Die Deutsche Bahn prüft Einschnitte im Güterverkehr

In Deutschland kann man Güterwaggons noch einzeln mieten. Doch nun stellt die Bahn-Tochter DB Cargo das verlustreiche Geschäft infrage.

Im Vorstand der Deutschen Bahn (DB) erwägt Güterbahnchefin Sigrid Nikutta einen fast vollständigen Ausstieg aus dem Einzelwagenverkehr, bei dem Transportkunden statt ganzer Züge nur einzelne Waggons buchen. Das erfuhr das Handelsblatt aus dem Aufsichtsrat des Staatskonzerns.

Die Bahn-Tochter DB Cargo steckt tief in den roten Zahlen. 2022 hat sie einen Verlust von 655 Millionen Euro gemacht. In diesem Jahr soll das Minus zwar nur noch bei 225 Millionen Euro liegen. Aber um wie geplant 2024 wieder schwarze Zahlen zu schreiben, ist ein Mix aus Einsparungen, besserer Auslastung und weiteren Hilfen aus dem Bundeshaushalt geplant.

Doch ob das reicht, ist unklar. Daher gebe es einen Plan B, berichtet Europa-Betriebsratschef Jörg Hensel. Nach dem könnten bis zu 8400 von insgesamt 30.000 Mitarbeitern ihren Job verlieren, wenn die Bahn das teure Geschäft mit einzelnen Waggons drastisch reduziert oder aufgibt.

„Der Plan B sieht vor, dass von den derzeit rund 1000 Güterverkehrsstellen nur noch 100 übrig bleiben werden“, sagt Hensel. Auch bei den sogenannten Zugbildungsanlagen – Rangierstationen, die Einzelwagen zu kompletten Zügen zusammenstellen – drohe ein Kahlschlag. Von den 144 Stationen sollen gerade einmal zehn übrig bleiben. „Dem Papier zufolge werden künftig nur noch Kunden aus der Stahl-, Auto- und der chemischen Industrie akzeptiert“, schildert Hensel den Nikutta-Plan. „Andere würden dann nicht mehr bedient.“

Ein DB-Sprecher wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern. Ein „Plan B“ sei in der Diskussion, heißt es bei Managern des Konzerns hinter vorgehaltener Hand, eine finale Entscheidung aber noch nicht gefallen. Sie werde für den Herbst erwartet.

Container und Gefahrgut sind auf Einzelwagenverkehr angewiesen
Käme es zu solch drastischen Einschnitten, wäre die Empörung unter Deutschlands Unternehmen groß. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bezeichnet den Einzelwagenverkehr auf der Schiene als „Rückgrat vieler deutscher Schlüsselindustrien“ und „Alleinstellungsmerkmal unseres Industriestandorts“.

Denn für den Container- und Gefahrguttransport spielt das Geschäft mit einzelnen Waggons immer noch eine wichtige Rolle – auch weil im Vergleich zum Lastwagen größere Mengen an CO2 in der Logistik eingespart werden.

Gleichzeitig aber gilt er als aufwendig und teuer, weshalb die meisten Wettbewerber der DB nur noch Ganzzüge anbieten. Bei Einzelwagen kommen die Deutsche-Bahn-Rivalen, obwohl sie im gesamten Schienengüterverkehr längst 54 Prozent der Transporte stemmen, zusammen gerade einmal auf einen Marktanteil von zehn Prozent. Die Bahn-Tochter DB Cargo dagegen absolviert vier von zehn ihrer Tonnenkilometer mit einzelbestellten Waggons.

Sie aber hat die Bahn bei den Versendern einzusammeln und an Rangierbahnhöfen zu Verbänden zu koppeln. Da sich automatische Kupplungen bislang nicht durchsetzen, müssen dazu Rangiermitarbeiter zwischen die einzelnen Güterwagen klettern, um sie mit 20 Kilogramm schweren Bügeln und schweren Schrauben zu verbinden.

Zudem erhält der Zug keine Freigabe, ohne dass die Bremsen und der Zustand der Waggons geprüft werden. Damit sorgte der Einzelwagenverkehr zuletzt dafür, die Verluste von DB Cargo auszuweiten.

„Ein Himmelfahrtskommando“, schimpft Konzernbetriebsratschef Jens Schwarz deshalb über das Ziel der Bahn-Tochter, bereits im kommenden Jahr eine schwarze Null zu schreiben. In einer derart kurzen Frist sei ein solcher Turnaround nicht zu schaffen.

Tatsächlich scheint schon für 2023 das Ziel kaum erreichbar, nachdem im ersten Halbjahr bei DB Cargo ein Verlust von 188 Millionen Euro anfiel, wie das Handelsblatt erfuhr. Zahlreiche Baustellen rund um die Osterzeit, Warnstreiks der Bahngewerkschaft EVG, rezessionsbedingte Auftragseinbrüche und der sinkende Dieselpreis für die konkurrierenden Lkw setzten dem Schienengüterverkehr zu. Die Bahn will sich auf Anfrage zu den Zahlen nicht äußern.

Deutsche Bahn: Die EU überprüft bereits die Beihilfen
Der massive Erfolgsdruck für den DB-Vorstand kommt aus Brüssel, wo die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Beihilfeverfahren eingeleitet hat. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager missfällt, dass Berlin seit zehn Jahren die überbordenden Verluste im DB-Güterverkehr mit hohen Subventionen ausgleicht. Die Kommission prüft zudem, inwieweit die Cargo-Tochter vergünstigte Dienstleistungen des DB-Konzerns und konzerninterne Darlehen in Anspruch nimmt.

Ins Rollen gebracht hat das EU-Beihilfeverfahren eine Klage des belgischen Bahnbetreibers Lineas. Der zuvor unter „B-Cargo“ firmierende Gütertransporteur war 2015 von den staatlichen Belgischen Eisenbahnen abgestoßen worden und gehört heute zu 90 Prozent einer Pariser Private-Equity-Gruppe.

Lineas, inzwischen Europas größter privater Schienengütertransporteur, stößt sich an den Subventionen, die den staatseigenen Wettbewerbern zufließen. In Frankreich führte seine Klage bereits dazu, dass dort die staatliche Güterbahn Fret SNCF vor einer Zerschlagung steht.

Die Deutsche Bahn hingegen widerspricht den Anschuldigungen aus Brüssel und verweist auf die Rolle des Einzelwagen-Schienenverkehrs für die Verkehrswende. So ersetzt ein einziger Güterzug bis zu 52 Lkw. Der zuletzt gemessene CO2-Ausstoß im deutschen Verkehr von 147 Millionen Tonnen, so ergeben Berechnungen des Handelsblatts, wäre ohne den Einsatz des DB-Einzelwagenverkehrs um 2,5 Millionen Tonnen höher ausgefallen.

Die Deutsche Bahn hofft auf Hilfe aus Berlin
Die größten Hoffnungen des DB-Vorstands, den Einzelwagenverkehr doch noch wirtschaftlich stabilisieren zu können, ruhen seit wenigen Tagen auf dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Haushaltsentwurf. Dort stehen für dessen Förderung im kommenden Jahr 300 Millionen Euro bereit – zwar 50 Millionen weniger als von Nikutta gefordert, aber 220 Millionen mehr als 2023.

„Die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel ist ausreichend, damit alle Marktteilnehmer entsprechend ihren Geschäftsmodellen davon profitieren können“, lobt Joachim Berends, Vizepräsident des Branchenverbands VDV. Und auch ein DB-Sprecher signalisiert Entspannung: „Die Politik hat die Wichtigkeit des Einzelwagenverkehrs erkannt, wie der aktuelle Haushaltsentwurf zeigt“, sagt er auf Anfrage. „Die Weichen für den Schienengüterverkehr werden in die richtige Richtung gestellt.“

Man erwarte keine jahrelange Förderung des Einzelwagenverkehrs durch die Berliner Regierung, erklärt dazu ein Manager der Deutschen Bahn. Die Zuwendungen müssten jedoch so lange gezahlt werden, bis europaweit die „Digitale Automatische Kupplung“ (DAK) an allen Güterwaggons angebracht sei, die das Rangieren von Einzelwagen erheblich erleichtern soll.

Technisch stehe die Lösung längst parat, verzögert aber werde das Projekt durch die hohen Kosten. Weil 400.000 Güterwagen in Europa umgerüstet werden müssten, was nach Einschätzung von Experten über zwölf Milliarden Euro kostet, hält die DB einen Start vor 2032 für wenig wahrscheinlich.

Doch die nun in Aussicht gestellte Förderung bedarf noch der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat – und darüber hinaus dem Einverständnis der EU-Wettbewerbshüter. Gezahlt wird sie im Übrigen nicht unmittelbar an DB Cargo. Sie ist an die konkrete Zugleistung gekoppelt, was nun auch Wettbewerber auf den Plan rufen dürfte.

Nicht alle Anbieter schreiben Verluste
Anders als vom DB-Konzern behauptet, bereitet der Einzelwagenverkehr keineswegs allen Schienengüter-Verkehrsanbietern Verluste. Eine Erhebung der Bundesnetzagentur unter den in Deutschland tätigen Anbietern – darunter neben DB Cargo auch Captrain, Lineas und SBB Deutschland – ergab, dass 37 Prozent von ihnen Gewinne erzielten.

Selbst im Coronajahr 2020 schafften die besten von ihnen in dieser Sparte eine Gewinnmarge von 22 Prozent, während der gesamte Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn auf jeden Euro Umsatz vor Steuern und Zinsen knapp 19 Cent drauflegte.

Entsprechend wenig Verständnis hat Peter Westenberger, Geschäftsführer beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), für die Subventionierung der Deutschen Bahn. „Anders als die meisten Wettbewerber konzentriert sich die DB Cargo darauf, mehr öffentliche Förderung für sich zu gewinnen, und weniger darauf, ihre Produktivität oder die Kundenzufriedenheit zu steigern“, kritisiert er.

Das Unternehmen biete ständig unter Kosten an und schädige damit die korrekt kalkulierenden Wettbewerber, die sich eine solche Vorgehensweise nicht leisten könnten.

Die Wettbewerbshüter in Brüssel dürften daher weiterhin ein wachsames Auge auf Berlins Stützungsaktionen für die Deutsche Bahn haben.

Quelle:
Handelsblatt

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