Drei Reeder-Kartelle verdienen Milliarden an Lieferengpässen – und die EU schaut zu

Sie durften sich jahrelang absprechen und in drei Kartellen die Fahrtrouten auf den Ozeanen diktieren. Jetzt verdient der deutsche Reederei-Marktführer mehr als der weltgrößte Autobauer.

Mit 18 Milliarden Euro Nettogewinn wird Hapag-Lloyd dieses Jahr voraussichtlich Autohersteller VW als profitabelstes Unternehmen Deutschlands ablösen. Satte 256 Milliarden Dollar werden die Hamburger zusammen mit den zehn weltweit größten Container-Reedereien verdienen, erwartet das Investmenthaus Blue Alpha Capital – 73 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Marktmacht der größten Containerreedereien gerät folgerichtig immer stärker in die Kritik: Schließlich profitieren die Unternehmen dabei von drei globalen Kartellen, mit denen sie seit Jahren Hafenanläufe und Fahrtrouten absprechen – und das sogar mit Billigung der EU-Kommission.

Als einer der Rädelsführer erweist sich in diesen Tagen der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), dem neben Hafenbetreibern wie der Hamburger HHLA oder der Bremer Terminalgesellschaft Eurogate weitere 150 maritime Dienstleister angehören.

Der erdrückenden Übermacht der Allianzen sei ein striktes Ende zu bereiten, fordert nun deren Geschäftsführer Daniel Hosseus. Der gemeinsame Einkauf von Hafendienstleistungen und Hinterlandverkehren müsse verboten werden.

Prominente Manager melden sich inzwischen mit drastischen Appellen zu Wort. „Die Reedereien haben die Terminals im Verbund gegen die Wand gedrückt“, klagte Frank Dreeke, Vorstandschef des Bremer Hafenbetreibers BLG, Mitte Oktober auf dem Deutschen Logistikkongress in Berlin.

Auch Antwerpens Hafenvorstand Luc Arnouts ist wegen der Übermacht der Schifffahrtskundschaft in heller Aufregung. „Wir machen uns Sorgen“, sagt der Belgier. Dies sei der Grund dafür gewesen, weshalb sich sein Port mit dem Nachbarhafen Zeebrügge vereint habe.

Erlaubnis gilt seit 13 Jahren
In einer Stellungnahme, die Deutschlands Hafenverband der EU-Kommission zukommen ließ, fordern die Lobbyisten nun „eindeutige Einschränkungen bei den kartellähnlichen Absprachen unter Linienschifffahrtsunternehmen“.

Der Zeitpunkt für den Vorstoß scheint gut gewählt. Vor 13 Jahren erlaubte Brüssel den Reedereien in einer sogenannten „Gruppenfreistellungsverordnung“, sich zu Seeschifffahrtskonsortien zusammenzuschließen, freilich ohne dort untereinander die Frachtraten abzusprechen.

In der Folgezeit gründeten die zwei Marktführer MSC und Maersk die Allianz „2M“, Hapag-Lloyd vereinigte sich mit Yang Ming, HMM und One zur THE Alliance, Cosco, CMA CGM und Evergreen gründeten die Ocean Alliance. Zusammen vertreten sie in der globalen Containerseefahrt nach Berechnungen der Marktforschungsfirma Alphaliner 82,8 Prozent des Weltmarkts.

Doch die EU-Verordnung läuft im April 2024 aus und muss daher neu verhandelt werden. Gleichzeitig gehen den Reedereien die Argumente für eine Verlängerung aus. Ursprünglich hatte ihnen Brüssel die Ausnahme vom Kartellrecht gewährt, weil man sich davon eine günstigere und effizientere Versorgung von Europas Verbrauchern versprach. Fahrten von halb leeren Frachtern sollten durch ein gegenseitiges Aushelfen verhindert werden.

Davon aber könne spätestens seit den massiven Lieferengpässen während Corona nicht mehr die Rede sein, meint der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV). Die ursprünglichen Ziele der Verordnung würden schon seit Jahren verfehlt, moniert die Vereinigung, der deutschlandweit 3000 Speditions- und Logistikbetriebe mit einem jährlichen Branchenumsatz von 135 Milliarden Euro angehören.

„Angesichts der Entwicklungen in der Seeschifffahrt seit 2020 muss die EU-Kommission zur Kenntnis nehmen“, meint Verbandsgeschäftsführer Frank Huster, „dass die eingeräumten Sonderregelungen für die Containerschifffahrt zu massiven Marktverzerrungen geführt haben“.

Zu beobachten waren die Folgen der fragwürdigen EU-Wettbewerbspolitik spätestens ab dem Frühherbst 2021, als es auf der für Europa wichtigen Verbindung nach Fernost zu einer künstlichen Verknappung der Schiffskapazitäten kam. Weil im boomenden Seeverkehr zwischen Asien und Nordamerika mehr zu verdienen war, verlegten die Allianzen eine große Zahl ihrer Flotten kurzerhand auf den Pazifik – zum Leidwesen europäischer Importeure.

Reedereien verstärken sich durch Übernahmen bei der Hinterland-Logistik
Inzwischen kommt ein zweites Ärgernis hinzu. Die durch die Angebotsverknappung erzielten Rekordgewinne nutzen die Containerreedereien längst, um sich in der Hinterlandlogistik, im Eisenbahn- und Luftfrachtverkehr sowie durch den Erwerb von Hafenterminals zu verstärken.

Der umstrittene Einstieg der chinesischen Cosco beim Hamburger Terminal Tollerort ist dabei nur einer von vielen. Erst kürzlich erwarb Hapag-Lloyd eine Beteiligung am Containerterminal Wilhelmshaven und die Hälfte des dortigen Bahnfrachtterminals.

Im September kam eine 49-Prozent-Beteiligung an der italienischen Gruppo Spinelli hinzu, die neben Hafenanlagen ein Lkw-Netz mit 600 Fahrzeugen betreibt. Anfang Oktober kaufte Hapag für eine Milliarde Dollar einen chilenischen Logistikdienstleister mit sechs Terminals in ganz Amerika.

Längst bieten auch Maersk, CMA CGM und andere eigene Bahn- und Speditionsdienste bis zur Haustür. Die Reedereien könnten deshalb die Marktmacht ihrer Allianzen leicht auch auf der Landseite in die Waagschale werfen, warnt ZDS-Geschäftsführer Daniel Hosseus und wittert eine massive Wettbewerbsverzerrung.

Der Speditionsverband DSLV spricht von einer „diskriminierenden Strategie“, die Brüssel durch die Kartellrechtsausnahme ermögliche. So versage etwa die Maersk-Tochter Hamburg Süd deutschen Spediteuren den Zugang zu Transportkapazitäten, um das konzerneigene Speditionsgeschäft voranzubringen – eine Praxis, die vom europäischen Spediteursverband Clecat juristisch geprüft wird.

Noch aber gibt es auch Fürsprecher der Reedereiallianzen, darunter den Handels- und Logistikexperten der Uno-Welthandelskonferenz Unctad, Jan Hoffmann. „Die Allianzen haben unterm Strich eine zusätzliche Effizienz von zehn Prozent in die Container-Seefahrt gebracht“, sagte er dem Handelsblatt. Dies dürfe man nicht leichtfertig aufgeben. Allerdings räumt Hoffmann ein, dass die hohen Frachtraten in der Seefahrt die Inflation 2021 weltweit um 1,5 Prozentpunkte nach oben getrieben haben.

„Lieferengpässe wären noch stärker“
Auch Hapag-Lloyd-Vorstandschef Rolf Habben Jansen verteidigt die Zusammenschlüsse. „Ohne die Arbeitsteilung innerhalb der Allianzen“, sagte er neulich in einer Telefonkonferenz, „wären die Lieferengpässe während der Pandemie noch deutlich stärker ausgefallen.“

Doch längst sind die Reedereien politisch in der Defensive. Im Juli lehnte die französische Nationalversammlung eine Steuer auf unerwartete Gewinne für Transportunternehmen nur unter der Auflage ab, dass die in Marseille ansässige Reederei CMA CGM ihren Rabatt für Container aus Asien nach Frankreich von 500 Euro auf 750 Euro erhöhte.

In den USA unterzeichnete Präsident Joe Biden im Juni den Ocean Shipping Reform Act. Das Gesetz ermächtigt die Federal Maritime Commission (FMC) zu verhindern, dass Reedereien sich unangemessen weigern, offenen Frachtraum mit US-Exporten zu füllen. Auch die von den Containerlinien erhobenen Zusatzgebühren soll die FMC auf Rechtmäßigkeit untersuchen.

In Deutschland dagegen genießen die Seereedereien ein ausgesprochen lukratives Wohlwollen des Gesetzgebers. Während etwa der Hafenbetreiber HHLA im vergangenen Jahr 30,6 Prozent seiner Erträge an den Fiskus abzuführen hatte, zahlte Hapag-Lloyd von seinem 9,4 Milliarden Euro schweren Gewinn gerade einmal 61 Millionen ans Finanzamt.

Die mickrige Steuerquote von 0,67 Prozent verdankt der Schiffsbetreiber der vor 23 Jahren eingeführten Tonnagesteuer, mit der die EU ihrer maritimen Wirtschaft zur Weltgeltung verhelfen wollte. Besteuert wird nicht der Gewinn, sondern lediglich pauschal die Größe der Schiffe, was den Reedereien in Boomphasen zu enormen Einsparungen verhilft.

Quelle:
Handelsblatt

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