Das lange Warten auf Ware – und jetzt drohen auch noch Streiks

Arbeitskämpfe im Hamburger Hafen und in Antwerpen sind nur ein Grund für die Probleme: Weltweit sind die Seehäfen mit Containern verstopft. Besserung ist erst im kommenden Jahr in Sicht – unter einer Voraussetzung.

Im größten deutschen Hafen in Hamburg drohen die Arbeiter mit einem Streik. Sollten die Verhandlungen über Lohnerhöhungen für die rund 12.000 Beschäftigten in den deutschen Seehäfen am Dienstag keine Fortschritte bringen, könnte ein Ausstand die Folge sein.

Zuletzt hatte der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) ein neues Angebot vorgelegt. Kern ist eine Anhebung der Stundenlöhne um 90 Cent und eine Erhöhung von Pauschalzahlungen. Umgerechnet entspricht das Angebot laut dem Verband einem Volumen zwischen sechs Prozent und knapp acht Prozent Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Forderungen der zuständigen Gewerkschaft Verdi liegen darüber.

Auch in dem hinter Rotterdam und vor Hamburg zweitgrößten Seehafen Nordeuropas, in Antwerpen, gingen die Hafenarbeiter zuletzt für 24 Stunden in einen Streik für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Mit diesen Aktionen setzen sich die Probleme der weltweiten Schifffahrt uneingeschränkt fort. Hatte zunächst der Ausbruch der Corona-Pandemie die Lieferzeiten um Wochen und Monate verlängert und die Transportkosten in der Spitze um das Zehnfache erhöht, so haben zuletzt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sowie der erneute Lockdown in Shanghai zu weiteren Verwerfungen im Seetransport geführt.

Der für die Schifffahrt wichtige Port Congestion Index der Schifffahrtsdatei Clarkson, der die Staus in den weltweiten Seehäfen misst, zeigt aktuell einen nochmals um fast acht Prozent gestiegenen Höchstwert. „Wir glauben, dass die gegenwärtigen Verzögerungen, die nicht nur die Häfen, sondern auch die Infrastruktur im Landtransport betreffen, mindestens bis zum ersten Quartal 2023 bestehen bleiben werden“, zitiert der Schifffahrtsdienst G-Captain den verantwortlichen Logistik-Manager bei Visy Industries, Peter Sundara. Auch der Vorstandschef der Reederei Hapag-Lloyd hatte zuletzt eine deutliche Entspannung der Lage erst für das kommende Jahr angekündigt.

Im Verlauf des Jahres 2023 werden die Reedereien neue Containerschiffe bekommen und ihre Kapazitäten ausweiten. Zwar liegen die Schiffsbestellungen aktuell um 25 Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreszeitpunkt. Doch gibt es derzeit kaum noch verfügbare Frachtschiffe. So ist etwa die Zahl der aufliegenden und damit ungenutzten Schiffseinheiten so niedrig wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Discounter Lidl will eigene Containerschiffe kaufen
Steigende Frachtkosten, längere Transitzeiten sowie höhere Unsicherheit über den Transportverlauf werden zum „New Normal“ der Logistik werden, zum neuen Alltag. Ein Trend, der daraus entsteht, sind deutliche längere Vertragslaufzeiten für gemietete Schiffe zwischen Speditionen und Reedereien. Dazu passt, dass der Discounter Lidl die Anschaffung eigener Frachtschiffe angekündigt hat, um Waren aus Asien verlässlich nach Nordeuropa zu bekommen.

Die weltweit zweitgrößte Containerreederei Maersk erwägt nun eigene Lösungen, um dem Containerstau in den Seehäfen sowie den Streikfolgen der Hafenarbeiter entgegenzuwirken. So sollen Container aus überfüllten Häfen an andere Standorte gefahren, dort gesammelt und später von dort aus weiterverteilt werden.

Nach Angaben von Maersk haben Staus etwa in Bremerhaven „ein kritisches Niveau“ erreicht. Ähnlich sei es in Rotterdam. Maersk nennt einen Wert von 80 Prozent bei der Belegung der Hafenflächen. Ein großes Problem sei die Unpaarigkeit: Die Menge der Container für den Export und der Boxen aus dem Import stehe nicht mehr in einem Verhältnis, das einen reibungslosen Betrieb erlaube. Die Terminals würden dadurch zunehmend unproduktiv arbeiten.

Den Containerhäfen fehle die Luft zum Atmen, heißt es unter den Schifffahrtsexperten. „Es hilft nichts, wenn wir Tausende Container auf einen bereits vollen Containerterminal laden, nur weil die Wartezeiten der Schiffe sonst noch länger werden. Wir brauchen Platz an der Kaimauer für Verteilerschiffe, um das Hafengelände zu entlasten“, beschreibt ein Experte bei G-Captain die Lage. Schifffahrtsmanager machen sich dafür stark, die Transitzeiten zu überarbeiten und an die Realitäten anzupassen. „Wenn das bedeutet, dass wir nicht mehr wöchentliche Ankünfte haben, sondern alle acht oder neun Tage ankommen, dann ist das eben so“, sagt ein Experte.

Im Hafen in Shanghai läuft die Arbeit wieder normal
Unterdessen bessert sich die Lage im weltweit größten Containerhafen Shanghai. Laut der Londoner Schifffahrtsdatei Vessels Value hat sich der Betrieb weitgehend normalisiert und dies unabhängig von aktuellen Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie.

Danach entsprechen die durchschnittlichen Wartezeiten für Containerschiffe wieder den üblichen Werten: Waren es Ende April noch 69 Stunden gewesen, so sind es mittlerweile etwa 34 Stunden mit fallender Tendenz.

Quelle:
welt.de

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