Untergang der „X-Press Pearl“: Eine verschobene Katastrophe?

Regen und Sturm erschweren die Untersuchung des gesunkenen Frachters „X-Press Pearl“ vor Sri Lanka. Doch es werden immer mehr tote Tiere angeschwemmt. Und zum Unglücksablauf gibt es einen Verdacht

Es ist ein Bild, das sich seit Tagen kaum verändert hat: Der hintere Teil der „X-Press Pearl“ liegt in 21 Metern Tiefe am Meeresboden auf, heraus schauen nur die Aufbauten. Der Bug ragt noch aus dem Wasser, doch ganz langsam sinkt auch er.

Örtliche Behörden und Umweltschützer haben noch immer Angst vor einer Ölpest, auch wenn bisher offenbar kein Öl in nennenswertem Umfang austritt. Man beobachte die Situation sehr genau, sagte der srilankische Seerechtsexperte Dan Gunasekera der ARD: „Wir wissen im Moment nicht sicher, wie viel Öl noch in den Tanks ist. Die Taucher konnten noch nicht in vollen Umfang eingesetzt werden.“Grund hierfür seien Regen und Sturm, die Untersuchungen am Schiff schwierig machten. An Bord des Schiffes waren nach Angaben der Reederei gut 280 Tonnen Schweröl, 50 Tonnen Schiffskraftstoff sowie eine Reihe von Chemikalien in 81 Gefahrgut-Containern.

Hat das Tiersterben schon begonnen?
Unterdessen werden immer mehr tote Meerestiere und Seevögel an den Stränden im Westen Sri Lankas angespült, darunter zehn große Meeresschildkröten und ein Delfin. Die örtlichen Behörden untersuchen, ob sie an Öl, Chemikalien oder den ebenfalls von der „X-Press Pearl“ stammenden Plastikteilchen zugrundegegangen sind.Unter dem Schiffsunglück leiden auch Tausende Familien, die vom Fischfang leben. Ihnen wurde verboten, aufs Meer zu fahren. „Wir haben alle große Angst“, sagte ein Fischer aus der Region einem srilankischen Reporter, „wir können die Fische nicht mehr essen, die sind verseucht“. Normalerweise gewännen sie auch Salz aus dem Meerwasser – „aber auch das können wir nicht mehr tun“.

Mitglieder der Crew vor Gericht
Die Suche nach den Verantwortlichen hat indes längst begonnen. Der Kapitän, der leitende Schiffsingenieur und dessen Vertreter sollen im Laufe des Tages dem Obersten Gerichtshof von Sri Lanka vorgeführt werden. Sie gelten als Beschuldigte in dem Verfahren wegen des Schiffsunglücks.Die Ermittler vermuten, dass ein Leck in einem Container mit Salpetersäure zu dem verheerenden Brand an Bord der „X-Press Pearl“ geführt hat. Sie gehen der Frage nach, ob die Besatzung den Behörden vor dem Einlaufen in Sri Lanka sicherheitsrelevante Informationen vorenthalten hat.Man erhoffe sich neue Erkenntnisse durch die Auswertung der Black Box des Containerschiffes, sagen sie. Der Unfalldatenschreiber war am Wochenende gefunden worden.

Eine hin- und hergeschobene Katastrophe?
Das Leck war bereits am 11. Mai aufgetreten. Hafenbehörden in Dubai und im westindischen Bundesstaat Gujarat sollen sich geweigert haben, den defekten Container auszuladen. Am 20. Mai traf die „X-Press Pearl“ vor Colombo ein.Kurz darauf meldete die Besatzung ein Feuer. Löschversuche, auch mit Hilfe der indischen Küstenwache, blieben weitgehend erfolglos. Am Ende war das Schiff fast vollständig ausgebrannt.Die massiven Schäden an der Umwelt werde die Versicherung tragen, hatte Shmulick Yoskovitz, Chef der Reederei X-Press Feeders, bereits am Freitag einem TV-Sender in Singapur gesagt. Und, durchaus ungewöhnlich zu diesem Zeitpunkt, er entschuldigte sich beim srilankischen Volk „für den Schaden, den dieser Vorfall an den Lebensgrundlagen und der Umwelt Sri Lankas verursacht hat“.

Warten auf die Berichte der Experten
Wie groß dieser Schaden aber ist, lasse sich aber längst noch nicht sagen, sagt der Meeresexperte Dan Gunasekera. „Wir haben derzeit keinerlei zuverlässige Einschätzung, was die Schäden anbelangt. Deshalb müssen wir warten, bis die Experten auf diesem Gebiet, Naturwissenschaftler und Meeresbiologen, ihre Berichte und Beweise zusammengetragen haben, wie sehr das Leben im Meer in Mitleidenschaft gezogen wurde.“Immerhin: Bei der Beseitigung der Schäden gibt es durchaus auch Erfolge. Soldaten der srilankischen Marine konnten an den Stränden der Insel viele Tonnen Plastikpellets einsammeln, die aus dem Schiff ins Meer gespült worden waren.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels wurde die Menge des an Bord befindlichen Kunststoffgranulats fälschlicherweise mit 780 Tonnen angegeben. Tatsächlich waren es jedoch lediglich 78 Tonnen. Srilankische Behörden geben zwar an, dass im Zuge der Aufräumarbeiten bereits mehr als 580 Tonnen Plastik an den Stränden eingesammelt wurden. Offenbar wurden dabei aber auch andere Plastikteile sowie Sand mitgewogen.

Quelle:
Tagesschau

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