Schrottschiffe in Südasien

Erstmals gehen Staatsanwaltschaften massiv gegen deutsche Reedereien vor, die Schrottschiffe illegal in Südasien entsorgt haben sollen. Nach Informationen von NDR und SZ wird auch gegen die Präsidentin des Reederverbands ermittelt.

Es war eine Reise, an deren Ende die Crew die „Westerhamm“ mit voller Absicht in den Sand setzte. Am 2. November 2016 legte das Containerschiff einer Rendsburger Reederei in Bremerhaven ab. Endstation war sieben Wochen später Alang im westindischen Bundesstaat Gujarat. Auf mehr als hundert Werften zerlegen dort Wanderarbeiter ausrangierte Kähne aus aller Welt – unter oft fragwürdigen Arbeits- und Umweltbedingungen.

Die „Westerhamm“ jedoch hätte wohl nie hier landen dürfen. Deshalb stehen demnächst die beiden Inhaber der Rendsburger Reederei vor Gericht. Und die Spuren dieses Falles führen bis in die vornehme Hamburger Elbchaussee – und in die Spitze des mächtigen Verbands Deutscher Reeder (VDR).

Schrottschiffe dürfen nicht einfach exportiert werden
Der Vorwurf gegen die Reeder aus Rendsburg: Als das Schiff in Bremerhaven ablegte, war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Kiel schon klar, dass es wenige Wochen später in Südasien verschrottet werden sollte. Schrottschiffe aber sind dem Gesetz nach gefährlicher Abfall – und der darf nicht einfach aus der Europäischen Union exportiert werden.Wenn Schiffe deutscher Reeder nicht in EU-Gewässern unterwegs sind, sondern im Fernen Osten, in Afrika oder Südamerika, steht einer Verschrottung in Südasien kein europäisches Gesetz im Wege. Und auch wenn in EU-Häfen ankernde alte Kähne zum Weiterbetrieb an außereuropäische Käufer veräußert und erst später verschrottet werden, ist das vollkommen legal.

Nicht selten aber besteht der Verdacht, dass nur behauptet wird, ein Schiff werde nach dem Verkauf weiterbetrieben, in Wirklichkeit aber ist längst klar, dass es verschrottet werden soll. Für die Ermittler ist das schwierig zu belegen. Sie brauchen Beweise, dass die Entscheidung zur Verschrottung bereits gefallen war, als sich das betroffene Schiff noch in der EU befand.Im Fall der „Westerhamm“ glaubt die Staatsanwaltschaft Kiel das beweisen zu können. Zum einen fuhr das Schiff Ende 2016 ohne Umwege von Bremerhaven nach Alang. Und zum anderen sollen die Reeder bereits im September, also mehrere Wochen vor dem Ablegen in Bremerhaven, entschieden haben, sie „notfalls zum Schrottpreis“ zu verkaufen. Der Verkauf selbst geschah dann wohl beim einzigen Zwischenstopp auf der Reise nach Südasien, im ägyptischen Hafen Port Said vor der Einfahrt in den Suezkanal. Als das Schiff vor Alang lag, soll die Rendsburger Reederei dem Kapitän noch per E-Mail die Order gegeben haben, die „Westerhamm“ auf den Strand zu fahren. So steht es in der Anklage.

Ermittlungen gegen Reeder-Präsidentin
Die Kieler Staatsanwaltschaft zielt im Zusammenhang mit der „Westerhamm“ aber nicht nur auf die beiden Rendsburger Reeder. Nach Informationen von NDR und SZ wird auch gegen die Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder, Gaby Bornheim, ermittelt. Sie ist das Gesicht der Branche und gleichzeitig Geschäftsführerin einer der größten Reedereien Deutschlands, der Peter Döhle Schifffahrts-KG mit Sitz an der Hamburger Elbchaussee.

Auch gegen die beiden Inhaber des Unternehmens, Christoph Döhle und Jochen Döhle, führt die Staatsanwaltschaft Kiel ein Ermittlungsverfahren. Vorgeworfen wird ihnen, als „dazwischengeschalteter Makler“ für den Export des Schrottschiffes mitverantwortlich zu sein, so der Kieler Oberstaatsanwalt Henning Hadeler. Gaby Bornheim und die Inhaber der Reederei Peter Döhle sollen geholfen haben, dass das Schiff tatsächlich am Strand in Indien ankommt.Diese Ermittlungen seien allerdings noch nicht abgeschlossen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Keiner der Beschuldigten wollte sich auf Nachfrage zu den Ermittlungen äußern – „auch aus Respekt vor den Ermittlungsbehörden“, wie das Unternehmen mitteilte. Man kooperiere „vollumfänglich mit Polizei und Staatsanwaltschaft“ und sei „an einer zügigen Klärung der im Raum stehenden Vorwürfe sehr interessiert.“ Schiffsrecycling sei „eine äußerst komplexe und insbesondere juristisch anspruchsvolle Materie“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Weitere Beschuldigte im Visier der Staatsanwaltschaft
Für die Branche ist der Prozess um die „Westerhamm“ ein Präzedenzfall. Ermittler aus ganz Norddeutschland beobachten ihn genau. „Diesen Prozess werden wir uns genauestens anschauen“, sagte beispielsweise eine Hamburger Staatsanwältin. In der Hansestadt ist das Interesse auch deshalb groß, weil die dortige Staatsanwaltschaft selbst seit geraumer Zeit gegen Reeder ermittelt, deren Schrottschiffe in Indien, Pakistan und Bangladesch endeten. Im Sommer 2021 und im Frühjahr dieses Jahres hatte es bereits mehrere Durchsuchungen gegeben, die Zahl der Beschuldigten ist den Recherchen zufolge zweistellig.Dass eines Tages die Staatsanwaltschaft vor der Tür stehen könnte, damit habe in der Branche wohl kaum einer gerechnet, sagt Recyclingexperte Henning Gramann aus Lüneburg: „Ich denke, dass es so eine Mischung ist zwischen ‚Vielleicht erwischt es mich ja nicht‘ oder ‚So was ist ja noch nie passiert.'“

Der Fall der „Westerhamm“ könnte Signalwirkung für viele dieser Verfahren haben. In den Jahren 2016/2017 endeten fast 150 Schiffe deutscher Reeder an den Stränden Südasiens. Welches Ausmaß die deutschen Schrottexporte alleine nach Alang hatten, zeigt ein Satellitenbild vom März 2017. Darauf sieht man neben der bereits zur Hälfte zerlegten „Westerhamm“ weitere 97 Schrottkähne. Ein Viertel davon war zuvor in deutscher Hand – und zumindest bei einigen davon gehen Ermittler der Frage nach, ob sie illegal hierherkamen.

Indischer Werftbesitzer zahlen gut
„Der Grund, warum solche Schiffe nach Indien und Bangladesch in Südasien gehen, ist, dass dort der höchste Preis bezahlt wird“, sagt Ingvild Jenssen von der „NGO Shipbreaking Platform“, einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Brüssel, die sich seit Jahren mit der Abwrackindustrie beschäftigt.Fraglich ist auch, auf welche Weise die Schiffe in Alang zerlegt wurden. Zwar gibt es seit Jahren Werften, die in Arbeitsschutzmaßnahmen und Umweltschutz investiert haben. Doch es gibt eben auch die vielen anderen, bei denen es vor allem ums schnelle Geld geht. Denn je „schmutziger“ und damit billiger das Recycling und je schlechter die Arbeitsbedingungen für die zehntausenden Wanderarbeiter, die oft in selbstgebauten Blechhütten neben den Werften hausen, desto mehr können die indischen Werftbesitzer für die alten Kähne zahlen.

Als die „Westerhamm“ und die vielen anderen deutschen Schiffe in Alang auf den Strand gefahren wurden, habe keine Werft die „Grundanforderungen an ein sicheres und umweltgerechtes Schiffsrecycling“ erfüllt, so Ingvild Jenssen von NGO Shipbreaking Platform. „Das war etwas, was der Industrie und den deutschen Reedern durchaus bewusst war. „Der Verband Deutscher Reeder wirbt zwar auf seiner Internetseite für „grünes Schiffrecycling“. Man könne „allerdings seinen Mitgliedern wie jeder andere Verband auch nur ein Verhalten empfehlen, sie aber nicht dazu verpflichten“, so der VDR in seiner Stellungnahme.

Quelle:
Tagesschau

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