Zeitenwende auf der Seidenstraße

Türkische Lkw-Unternehmen bekommen momentan gute Angebote aus Deutschland, Ladung durch die Türkei nach Zentralasien zu fahren. Das berichtet Alper Özel, Chef des Exekutivrates beim Verband der international tätigen türkischen Lkw-Unternehmer (UND) in Istanbul. Straßentransporteure am Bosporus zählen zu den Profiteuren des Ukraine-Kriegs, die Türkei wird als Transitland für Verkehre zwischen Europa und China immer interessanter, beobachtet der UND-Chef: „Wir sehen eine starke Verlagerung von der Schiene.“

Bislang führten wichtige Trassen der Eisernen Seidenstraße durch Russland und Belarus. Doch Verlader haben dort seit dem russischen Angriff Versicherungsprobleme und suchen Alternativen. „Das Zauberwort heißt Verfügbarkeit“, sagt Özel. Die Zeitenwende auf der Seidenstraße bringt er so auf den Punkt: „Der Preis ist egal – Hauptsache, die Ware wird transportiert.“ Aus der Branche ist zu hören, die Kosten hätten sich verfünffacht.

Die neue Attraktivität des Lkw auf der Langstrecke erweist sich als „Sesam, öffne dich“ für Routen, die bis vor kurzem undenkbar schienen. Das abgeschottete Turkmenistan habe seit dem 1. Juni seine Grenzen in Sarakhs (zum Iran) und Farap (nach Usbekistan) für Transitfahrten mit Eskorte geöffnet, erklärt Özel. Sobald türkische Fahrer Visa erhalten, rechnet er mit dem ersten Konvoi. Zuvor wurde zwischen Kapikoy bei Saray in der türkischen Provinz Van ein neuer Übergang nach Razi (Iran) eingerichtet.

Neue Wege öffnen sich
Über eine südliche Ausweichroute wickelt seit kurzem auch Dachser Cargoplus Komplettladungsverkehre zwischen chinesischen Produktionsstätten und Abnehmern in Europa ab. Der Transport verlässt China in Alashankou nach Kasachstan, gelangt per Fähre über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan und via Georgien und durch die Türkei bis Europa. Die Ware muss zweimal umgeladen werden. Durch Wartezeiten an den Grenzen und vor allem an der Fähre ist die Reisezeit auf 26 bis 30 Tage gestiegen.

Vor der Zeitenwende war die belarussisch-polnische Grenze in Brest/Małaszewicze als Nadelöhr der Landroute von China nach Europa berüchtigt. Ist das Kaspische Meer das neue Małaszewicze? „Derzeit gibt es zwei Fährabfahrten am Tag von Kasachstan nach Aserbaidschan“, sagt Robert Leichtle, General Manager Cargoplus Germany bei Dachser. Allerdings könne es wetterbedingt zu Verzögerungen kommen: „Im Moment liegen die Wartezeiten bei drei bis sechs Tagen, um auf die Fähre zu kommen. Das liegt vor allem daran, dass die Volumina seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine um über 400 Prozent gestiegen sind“, schildert er die Situation.

Engpass am Kaspischen Meer
Durch diesen Flaschenhals organisiert Dachser Rail Services seit Anfang Juli zudem zweimal pro Woche eine Zugverbindung auf dem Mittelkorridor von Xi’an nach Europa. Das Angebot ist als Alternative gedacht zur bislang genutzten Hauptstrecke Belarus/Russland/Transsibirien, die über verschiedene chinesische Grenzübergänge bedient wurde. Jetzt gelangen die Transporte via Kasachstan sowie mit RoRo-Fähren über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan und Georgien.

Nach Auskunft von Vedat Serbet, Rail Services Manager EMEA bei Dachser, sind diese sowohl für den Transport von Waggons als auch von Containern ausgelegt. Nach einer weiteren Schiffspassage über das Schwarze Meer bis Rumänien geht es per Bahn nach Budapest (Ungarn), von wo die Container auf der Schiene zu weiteren Hinterlandterminals wie Wien, München oder Ludwigshafen gelangen. Die Transitzeit von Terminal zu Terminal gibt Dachser Rail Services mit 45 bis 55 Tagen an.

Eine deutlich kürzere Transportdauer nennt Gaidar Abdikerimov, Generalsekretär der Vereinigung „Transkaspische Internationale Transportroute“ (TITR) und Vertreter der Kasachischen Staatsbahn KTZ. Ihm zufolge dauert es vom nordostchinesischen Hafen Lianyungang via Schwarzes Meer, Bosporus oder landseitig durch die Türkei 13 bis 21 Tage bis Italien und in andere EU-Länder. Die TITR hat Mitte Juni in Brüssel einen runden Tisch zum Thema „Transit- und Transportkooperation zwischen Kasachstan und der Europäischen Union: Aussichten für die Entwicklung des Mittelkorridors“ mitorganisiert. Zu den Mitgliedern der 2017 gegründeten Vereinigung zählen 20 Infrastruktur- und Logistikunternehmen aus acht Ländern, darunter Staatsbahnen wie die KTZ oder die türkische TCDD und Häfen.

Der 2019 gestartete Feederdienst von Aktau (Kasachstan) nach Baku (Aserbaidschan) hat laut Abdikerimov die transkaspische Transportroute effizienter gemacht. Und seit im Mai ein regelmäßiger Feederdienst auf dem Schwarzen Meer zwischen den georgischen Häfen Batumi/Poti und Constanta in Rumänien den Betrieb aufgenommen hat, erwartet der TITR-Generalsekretär auf dem Mittelkorridor mehr Transitfracht zwischen Europa und China sowie mehr Export-/Importladung zwischen Europa und Zentralasien.

Schiene schlägt Containerschiff
Durch die europäische Brille erscheint die Schwarzmeer-Option momentan weniger zuverlässig, sodass die Spedition A. Hartrodt seit kurzem Schienentransporte über einen anderen Abzweig in Georgien anbietet. „Der Landweg führt über Kars bereits auf europäischer Spurbreite durch die Türkei nach Europa“, erläutert Florian Wöbb, Abteilungsleiter logistische Dienstleistungen. Sein Kollege John Bölts, Geschäftsführer bei A. Hartrodt Tschechien in Prag, geht speziell auf Automotive-Kunden mit der Aussage zu, dass es mindestens alle zehn Tage Abfahrten in Xi’an gebe – bei einer Laufzeit nach Duisburg von aktuell circa 40 Tagen: „Das ist deutlich kürzer als per Seeschiff, das von Shanghai in die Nordrange-Häfen derzeit rund 60 Tage benötigt.“ Die Türkei-Strecke biete zudem bessere Möglichkeiten zur Sendungsverfolgung.

Die Zeitenwende auf der Seidenstraße ist eingeläutet. Jetzt muss sich noch zeigen, ob die Staatsbahn TCDD ebenso davon profitiert wie türkische Lkw-Firmen.

Quelle:
DVZ

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