Nach Zugunglück in Garmisch – So groß ist das Schienenschwellen-Problem der Bahn

Der Austausch womöglich defekter Betonschwellen im Schienennetz könnte die Deutsche Bahn vor noch größere Probleme stellen. Laut Eisenbahngewerkschaft EVG müssen fünfmal mehr Schwellen ausgetauscht werden als bislang bekannt.

Das Problem der Deutschen Bahn (DB) mit defekten Betonschwellen im Schienennetz ist möglicherweise noch größer als bislang angenommen. „Nach unseren Informationen müssen rund eine Million Betonschwellen ausgetauscht werden“, sagt Martin Burkert, der Vize-Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).

Die Deutsche Bahn hatte bislang stets von rund 200.000 Schwellen gesprochen, die nun überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht werden müssen. Die Betonschwellen gelten als eine mögliche Ursache für das tödliche Zugunglück in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen vor einigen Wochen.

Bei der Bahn bleibt man trotz der Aussagen des Gewerkschafters bei der eigenen geringeren Zahl. „Das trifft nicht zu“, sagte eine Sprecherin gegenüber WELT. Überwiegend seien die insgesamt rund 80 Millionen Schwellen im Schienennetz in „sehr gutem Zustand“. Man gehe „nach derzeitigen Erkenntnissen“ davon aus, dass nur 0,25 Prozent – also rund 200.000 Betonschwellen von den Problemen betroffen sein könnten. „Sollten wir Auffälligkeiten finden, tauschen wir die Schwellen schnellstmöglich aus“, so die DB-Sprecherin. Wie viele Schwellen tatsächlich ausgetauscht werden müssten, könne man derzeit noch nicht sagen, da die Inspektionen noch laufen.

Laut EVG-Vize Burkert könne man einige der betroffenen Schwellen zwar noch vorübergehend ertüchtigen, allerdings lasse sich dadurch nur etwas Zeit gewinnen. Nach maximal zwei Jahren müssten sie komplett ausgetauscht werden. Die Arbeiten stellten das ganze System Eisenbahn „vor massive zusätzliche Herausforderungen“, sagt Burkert. „Die Kosten sind bislang nirgends eingeplant, die betroffenen Strecken sind teilweise bereits gesperrt – an einigen Strecken sogar ohne Ersatzverkehr, weil Busse und Fahrer fehlen.“

Laut Deutscher Bahn sind derzeit zwölf Streckenabschnitte bundesweit wegen des Schwellenprogramms vollständig gesperrt. Betroffen sind laut EVG hauptsächlich der Osten und Süden Deutschlands, wo die potenziell beschädigten Schwellen besonders häufig eingesetzt wurden – konkret Bayern, wo auch die Unfallstelle liegt, aber auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Fernverkehr sei dabei seltener betroffen als der Regionalverkehr, da auf den Strecken für höhere Geschwindigkeiten andere Schwellen-Typen verlegt worden seien.

„Völlig offen ist auch noch, wer die Strafen dafür bezahlt, dass die Strecken nun nicht befahren werden können“, sagt Burkert. Möglich scheint, dass die Bahn den Hersteller der defekten Betonschwellen in Regress nimmt. „Aufgrund der noch laufenden Ermittlungen können wir uns hierzu leider nicht äußern“, sagt die DB-Sprecherin.

Die Sperrungen wegen der Betonschwellen sind nur eines von zahlreichen Problemen, die derzeit den Bahnverkehr in ganz Deutschland behindern. Insbesondere der hohe Krankenstand macht vielen Eisenbahnunternehmen zu schaffen. In Bayern bestätigt die für den Schienennahverkehr zuständige Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), dass es momentan zu Einschränkungen aufgrund von Personalmangel kommt. Der „sehr hohe Krankenstand“ sei vorwiegend auf die hohen Corona-Fallzahlen zurückzuführen.

„Daher werden derzeit insbesondere im nordbayerischen Raum teilweise vorübergehende Ersatzkonzepte gefahren, um den Fahrgästen trotz hoher Krankenstände einen planbaren Betrieb zu gewährleisten“, teilt die BEG mit. „Wir haben die Verkehrsunternehmen aufgefordert, die vertraglich festgelegten Verkehrsleistungen so schnell wie möglich wieder vollumfänglich zu erbringen.“ Man lasse sich in wöchentlichen Lagebesprechungen detailliert über die Entwicklung des Krankenstandes berichten, es lasse sich aber nicht seriös abschätzen, wann sich die Lage normalisieren könnte.

Die in Mitarbeiterkreisen kolportierte Zahl von einer Reduktion des Bahnverkehrs um 30 Prozent wegen des Personalmangels könne man aber nicht bestätigen, teilt die BEG mit. Auch die Deutsche Bahn in Bayern dementiert, dass der hohe Krankenstand so dramatische Folgen für den DB-Regionalverkehr habe. „Es kommt lediglich in Einzelfällen zu Einschränkungen“, versichert ein Sprecher.

Durch den hohen Krankenstand in der Haupturlaubszeit müssten die Züge der Linie RE 19 von Nürnberg über Bamberg nach Sonnenberg am Wochenende entfallen. „Durch den geplanten Ausfall der Linie bietet die DB Regio Bayern weiterhin ein zuverlässiges und planbares Angebot auf den übrigen Linien an“, sagt der Sprecher.

Quelle:
welt.de

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