Rhenus macht mit „Einkaufstour“ Milliarden-Umsätze

Mit einer fast beispiellosen Serie an Firmenübernahmen schafft Rhenus Milliardenumsätze – und steigt mit einem bunten Portfolio zum größten deutschen Transportunternehmen ohne Staatsbeteiligung auf.

Wahllos, so jedenfalls schien es zunächst, griff der westfälische Transporteur Rhenus in den vergangenen Wochen gleich mehrfach zu. Mitte November startete die Einkaufstour mit der dänischen Speditions- und Lagereifirma DKI. Einen Monat später traf es den Hagener Schmiederei- und Kaltwalzlogistiker Robert Schmitz.

Kurz darauf erwarb die verschwiegene Transportfirma knapp die Hälfte des portugiesischen Möbel-Heimzustellers Grupo Totalmedia mit 650 Mitarbeitern. Und zum Jahreswechsel übernahm Rhenus einen Silotransporteur in den Niederlanden.

Mehr als 800 Firmen hat die Tochter des westfälischen Familienimperiums Rethmann bis heute auf diese Weise um sich geschart. Das Resultat verkündete Vorstandschef Tobias Bartz jetzt dem Handelsblatt: „Im zurückliegenden Geschäftsjahr haben wir einen Umsatz von 8,8 Milliarden Euro verbucht.“ Das macht das Unternehmen aus Holzwickede mit hoher Wahrscheinlichkeit zum größten deutschen Logistikkonzern ohne Staatsbeteiligung.

Rhenus mit Übernahmen fast im Wochentakt
Nur Deutsche Post/DHL, Deutsche Bahn und die Reederei Hapag-Lloyd, an der die Hansestadt Hamburg beteiligt ist, kommen auf noch mächtigere Erlöse. 2021 rangierte Rhenus mit einem Umsatz von 7,1 Milliarden Euro noch gleichauf mit Dachser, dürfte dem Wettbewerber aus Kempten angesichts der enormen Zuwächse nun aber enteilt sein. Die Allgäuer haben Zahlen für 2022 noch nicht vorgelegt.

„Fast alle zwei Wochen geht derzeit bei mir ein Zukauf über den Schreibtisch“, sagt Bartz, der 2006 als Trainee bei Rhenus startete und seit zehn Monaten das Unternehmen leitet. Organisiert würden die Übernahmen in der Regel durch die Rhenus-Manager in den operativen Geschäftsbereichen, berichtet der 45-jährige Wuppertaler. „Die kennen sich bei den Firmen aus und verstehen den Markt.“ Und so wächst Rhenus, das noch 1998 mit einem Umsatz von gerade einmal 400 Millionen Euro zur Stinnes AG gehörte, stetig.

Das nötige Geld für diesen Expansionskurs ist vorhanden. „Unser Gesellschafter erlaubt uns, die Profite vollständig zu reinvestieren“, erläutert Bartz. Über deren Höhe verrät er allerdings nur, dass sie „über dem Branchendurchschnitt“ lägen. Der Gesamtkonzern Rethmann, zu dem Rhenus ein Drittel der Erlöse beisteuerte, erwirtschaftete 2021 mit seinem Betriebsergebnis (Ebit) von einer Milliarde Euro eine Rendite von 4,8 Prozent.

Das Ergebnis ist eine ungewöhnlich breite Streuung der Aktivitäten – selbst für einen Familienkonzern. So gehören Rhenus mittlerweile Speditionen und Lagereifirmen in Neuseeland, Südafrika und Indien. An 52 Standorten betreiben die Westfalen Hafenterminals, darunter in Rotterdam und Cuxhaven. Hinzu kommen rund 1000 Schlepper und Lastkähne auf Europas Wasserstraßen – und neuerdings fünf Küstenmotorschiffe, mit denen man zuletzt unter anderem Rotorblätter für Windkraftanlagen von Indien nach Deutschland holte.

Der Konzern, der rasant auf eine Mitarbeiterzahl von 42.000 wuchs, nahm dabei offenbar eine Schwachstelle in Kauf: Auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen wie Kununu erhielten Vorgesetzte im Konzern für ihr Führungsverhalten meist wenig schmeichelhafte Noten.

Achsen für die Corvette, Ladenetz für Shell, Lagerlogistik für BMW
Im vergangenen April trat Bartz an, das unübersichtliche Angebot von Rhenus besser zu vermarkten. Als Erstes beförderte er Luft- und Seefrachtchef Tobias König zum Chief Commercial Officer auf Gruppenebene, damit dieser das Cross-Selling vorantreibt. Ausgewählten Großkunden soll Königs Mannschaft seither zusätzliche Dienste des Unternehmens näherbringen – und damit den Rhenus-Umsatz weiter steigern.

Wie diese Dienste aussehen, ist an zahlreichen Stellen des weitverzweigten Firmenreichs zu besichtigen. In den USA etwa fertigt der Rethmann-Ableger Frontachsen für Chevrolets Sportwagenlegende Corvette, im bayerischen Regensburg ist man seit 2014 für die Lagerlogistik von BMW verantwortlich. Gemeinsam mit Shell baut Rhenus derzeit ein Ladenetz für elektrisch betriebene Trucks auf, gleichzeitig steuert der westfälische Logistiker eigene Loks und Eisenbahnwaggons quer durch Europa.

Aus Sicht von Bartz erweisen sich die umfangreichen Zukäufe – auch von Spezialfirmen – längst als Glücksfall. Weil zahlreiche Hersteller seit Corona auf regionale Beschaffungsmärkte setzen, bieten die Binnenschiffe, Eisenbahntransporte und regionalen Logistikdrehscheiben von Rhenus einen erheblichen Wettbewerbsvorteil.

Gleich zu Beginn der Pandemie war es durch die vorübergehende Außerbetriebnahme von Containerschiffen, die Sperrung asiatischer Häfen und starke Schwankungen im Konsumverhalten westlicher Länder zu weltweiten Lieferkettenproblemen gekommen.

Stahlboxen blieben wochenlang in chinesischen Ports stehen, Kaufhausregale leerten sich. Schon Mitte 2021 bekundeten deshalb 34 Prozent der Supply-Chain-Manager in einer Umfrage der Beratungsgesellschaft McKinsey, der Aufbau regionaler Lieferketten sei in den nächsten drei Jahren für ihr Unternehmen „relevant“ oder „sehr relevant“. Weitere 42 Prozent hielten ihn zumindest für „teilweise relevant“.

Spielzeug, Haushaltsgeräte, Kleidung – Nearshoring im Trend
Die Auswirkungen sind längst spürbar. So berichtete die Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer, im ersten Halbjahr 2022 habe es aus Deutschland bereits genauso viele Investorenanfragen gegeben wie im kompletten Vorjahr.

Der US-Einzelhandelsriese Walmart stellte 350 Milliarden Dollar bereit, um sich durch das sogenannte Nearshoring unabhängiger zu machen von asiatischen Herstellern von Spielzeug, Haushaltsgeräten oder Textilien. In Europa entstehen aus demselben Grund mehrere Batterieproduktionswerke. Und auf der Frankfurter Textilmesse berichtete der Bielefelder Nähmaschinenhersteller Dürkopp Adler vergangenen Sommer, eine erhebliche Anzahl von Modeanbietern baue derzeit Fabriken in Europa, Nordafrika und im Mittleren Osten, um das Risiko brüchiger Lieferketten aus Fernost zu mindern.

Rhenus sieht sich darauf gut vorbereitet. „Etwa vom Hafen Duisburg aus unterhalten wir Zugverbindungen nach Tschechien, Budapest, Ungarn, Österreich, Polen und Italien“, berichtet der CEO. Auch die Häfen Antwerpen, Rotterdam und ganz neu Wilhelmshaven habe man per Zug angebunden.

Rhenus: Team arbeitet an Lieferkettenproblem durch Ukraine-Krieg
Als einen der Hauptwachstumsmärkte bezeichnet Bartz die Türkei, wo Rhenus an 14 Standorten aktiv ist. Von dort aus erreiche man außerdem per Güterbahn und Lkw aufstrebende Länder wie Georgien und Aserbaidschan, die auf dem sogenannten „Mittleren Korridor“ der Neuen Seidenstraße nach Zentralasien und China liegen – der südlichen Umgehung von Russland. „Hier gibt es einen Markt von mehr als 90 Millionen Menschen“, schwärmt der Logistiker.

Um die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf Lieferketten in den Griff zu bekommen, hat Rhenus ein Spezialteam bereitgestellt. „Es entwickelt Transportlösungen unter strenger Einhaltung aktueller Bestimmungen und Compliance“, beteuert Bartz. Nationale wie internationale Behörden binde man ein. Sanktionsverstöße, das weiß der Firmenchef, hätten für sein Unternehmen nebst Kundschaft verheerende Folgen.

Quelle:
Handelsblatt

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