Nicht zu erfüllende Auftragslage

Die sichere Warenversorgung und Liefertreue sind im Augenblick die drängendsten Themen in der Wirtschaft. Auch beim diesjährigen Österreichischen Logistiktag in Linz, veranstaltet vom Verein Netzwerk Logistik, diskutierten Ökonomen und Industrievertreter darüber.

Wirtschaftlich sei die Corona-Krise vorbei, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Felbermayr. Es habe sich ein „V“ gebildet. Nach einem Einbruch von 15 Prozent habe der Aufschwung eingesetzt. „Nach der Lehman-Krise war der Aufschwung viel langsamer“, sagt Felbermayr. Der Aufschwung in der Eurozone sei stärker als in den USA.

Allerdings seien die Preise gestiegen. „Der Treibstoff hat sich um 75 Prozent seit vorigem Jahr erhöht“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. „Das heißt, das Einholen der verlorenen Zeit wird teuer. Frachtratenänderungen spielen normalerweise für die Volkswirtschaft keine Rolle, in dieser Größenordnung aber schon.“ Der Suezkanal liege derzeit unter 14 Prozent der zu erwartenden Kapazität. „Das sind Verwerfungen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ich fürchte, die Prognosen der EZB werden sich nicht erfüllen, dass es mit Jahreswechsel vorbei ist.“ Es zeigten sich fast neun Prozent Anstieg bei den Erzeugerpreisen und ein deutlicher Preisauftrieb bei Dienstleistungen.

Komplett neu für Konjunkturforscher sei das Auseinanderklaffen zwischen Auftragsstatistik und Industrieproduktion: „Die Auftragslage ist super, fast spektakulär. Man kann sie nur nicht erfüllen.“ Der Grund liege im Nichtfunktionieren der Lieferketten. Felbermayr stellt nüchtern fest: „Der Aufschwung ist vorbei.“

Nachfrageschwankungen entlang der Lieferkette
Engpässe in der Produktionsversorgung gibt es derzeit unter anderem bei Halbleitern. Infineon ist ein globaler Halbleiterhersteller, der ein kapitalintensives Geschäft betreibt: „Eine Maschine kostet zwischen ein und zehn Millionen Euro“, sagt Hans Ehm, Senior Principal Engineer Supply Chain bei Infineon. „Das Werk in Villach kostete 1,6 Milliarden Euro.“ Um einen Halbleiter herzustellen, seien bis zu 1.000 Prozessschritte nötig. Dabei ist der Zusammenbau über die ganze Welt verstreut.

Zudem bekomme seine Branche den Bullwhip-Effekt, die Nachfrageschwankungen entlang der Lieferkette, stark zu spüren. Als es 2008/2009 Infineon nicht gut ging, testete das Unternehmen neue Supply Chains. „In weniger als neun Monaten hatten wir 15 Supply Chains“, berichtet Ehm. „Vermutlich sind wir in einer Situation, in der nicht Firmen, sondern Supply Chains konkurrieren.“

Die derzeitigen Chip-Engpässe bezeichnet der Infineon-Vertreter als Gefahr und Chance zugleich. Wann der Rückstau aufgelöst sein werde, konnte Ehm nicht sagen: „Das geht nur in Zusammenarbeit mit Kunden.“ Durch Covid-19 sei der Bedarf an Halbleitern gestiegen. „Es ist nicht mehr just in time.“ Der Bedarf entwickle sich anders als vermutet, denn die Geräte, in denen Halbleiter verbaut sind, würden sich rasch verändern. „Bestand ist deshalb keine Option“, sagt Ehm. „Es wäre theoretisch machbar. Wir haben das dreimal gemacht, und es ist dreimal schiefgegangen.“

Leere Lieferantenläger
„Wir ändern unsere Bedarfe permanent“, sagt Jürgen Gumpinger, Vice President Group Logistics des Motorradherstellers KTM. 120 Modelle gebe es im Sortiment, alle würden jedes Jahr wechseln. Die Herausforderungen seien völlig anders als bei Autobauern. Außerdem treffe die Chipkrise KTM nicht so stark: „Bei Offroad ist nicht viel Elektronik drin, mitunter nicht einmal Licht“, sagte Gumpinger. „Zehn, zwölf Prozessschritte, das ist leicht zu managen.“

Allerdings mache KTM die Covid-Krise zu schaffen: „Die erste Krise war einfach: Wir produzierten bis zum bitteren Ende“, sagte der KTM-Manager. „Erst als die Pandemie nach Europa kam, wurde es für uns ernst: Wenn Zulieferer nicht liefern können.“ Andererseits hatten die Menschen plötzlich Zeit, man kaufte ein Rad oder Motorrad. Nach dem Hochfahren des Betriebs sei es „gigantisch“ gewesen: „Wir mussten beschleunigen, doch es war anfangs langsam“, berichtet Gumpinger. „Die Mitarbeiter sind derzeit am Limit, ausgelaugt, das ist Covid.“

Die Läger bei den Lieferanten sind aber teilweise leer. Das Lieferantennetzwerk wächst und ist komplex. „Ein Motorrad besteht aus 1.000 Teilen aus aller Welt, das ist ein gewachsenes System“, sagte der KTM-Vertreter. „Durch unsere geringen Stückzahlen können wir uns auch nicht mehrere Lieferanten leisten. Wenn einer nicht liefert, steht alles.“

Zur Prozessoptimierung werden deshalb Risikofilter eingezogen, denn die Lieferanten haben unterschiedliche Qualitäten. Über Prewave, kombiniert mit Shippeo, gelingt die Informationsbeschaffung, um über Probleme im Ausland Bescheid zu wissen. Aufgrund der Datenanalyse können Muster und Auffälligkeiten, Kapazitäts- und Lieferengpässe im Lieferantennetzwerk erkannt werden. „Es bringt nichts, wenn ich nur die erste Ebene kenne, wir müssen über die Unterlieferanten Bescheid wissen“, betont Gumpinger.

Das Hauptproblem sei die Psychologie, denn Lieferanten würden misstrauisch vermuten, KTM wolle sich über die Kapazitäten informieren. „Wir müssen sie aber zur Bekanntgabe zwingen, das bei jeder Neuvergabe einfordern, um die Lieferkette am Laufen zu halten.“ Zwar hat KTM viel zurückgeholt, will aber Nearshoring nicht überbewerten, denn würde man alles zurückholen, würde die Produktion langsamer werden.

Quelle:
DVZ

Schreibe einen Kommentar