Stückgut verdrängt Reefer-Ladung

Solche Kapazitätsprobleme hat es im Seefrachtgeschäft noch nicht gegeben. Abfahrten in der Container-Linienschifffahrt sind mehrere Wochen im Voraus ausgebucht – mehr oder weniger in allen Fahrtgebieten gleichzeitig. Die Erholung der Ladungsmengen im Überseeverkehr überfordert die Carrier massiv, auch weil die Abfertigungsprozesse in den Häfen und im Hinterland aufgrund der Pandemie deutlich verlangsamt sind. Die Produktivität hat extrem gelitten.

Wohl noch stärker als normales Stückgut ist verderbliche Ware betroffen. Das Angebot an Spezialequipment ist zur Hochsaison im Frühjahr sowieso stets knapp. Dieses Jahr droht sogar vermehrt Ware – betroffen vor allem die Obsternte in Südamerika und Südafrika – liegen zu bleiben oder in heimischen Märkten verramscht zu werden, weil die Container-Carrier keinen Platz haben. Selbst wenn die Exporteure höhere Frachtraten böten, könnten viele aktuell kaum versorgt werden, weil nicht einmal die erforderlichen Kühlcontainer verfügbar sind.

Der Grund: Die Repositionierung von Reefer-Containern aus Fernost heraus kam zeitweilig zum Erliegen. Marktinsider schätzen, dass sich die Zahl der Beladungen eines Reefer-Containers pro Jahr („Rundläufe“) in der Folge von knapp 4,5 auf 3,5 verringert hat. „Früher wurden die leeren Kühlcontainer in den oberen Lagen an Deck mitgenommen. Dafür sind den Carriern ihre Stellplätze jetzt zu wertvoll“, sagt Philip Gray, Reefer-Analyst der Beratungsfirma Drewry. Unterdessen sind die Frachtraten für Kühlcontainer laut Drewry im ersten Quartal bereits um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

Chiles Exporteure hatten Glück
In Chile seien die Exporteure noch einigermaßen sicher durch die Saison gekommen, „wobei ihnen auch geholfen hat, dass die Traubenernte und damit das Volumen etwas reduziert war“, berichtet Gray. Schwieriger dürfte es jetzt für die Zitrus- und Kernobstbauern an der Ostküste Südamerikas, in Südafrika und für die Kiwi-Exporteure in Neuseeland werden.

Zum Pech der Verlader auf der Südhalbkugel habe sich der Zustrom an Kühlcontainern durch die Sperrung des Suezkanals noch einmal verlangsamt, unterstreicht Analyst Darron Wadey von der Beratungsfirma Dynamar. Zumindest gebe es einen Lichtblick für die Zitrus-Exporteure in Südafrika, die in den kommenden Wochen nach guter Ernte besonders große Mengen erwarten. „Die Reederei MSC hat kürzlich ein Schiff mit 2.000 leeren Kühlcontainern an Bord in den Hafen Nqgura umgelenkt“, sagt Wadey. Die südafrikanische Fruchtbranche schätzt den Gesamtbedarf an Containern für die kommenden sechs Monate auf 120.000 Stück.

Noch monatelang Engpässe
Claus Aagaard, Leiter Global Reefer Logistics bei DB Schenker, erwartet, dass die Equipment-Engpässe noch Monate andauern werden. „Das fühlt sich heute an wie eine Peak Season in allen Trades gleichzeitig. Neugeschäft im Reefer-Business ist deshalb sehr schwierig.“ Europäische Exporteure könnten noch nicht auf Entspannung hoffen, da die großen Schiffe aus Fernost nach wie vor fast ohne Kühlcontainer reinkämen.

Damit sich daran etwas ändert, müsste sich das Ratengefüge etwas normalisieren. „Aktuell ist der Markt völlig verzerrt.“ Die Raten-Hausse bei trockenem Stückgut habe dazu geführt, dass Reefer-Ladung komplett verdrängt und Spezialequipment gar nicht mehr für den eigentlichen Zweck verwendet werde. „So wird Dry-Ladung wie Baumaterial inzwischen im Kühlcontainer befördert, weil es die günstigste Option ist, während verderbliche Ware liegen bleibt, weil die Raten dafür zu hoch sind.“ Da die Raten für Trockengut eher noch weiter ansteigen, müssen sich Reefer-Kunden wohl auf noch drastischere Kostensteigerungen einstellen.

Drewry-Analyst Gray rechnet zwar im Laufe des dritten Quartals mit einer gewissen Entspannung, wenn das Fruchtgeschäft auf der Südhalbkugel abgefahren ist. Ab dem vierten Quartal könnten sich die Engpässe dann wieder verschärfen, wenn die Exporte aus Europa heraus Fahrt aufnehmen.

Spitzenraten für Kühlfrachter
Als Alternative kommt wieder verstärkt der Transport mit konventionellen Kühlschiffen ins Spiel. Die Nachfrage nach Schiffen nahm seit Jahresanfang so stark zu, dass die Charterraten auf den höchsten Stand seit Jahren kletterten. Größere Frachter mit 450.000 bis 700.000 Kubikfuß Kühlraumkapazität erzielten für einzelne Fahrten im Atlantik und im Pazifik Spitzenraten von über 110 US-Cent pro Kubikfuß (30 Tage Reisedauer). Damit erzielten die Schiffe teils Tageseinnahmen von über 20.000 Dollar pro Tag – rund 50 Prozent mehr als vor einem Jahr.

In verschiedenen Fahrtgebieten griffen Kunden, die seit vielen Jahren nur noch per Kühlcontainer verladen hatten, erstmals wieder auf Kühlschiffe zurück. So nahm der US-Zitrus-Lieferant Sunkist kurz hintereinander zwei große Schiffe für Verladungen von der US-Westküste nach Südkorea und Japan unter Vertrag. „Bestimmte Häfen, die gar nicht mehr für konventionelles Kühlgut ausgerüstet sind, investieren jetzt wieder in das Equipment“, stellt Yntze Buitenwerf, Chef der niederländischen Kühlschiffsreederei Seatrade, fest. Bis vor kurzem schien die Kühlschifffahrt – speziell das Segment der großen Schiffe für Bananen und saisonale Früchte – auf ihr sicheres Ende zuzusteuern. Nur noch rund 150 Einheiten umfasst die Flotte weltweit.

Doch jetzt wendet sich das Blatt anscheinend, meint Buitenwerf. Mehr und mehr große Verlader würden erkennen, dass sie auf Kühlschiffe als Reserve angewiesen seien. Da könnte es sinnvoll sein, wieder über Neubauten nachzudenken. „Das dürfen keine spekulativen Schiffsprojekte sein, nur auf Basis lang laufender Verträge mit Ladungskunden“, so Buitenwerf. „Immerhin zeigen einige große Verlader ernsthaftes Interesse an Frachtverträgen über 5 Jahre.“

Der Konkurrent Cool Carriers/Baltic Shipping gehört zu den ganz wenigen, die dieses und nächstes Jahr neue Schiffe bekommen. Drei „Jumbo“-Frachter mit 900.000 Kubikfuß Kapazität wurden seit 2018 in Empfang genommen. Zwei folgen noch nächstes Jahr. „Damit setzen wir ein Signal, dass wir langfristig im Geschäft bleiben“, sagt Glenn Selling, Chief Operating Officer von Cool Carriers in Stockholm. Die größeren Schiffe seien erfolgreich im Verkehr zwischen Ecuador und Europa sowie zwischen Neuseeland und Europa im Einsatz. „Wahrscheinlich schicken wir dieses Jahr erstmals zwei der großen Schiffe für die Saison nach Südafrika.“

Die Ertragslage sei zufriedenstellend. Erhöhte Kosten aufgrund der Pandemie hielten sich in Grenzen, so Selling. Zwar laden die konventionellen Carrier stets auch Ware in Containern an Deck. Aber die Logistik dafür sei nicht von Verzögerungen oder Engpässen im Hinterlandverkehr betroffen wie bei den Container-Linienreedereien. Grund: Die Kühlcontainer der Spezial-Carrier würden in der Regel noch im Hafen entladen und rechtzeitig für die Abfahrt des gleichen Schiffs zurück an Deck gebracht.

Quelle:
DVZ

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