90 Prozent weniger Datenpunkte: Frachter vor China verschwinden vom Radar

Ausgerechnet in der geschäftigen Vorweihnachtszeit droht das Lieferketten-Chaos noch schlimmer zu werden. Containerschiffe vor China können plötzlich nicht mehr geortet werden. Was bedeutet das? Und wer oder was steckt dahinter?

Schifffahrtsexperten dürften sich in den vergangenen Wochen immer wieder die Augen gerieben haben. Schenken sie den Anzeigen ihrer Trackingprogramme für Containerschiffe Glauben, herrscht vor den Küsten Chinas plötzlich gähnende Leere. Ganze 90 Prozent der Frachter, die üblicherweise in den Gewässern vor der Küste kreuzen, sind laut dem globalen Marktforscher und Datenanbieter VesselsValue nicht mehr existent.

Zumindest sind sie nicht mehr auf den Monitoren der Datenanbieter zu orten. „Wir sehen derzeit einen branchenweiten Rückgang der terrestrischen AIS-Signale in China“, zitiert der US-Sender CNN Charlotte Cook, Handelsanalystin bei VesselsValue. AIS ist ein automatisches Schiffs-Identifikations-System, das nicht nur die Sicherheit in der Seefahrt erheblich verbessert hat. Reedereien verwenden die Daten auch zur besseren Planung von Schifffahrtsrouten.

Durch das Automatic Identification System können sich Frachter identifizieren und Daten über Kurs, Geschwindigkeit, Position sowie andere Informationen austauschen. Insbesondere im weltweiten Lieferketten-Chaos ist die genaue Datenverfolgung inzwischen zu einem wichtigen Hilfsmittel für die Schifffahrt geworden.

Aufgefallen sein soll der extreme Schwund Analysten bereits Ende Oktober. Dass vor den Küsten der zweitgrößten Volkswirtschaft mit den weltweit größten Warenumschlagplätzen nicht das Mindeste los sein soll, gibt Rätsel auf.

Suche nach Erklärungen
Nach offiziellen chinesischen Angaben liegen keine technischen Störungen vor. Auf Nachfrage von CNN teilte das Außenninisterium mit, dass die AIS-Stationen entlang der Küste “ nicht geschlossen wurden“ und auch „normal funktionieren“. Analysten vermuten inzwischen etwas anderes hinter dem Datenschwund.

Am 1. November 2021 trat in China das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten (Personal Information Protection Law, PIPL) in Kraft. Das Gesetz regelt nicht nur den Umgang mit personenbezogenen Daten zum größeren Schutz der Privatsphäre innerhalb des Landes. Es sorgt auch für Leitplanken bei der Übermittlung von Daten ins Ausland. Peking will so verhindern, dass sensible Daten aus China in die Hände ausländischer Regierungen fallen.

Auf den ersten Blick ähnelt das Gesetz zwar der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Tatsächlich entpuppt es sich aber immer mehr als perfekter Daten-Lockdown, mit der sich China auch zunehmend in der Welt isoliert. Es gibt nur eine wichtige Einschränkung: Der Überwachungsdrang des chinesischen Apparats, darf weiter alles mitlesen und mithören.

Ursprünglich zielte das Gesetz auf große private Tech- und Internetkonzerne wie Alibaba oder Tencent ab, deren Einfluss in China rasant gewachsen ist, was der Führung in Peking ein Dorn im Auge geworden ist. Dass sich dieses Gesetz auch auf die Datenverarbeitung des internationalen Schiffsverkehrs auswirken würde, war nicht absehbar. Schiffahrt und damit verbundene Daten werden im Gesetz überhaupt nicht erwähnt.

Stresstest zu Weihnachten
Ob es sich tatsächlich um Einschränkungen durch das Datenschutzgesetz handelt, ist zwar nicht bestätigt. Dass die Regierung ihre Finger im Spiel haben könnte, ist aber nicht unwahrscheinlich. Wie VesselsValue unter Berufung auf Quellen in China berichtet, sollen AIS-Transponder entlang der Küste abgebaut worden sein.
Die Frachter können zwar auch von Satelliten aus dem Weltraum geortet werden, die Verfolgung der Schiffe von Land aus ist aber deutlich genauer und sicherer. Angesichts strapazierter Lieferketten ist eine gute Datenverarbeitung praktisch die einzige Chance für Reeder, Routen besser zu gestalten. Sie können gezielt Häfen ansteuern, in denen ihre Containerschiffe auch zügig gelöscht werden können.

„Wenn wir in die Weihnachtszeit gehen, wird dies einen wirklich großen Einfluss auf (die Lieferketten) haben und dies ist derzeit das wichtigste Element“, zitiert CNN den Medienstrategen für Seeverkehr, Georgios Hatzimanolis. Die globale Lieferkette stehe bereits unter „großem Stress“. „Es braucht keinen weiteren Faktor, um es schwieriger zu machen.“

Quelle:
NTV

Schreibe einen Kommentar