Neue Wendung im „Ever Given“-Fall

Mitarbeiter der Suezkanal-Behörde (SCA, Suez Canal Authority) könnten nach neuen Erkenntnissen von Medien einen größeren Anteil an der Havarie der „Ever Given“ haben als bisher bekannt.

Nach Recherchen der „New York Times“ (NYT) und zuvor Bloomberg kam es unter Kanallotsen zum Streit: Zwei dieser SCA-Bediensteten waren, den Vorschriften der Kanalbehörde entsprechend, an Bord der „Ever Given“ gekommen, um das Schiff durch die Wasserstraße zu geleiten.

Kein Schiff darf den Suezkanal ohne Lotsen an Bord passieren. Offiziell behält der Kapitän zwar sowohl die letzte Entscheidungsgewalt als auch die Kontrolle über das Schiff; es ist jedoch laut Bloomberg seit geraumer Zeit bekannt, dass Kapitäne die Kommandos der Lotsen de facto immer hinnehmen und auf die Expertise der Suezkanal-Mitarbeiter vertrauen.

Streit schon vor Einfahrt in den Kanal
Laut von Bloomberg ausgewerteten Gerichtsunterlagen hat es bereits Streit darüber gegeben, ob die „Ever Given“ wegen schlechten Wetters überhaupt in den Kanal einfahren soll; vier Häfen in unmittelbarer Nähe waren wegen eines aufziehenden Sturms geschlossen, so Bloomberg.

Der höherrangige SCA-Lotse habe die Entscheidung getroffen, den Kanal zu passieren. Bereits nach wenigen Kilometern sei die „Ever Given“ dann von starken Winden erfasst worden und ins Schlingern geraten. Grund hierfür könnten die hohen Containeraufbauten gewesen sein, die wie ein riesiges Segel fungiert haben könnten.

Einer der beiden Lotsen gab dann nach Aussagen von mit den Inhalten des Sprachrekorders der „Ever Given“ vertrauten Insidern ungewöhnlich aggressive Kommandos und verlangte von dem indischen Kapitän, hart rechts und unmittelbar danach hart links zu steuern, so die NYT.

Kapitän Krishnan Kanthavel schritt ein, als das Schiff bereits weit vom vorgesehenen Kurs abgekommen war, und geriet in Streit mit dem Lotsen. Während Kanthavel Schwierigkeiten hatte, die „Ever Given“ wieder in die Mitte der Fahrrinne zu manövrieren, brach laut NYT zwischen den beiden SCA-Bediensteten Streit aus.

Schiff fuhr viel zu schnell
Der die „Ever Given“ kontrollierende Lotse gab die Anweisung, mit der höchsten Geschwindigkeit weiterzufahren; das Schiff beschleunigte auf 13 Knoten, womit das Schiff die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Suezkanal um 5 Knoten überschritt.

Laut NYT hat der zweite Lotse versucht, die Anweisungen seines Kollegen zu widerrufen, woraufhin erneut Streit ausgebrochen sei, so die NYT. Als der Kapitän des Schiffs erneut einschritt und versuchte, die Geschwindigkeit zu drosseln, soll der für die Anweisung verantwortliche Lotse angedroht haben, das Schiff zu verlassen, so die mit den Inhalten des Sprachrekorders vertrauten Insider.

Durch die hohe Geschwindigkeit könnten sich dann, so NYT und Bloomberg, die Effekte des sogenannten Banking-Effekts potenziert haben: Wenn sich ein Schiff parallel einem Ufer nähert und die vom Schiffskörper verdrängten Wassermassen an Land treffen, entstehen gewaltige Kräfte, die dazu führen, dass der Bug des Schiffs vom Ufer weggeschoben wird, während das Heck näher ans Ufer herangezogen wird. Je schneller das Schiff dabei fährt, desto stärker ist der Banking-Effekt.

Nur 22 Minuten nachdem die beiden SCA-Lotsen an Bord der „Ever Given“ gekommen waren, fuhr das Schiff dann gegen die Kanalwand und blockierte für die Dauer von sechs Tagen die Wasserstraße. Die SCA weist die Darstellung zurück, ihre Bediensteten hätten in irgendeiner Weise Anteil an der Havarie, und weisen darauf hin, dass der Kapitän die Letztentscheidungsgewalt habe. Die Behörde lehnte es ab, die Namen der beiden Lotsen zu nennen; es handele sich um zwei erfahrene Mitarbeiter.

Quelle:
DVZ

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