Deutsche Bahn: Was bringt der geplante Konzernumbau?

Der Bahn droht langfristig die Zerschlagung, wenn die von der Koalition geplante Trennung von Netz und Betrieb kommt – das geht aus einer Studie hervor, die SWR und „Tagesspiegel“ exklusiv vorliegt. Der Monopolkommission geht die Trennung indes nicht weit genug.

Um das hochbelastete und störanfällige Schienennetz für die Mobilitätswende und die Klimaziele fit zu machen, plant die Ampelkoalition eine weitreichende Strukturreform der Bahn. FDP und Grüne hatten sich damit durchgesetzt, das Netz vom Betrieb zu trennen. Die SPD dagegen wollte die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern in öffentlichem Eigentum erhalten.

Wie Recherchen von SWR und „Tagesspiegel“ zeigen, gehen die Vorstellungen darüber, was der Konzernumbau für die Bahn konkret bedeutet, weit auseinander. Der Koalitionsvertrag lässt viel Raum für Spekulation. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen sollen demnach „markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt“ werden. Die Schienen und Bahnhöfe werden dagegen in einer neuen Infrastruktursparte zusammengefasst und vom Zugbetrieb getrennt.Die neue gemeinnützigen Schienengesellschaft soll in der DB-Holding verbleiben, aber weitgehend unabhängig agieren und gegenüber dem Vorstand nicht weisungsgebunden sein. Verkehrsminister Volker Wissing möchte diese neue Gesellschaft zum 1. Januar 2024 auf den Weg bringen, wie er in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bahnchef Richard Lutz zur Generalsanierung der Bahn erklärte.

Erosion des Bahnsystems befürchtet
Welche Auswirkungen die Trennung von Netz als Gemeingut und Betrieb im freien Wettbewerb für Klima, Kunden und Beschäftigte haben wird, damit beschäftigt sich eine Kurzstudie im Auftrag des Bündnisses „Bahn für Alle“, ein Aktionsbündnis von Umweltorganisationen und Gewerkschaften. Die Studie liegt dem „Tagesspiegel“ und dem SWR exklusiv vor.Studienleiter Carl Waßmuth fasst die Ergebnisse seiner Untersuchung im Interview mit dem SWR so zusammen: „Die Untersuchung zeigt: Was die Koalition da vorschlägt, birgt Sprengstoff. Die angedachte vertiefte Trennung von Netz und Betrieb führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Erosion des Bahnsystems als Ganzem. Insbesondere die Verkehrsgesellschaften sind dann von Privatisierung bedroht. Gleichzeitig werden Deutschlandtakt und Infrastrukturausbau womöglich auf viele Jahre blockiert, wie Beispiele zeigen.“Der Diplom-Ingenieur ist Mitbegründer und Vorstand von „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) und im Bündnis „Bahn für Alle“. Als Experte und Autor zahlreicher Studien und Fachartikel zur Infrastruktur war Waßmuth mehrfach als Sachverständiger zu parlamentarischen Anhörungen geladen.

Das Klima als erstes Opfer
In der 60-seitigen Analyse geht es um eine Folgenabschätzung der aktuellen Koalitionsvereinbarung. Dazu vergleichen Waßmuth und sein Team die Privatisierungen und öffentlich-private Partnerschaften im Verkehrssektor und anderen Bereichen der kritischen Infrastruktur wie Energieversorgung, Wasserwirtschaft und Gesundheitswesen.Erstes Opfer könnte der Studie zufolge das Klima werden, denn durch den angestrebten Konzernumbau drohe eine drastische Verzögerung der politisch gewünschten Infrastrukturentwicklung. Als Beispiel führt die Studie die Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes an, die acht Jahre in Anspruch genommen habe.Nachteile für die Bahnkunden seien vor allem in der Fläche zu erwarten, etwa bei Versorgung und Preisentwicklung oder der durchgehenden Gültigkeit der Fahrkarten. Durch die zu erwartende Fragmentierung sei außerdem der Deutschlandtakt gefährdet. Für die Beschäftigten befürchten die Autoren eine drohende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch eine Aufspaltung in neue GmbHs im Eigentum internationaler Infrastrukturfonds.

Koalitionsvertrag: Zentrale Fragen bleiben offen
Kritisiert wird der Koalitionsvertrag aber auch von denen, die eine Trennung von Netz und Betrieb fordern: „Ein Herauslösen der Infrastruktur ist ein Schritt in die richtige Richtung“, kommentiert der Vorsitzende der Monopolkommission, Jürgen Kühling, die Pläne der Koalition. „Allerdings bleiben im Koalitionsvertrag zentrale Fragen offen.“ Insbesondere bleibe unklar, was genau unter einer „gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte“ zu verstehen sei.Die SPD erklärt es so: „Wir haben uns als SPD in den Koalitionsverhandlungen mit Erfolg dafür eingesetzt, die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum zu erhalten.“ Dies sei eine klare Absage an die Trennung von Netz und Betrieb, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Detlef Müller dem „Tagesspiegel“. „Ganz im Gegenteil: Wir sorgen dafür, dass die neue Infrastruktursparte gemeinwohlorientiert und nicht gewinnmaximierend aufgestellt sein wird. Die Gewinne aus dem Betrieb werden durch die Reform vollständig in der Infrastruktur verbleiben“, so Müller weiter.“Verbleibt die Infrastruktursparte im Eigentum der Deutschen Bahn AG, ist die Gefahr von Wettbewerbsverzerrung auf den nachgelagerten Schienenverkehrsmärkten nicht gebannt“, kritisiert hingegen Kühling. Die Monopolkommission hatte in der Vergangenheit gefordert, die Deutsche Bahn AG zu zerschlagen und die Staatsanteile zu verkaufen. Kühling hält eine echte Trennung der Infrastruktur vom eigentlichen Bahnbetrieb zur Stärkung des Wettbewerbs auf der Schiene weiterhin für dringend geboten.

Schweiz als Vorbild
Dem widerspricht Katrin Kusche vom Bündnis „Bahn für Alle“ vehement mit Blick auf die Ergebnisse der Studie, die am 24. Juni der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll: „Die Bahn muss in ihrer Gesamtheit politisch gesteuert werden, statt sie in Stücke zu zerschlagen. Die Schweiz zeigt seit Jahren: Wenn man einen klugen Plan erstellt und alle Beteiligten darauf verpflichtet, kann man auch eine Aktiengesellschaft steuern. Das ginge auch hier bei uns – und angesichts der Klimakrise wäre es geradezu mörderisch, das nicht zu tun.“Ähnlich sieht das Mobilitätsforscher Andreas Knie vom „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ (WZB). „Die operative Bahn muss wieder zu einem integrierten Konzern zusammengefügt werden; alles in einer Hand und in einer Verantwortung, keine Ausflüchte mehr.“ Der Wettbewerb müsse an anderer Stelle stattfinden, erklärt er im Interview mit dem SWR. „Die Leistungen der Bahn können durch Dritte vermarktet werden, analog dem Erfolgsbeispiel des Mobilfunkmarktes“, sagt Knie.Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel, widerspricht der Kritik: „Für uns gilt der Koalitionsvertrag und wir drängen darauf, diese vereinbarte Reform, hinter der wir voll und ganz stehen, nun zügig anzugehen.“

Quelle:
Tagesschau

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