14 Mal Vollsperrung für sechs Monate – Deutsche Bahn will künftig Strecken komplett sanieren

Die Bahn will bis 2030 einige viel befahrene Strecken sanieren. Die Bauindustrie lobt und fordert: Das Bundesunternehmen soll seine Beteiligungen endlich verkaufen.

Die Deutsche Bahn AG will ihr Schienennetz grundlegend sanieren und ihr neues Konzept auf der hoch belasteten Strecke zwischen Mannheim und Frankfurt testen. Die Entscheidung für die sogenannte Riedbahn als Pilotprojekt wollen sowohl Infrastrukturvorstand Berthold Huber als auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei einem „Schienengipfel“ an diesem Donnerstag in Berlin verkünden.

Angesichts des Chaos im Schienennetz – seit Monaten zu Hunderten ausfallende Güterzüge und stetig unpünktlicher werdende Personenzüge – hatte Minister Wissing im Juni die Generalsanierung des Schienennetzes zur „Chefsache“ erklärt.

Bahnchef Richard Lutz hatte erläutert, künftig werde die Bahn Netzabschnitte komplett sanieren und nicht mehr das Ende der wirtschaftlichen Lebenszeit einzelner Teile abwarten. Insgesamt sollen so 14 viel befahrene Korridore bis 2030 saniert werden. Im Handelsblatt-Interview hatte er zuletzt erklärt, dass die Lage in dem Netz „nicht akzeptabel“ sei.

Im Juni hatte die Bahn bereits den Aufsichtsrat informiert, dass die Riedbahn das Pilotprojekt sein soll. Ebenso frühzeitig soll die Verbindung von Köln nach Dortmund generalüberholt werden.

Geplant ist auch, dass etwa gleich die Infrastruktur für digitale Stellwerke mit verlegt werden soll. Die weiteren zwölf Projekte sollen gemeinsam mit Eisenbahnunternehmen nach Dringlichkeit priorisiert werden.

Fünf bis sechs Monate Vollsperrung
Die Maßnahmen erfordern allerdings jeweils eine fünf- bis sechsmonatige Vollsperrung. Da dies für viel Unmut bei den betroffenen Kunden sorgen dürfte, sollen zugleich die Bahnhöfe und Empfangsgebäude entlang der Strecken modernisiert werden. So würden Kunden den Nutzen nach der hohen Belastung positiv erleben, hieß es. Danach soll es „mindestens“ fünf bis acht Jahre auf der Strecke keine Baumaßnahmen mehr geben.

Das Projekt Riedbahn soll eine halbe Milliarde Euro kosten. Finanziert werden soll sie über die zwischen dem Bund und der bundeseigenen Bahn geschlossenen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.

Zudem will der Bund im Rahmen des dritten Entlastungspakets noch einmal eine Milliarde Euro für „klimaschonende Mobilität“ bereitstellen. Der Bund könnte damit auch Maßnahmen finanzieren, die die Kapazität im Netz erhöhen. Dazu gehören Ausweichgleise zum Überholen oder leistungsfähigere Gleise für höhere Geschwindigkeiten.

Die Bauindustrie begrüßt die neue Strategie der Bahn. Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, sagte: „Baumaßnahmen gebündelt und ohne Teilsperrungen durchzuführen, hilft der Bauwirtschaft, ihre Kapazitäten effizient einzusetzen.“

Allerdings forderte er, das Geld unabhängig von der Haushaltslage zu garantieren. „Der Bund sollte einen Schienenfonds einrichten, außerdem sollte die Bahn gemeinsam mit dem Bund prüfen, welchen Beitrag die vielen Hundert Auslandsbeteiligungen zu der künftigen Gemeinwohlorientierung beitragen, und sich gegebenenfalls von ihnen trennen. Die Erlöse sollten in das Schienennetz investiert werden.“

Industrie fordert, Kapazitäten mit digitaler Steuerung zu schaffen
Die Bahn hat mehr als 500 Beteiligungen im In- und Ausland. Die Nahverkehrstochter Arriva steht bereits zum Verkauf. Nach Plänen des Bundes soll sich die Bahn von ihrem hochprofitablen Logistikunternehmen DB Schenker trennen. Dies könnte allein einen Erlös von zwölf bis 15 Milliarden Euro bedeuten, wie es hieß. Bislang hatte Bahnchef Lutz auf alle Auslandsbeteiligungen gepocht, die einen Beitrag für sein Konzept „Starke Schiene“ leisten.

Ein Schienentransport ende nicht an der nationalen Grenze, argumentiert Lutz. „,Starke Schiene‘ bedeutet, dass der Netzbetreiber eine Verfügbarkeitsgarantie abgibt und alles dafür tut, dass die Kunden auf dem Bahnnetz wie zugesagt auch fahren können“, konterte indes Bauvertreter Müller.

Bei der Bahn haben sie hingegen nicht vergessen, was Bundesverkehrsminister Volker Wissing bei der Präsentation der neuerlichen Sanierungsstrategie erklärt hatte: Am Geld werde die Sanierung „nicht scheitern“, hatte er im Juni erklärt.

Allerdings sieht der Etat trotz der Milliarde Euro extra zumindest für 2023 nicht wesentlich mehr Geld vor. Dabei sind zuletzt auch die Baustoffkosten stark gestiegen, was sich auf die Baupreise auswirkt.

Dies besorgt auch den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Für die Industrie spiele der Schienenverkehr „eine tragende Rolle“, um die Klimaziele zu erreichen, hieß es dort. Umso wichtiger sei es, schnell mehr Kapazitäten im Netz zu schaffen.

Dies sei aber „nicht allein durch klassischen Infrastrukturausbau“ zu lösen. Vielmehr solle die Bahn als Netzbetreiber „die schlummernden Potenziale digitaler Kapazitätssteigerungen“ schnell nutzen. „Digitale Lösungen sorgen für mehr Zuverlässigkeit, höhere Kapazität, höhere Effizienz, sinkende Energiekosten sowie mehr Interoperabilität in Europa“, hieß es beim BDI.

Der Industrieverband betonte, dass es für die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene zwei Grundvoraussetzungen gebe: „Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.“

Quelle:
Handelsblatt

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