucher, denn auf den Schiffen werden eben oft die Waren transportiert, die Sie bei Amazon und anderen Online-Händlern bestellt haben. Gerade für Elektrogeräte gibt es derzeit lange Lieferverzögerungen. Insgesamt sind die so schlimm, dass Experten schon raten, dass Sie sich am besten jetzt schon Gedanken über Ihre Weihnachtsgeschenke machen – sonst kommen die womöglich nicht rechtzeitig an.

Quelle:
Xing

Schreibe einen Kommentar