Die Wirtschaft sucht den Anschluss auf der Schiene – Bürokratie und Netzprobleme stehen aber im Weg

Unternehmen wollen vermehrt ihre Standorte ans Schienennetz anschließen, auch die Bahn will den Güterverkehr erhöhen. Allerdings gibt es dabei Probleme – trotz Förderprogramm.

Unternehmen wollen ihre Produktionsstandorte vermehrt wieder ans Schienennetz anschließen. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des bahnpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Bundestag Matthias Gastel hervor.

Demnach gab es seit der Neuauflage des Förderprogramms des Bundes im März 2021 inzwischen 44 Anträge, die beim Eisenbahn-Bundesamt (Eba) bis zum 25. August 2022 eingegangen sind. Zum Vergleich: Von 2010 bis 2020 schwankte die Zahl der Anträge pro Jahr zwischen fünf (2014) und 17 (2012). Nach sechs Anträgen 2020 förderte der Bund 19 Projekte im Jahr 2021.

„Nach Jahren des massiven Rückgangs an Gleisanschlüssen könnte nun die Trendumkehr erreicht sein“, sagte Gastel. „Eine weitaus höhere Anzahl an Förderanträgen als in vorangegangenen Jahren ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe auf viele Bewilligungen und die Reaktivierung älterer sowie den Bau neuer Gleisanschlüsse.“ Nach Angaben des Eba wurden 29 Anträge „zwischenzeitlich beschieden, davon 19 positiv“.

Der Bund hat sich zum Ziel gesetzt, den Güterverkehr auf der Schiene deutlich zu erhöhen. So soll der Anteil am Transportaufkommen von derzeit rund 18 auf 25 Prozent bis im Jahr 2030 steigen. Da der Verkehr von Jahr zu Jahr zunimmt, kommt dies einer deutlichen Steigerung gleich. Die Bahn soll so ihren Beitrag leisten, um die ambitionierten Klimaziele der Regierung zu erreichen.

„Eine wichtige Voraussetzung dafür sind mehr Gleisanschlüsse bei Unternehmen und in Industriegebieten“, sagte der Grünen-Politiker Gastel. „Landen Güter erst mal auf dem Lastwagen, so bleiben sie oft über Hunderte von Kilometern dort, denn Umladen ist aufwendig und teuer.“

Es gibt kaum noch Gleisanschlüsse
In den vergangenen Jahren sank die Zahl der Gleisanschlüsse an Industriestandorte und Gewerbegebiete kontinuierlich, wenn auch deutlich weniger schnell als noch zu Beginn der Bahnreform. Mit dieser firmieren seit dem Jahr 1994 Bundesbahn und Reichsbahn als Deutsche Bahn AG.

Damals gab es laut der Netztochter DB Netz AG noch 11.742 private Gleisanschlüsse. Zehn Jahre später waren es nur noch 4004, weitere zehn Jahre später noch 2373. Vergangenes Jahr meldete die Bahn 2314 Anschlüsse und damit zumindest nur noch 15 weniger als im Vorjahr. Seit 2004 fördert der Bund Vorhaben, Standorte ans Schienennetz anzuschließen.

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten Verbände aus Industrie, Handel und Logistik eine „Gleisanschluss-Charta“ verabredet, um mehr Güter auf die Schiene zu verlagern. Im März 2021 trat ein neues Förderregime in Kraft, über das der Bund umfangreicher als bislang neue, ausgebaute oder reaktivierte Anschlüsse fördert. Auch hatte der Bund den Förderkatalog erweitert, etwa um Industriestammgleise und die Fördersätze erhöht.

Ziel sei es, „nicht nur bisher auf der Straße abgewickelte Güterverkehre auf den umweltfreundlicheren Verkehrsträger Schiene zu verlagern, sondern auch bestehende Verkehre auf der Schiene zu halten“, erklärte das Eba als Genehmigungsbehörde. Dafür sieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im kommenden Jahr 34 Millionen Euro vor. Zumindest der Abwärtstrend scheint nun gestoppt.

Über das Förderprogramm will der Bund nun auch die neu entstehenden Flüssiggasterminals an der Küste ans Netz anschließen. Doch gibt es noch viel zu tun, um tatsächlich mehr Güter auf der Schiene transportieren zu können.

So klagt die Bahn selbst darüber, dass Industriestandorte „oftmals unzureichend an die Bahninfrastruktur angebunden“, seien. „Gleisanschlüsse sind entweder stillgelegt oder nicht existent“, heißt es bei der DB Netz.

Die Bahn schlägt vor, beim Neubau eines Gewerbegebietes gleich auch den Anschluss ans Schienennetz zu prüfen. Dazu solle die Schiene bei den Landesentwicklungs- und Flächennutzungsplänen und bei Industrieansiedlungen berücksichtigt werden.

Pferdefuß im Förderprogramm und eine langsame Genehmigungsbehörde
Eine entsprechende Regelung findet sich zwar im Koalitionsvertrag. Bisher ist sie aber nicht umgesetzt, wie Dirk Flege vom Verband Allianz pro Schiene kritisiert. „Der Bundesverkehrsminister lässt bislang keinerlei Reformeifer erkennen. Darunter leidet insbesondere der Schienengüterverkehr, der im Vergleich zum Lkw weiterhin ein Schattendasein fristet“, sagte er. Laut Allianz pro Schiene ist seit 2002 jeder zweite private Gleisanschluss stillgelegt worden.

Für die Wirtschaft gibt es aktuell allerdings ein ganz anderes Problem: die katastrophale Situation des Netzes. Seit gut einem Jahr ist das Netz überfordert, fallen Hunderte Züge täglich aus, weil entweder Baustellen oder Schäden an den Gleisen den Verkehr lahmlegen. Unternehmen müssen zwangsläufig ihre Güter mit dem Lastwagen oder dem Binnenschiff transportieren.

Angesichts dessen fühlte sich etwa im Frühjahr der Bundesverband der Deutschen Industrie gezwungen, einen Maßnahmenkatalog für ein besseres Netzmanagement vorzulegen. Dazu gehörte die Forderung, Baumaßnahmen langfristig zu planen und frühzeitig anzukündigen, damit die verladende Wirtschaft informiert ist und umdisponieren kann. Davon kann heute nicht die Rede sein. „Die Qualität und Zuverlässigkeit der Bahn ist zurzeit nicht akzeptabel“, räumte Bahn-Chef Richard Lutz kürzlich im Gespräch mit dem Handelsblatt ein.

Zumindest erhöht der Bund die Mittel, mit denen er neue Gleisanschlüsse fördert von 18 auf 34 Millionen Euro und erreicht damit wieder das Niveau von 2021. Ob das Geld abgerufen werden kann, stellt das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen indes infrage.

Es sei zwar „der richtige Weg eingeschlagen worden“, erklärte eine Sprecherin des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen. „Mangelndes Planungspersonal, die volatilen Baukosten, die mit der Förderung verbundenen Transportverpflichtungen, die hohe Unzuverlässigkeit des Einzelwagenverkehrs und die Engpässe im Schienennetz sorgen für Unsicherheit.“

Wie es beim Deutschen Verkehrsforum hieß, würden private Investitionen „nur zögerlich getätigt“. Schließlich könne man mit der Eisenbahn nicht einfach losfahren wie auf der Autobahn. Entscheidend sei die Kapazität im Netz. Allerdings gebe es Transportverpflichtungen im Förderprogramm und damit einen „Pferdefuß“: Würden sie nicht erreicht, müssten Unternehmen das Geld zurückzahlen. Es geht um sechsstellige Beträge.

Auch ist der Aufwand im Verfahren hoch. Es sei „nicht zu beschreiben, mit welchen bürokratischen Hürden ein Unternehmer kämpfen muss“, berichtet ein Geschäftsführer, der bereits vier Anträge federführend bearbeitet hat. Das Amt sehe sich nicht als Ermöglicher, sondern arbeite nach dem Motto: „Legen Sie mir vor, weisen Sie mir nach.“ Ein Eba-Sprecher erklärte: „Die Verfahrensdauer variiert je nach Komplexität der beantragten Anlagen.“

Quelle:
Handelsblatt

Schreibe einen Kommentar