Immer mehr Firmen setzen auf Fernsteuerung

Das Interesse an der Teleoperation steigt in der Wirtschaft. Ferngesteuerte Fahrzeuge könnten jede Menge Probleme lösen. Wo die Technologie bereits getestet wird.

Der Hamburger Hafenbetreiber HHLA steigt mit seiner Innovationseinheit beim Start-up Fernride ein und will Lastwagen künftig ferngesteuert betreiben. Mit der Technologie des Münchener Unternehmens können Lkw aus großer Entfernung gestartet, gelenkt und gestoppt werden. Erste Tests beginnen jetzt am HHLA-Containerterminal in der estnischen Hauptstadt Tallinn, wie beide Firmen am Mittwoch bekannt gaben.

Nach dem Logistiker DB Schenker und dem Landmaschinenbauer Krone steigt damit bereits der dritte Konzern bei dem 2019 gegründeten Start-up ein. Zudem testet Autobauer Volkswagen die Technologie. Das Interesse an Fernride ist nur ein Indiz: Die sogenannte Teleoperation weckt große Erwartungen. Vor allem die Logistik hofft, damit ihr Fachkräfteproblem lösen zu können. Allein in Europa fehlen Hunderttausende Lkw-Fahrer.

Ferngesteuerte Fahrzeuge könnten letztlich jedoch überall zum Einsatz kommen, wo das autonome Fahren auf absehbare Zeit utopisch bleibt. Das gilt in der Logistik, der Personenbeförderung – und beim Einsatz von Soldaten.

Ohne Automatisierung droht der Logistik der Kollaps
Die Teleoperation erproben daher auch völlig unterschiedliche Unternehmen: Fernride wurde aus der Technischen Universität München ausgegründet. Hinter Vay – ein Berliner Start-up für ferngesteuerte Autos – stehen Manager, die im Silicon Valley und der deutschen Autoindustrie am autonomen Fahren gearbeitet haben. Und mit Rheinmetall und Diehl forschen Rüstungskonzerne mit hundertjähriger Geschichte an Fernsteuerungstechnologien.

„Ohne Automatisierung der Fahrzeuge wird die Sicherstellung der Logistik in Zukunft nicht möglich sein“, sagt Rheinmetall-Technologiechef Klaus Kappen. Mit seiner Tochterfirma Mira will der Rüstungskonzern und Autozulieferer Teleoperationssysteme entwickeln, um fahrerlose Mobilität zu ermöglichen.

Die zunehmende Konkurrenz wird in der Branche eher als Beleg für die Machbarkeit denn als Risiko gesehen. Kappen sagt: „Der Markt für Teleoperation wird so groß werden, da ist für mehrere Anbieter Raum.“

Technologisch ähneln sich die Lösungen: Kameras und Sensoren am Fahrzeug erkennen Fahrbahnbegrenzungen, Hindernisse und andere Verkehrsteilnehmer. Das sieht der Teleoperator an seinem Bildschirmarbeitsplatz, der wie ein Cockpit aufgebaut ist. Wie im echten Fahrzeug steuert er das Gefährt über Lenkrad, Bremse und Joystick.

Allen Ansätzen ist gemein, dass sie die Effizienz der eingesetzten Fahrer erhöhen und ihre Sicherheit steigern sollen.

Fernride-Chef Hendrik Kramer konzentriert sich auf die Intralogistik – also alle Prozesse, bei denen Lastwagen auf Werksgelände, Umschlagplätzen und an Häfen be- und entladen werden müssen. Hier wäre Teleoperation auch deshalb schnell einsatzbereit, weil auf Betriebsgeländen keine Straßenzulassung nötig ist.

Logistik: Auf Betriebsgeländen ist Teleoperation schnell einsatzbereit
Den Logistikkonzernen, die bei ihm investiert haben, verspricht Kramer, dass sie bereits 2024 pro Fahrer vier Lastwagen im Einsatz haben können. 2025 soll das Verhältnis schon bei eins zu zehn liegen.

Während Lkw-Fahrer heute oft lange warten müssen, bis es nach einem Verladeprozess weitergehen kann, können sich Teleoperatoren in der Zeit auf andere Fahrzeuge schalten. Dass das mit einem Fahrer und zwei Fahrzeugen funktioniert, hat Fernride 2022 schon gezeigt.

Beim Ausbau des Mensch-Maschine-Verhältnisses setzt Kramer auch auf weitere Autonomiefunktionen. „Wenn das Fahrzeug zwischendurch für eine Minute geradeaus fahren muss, kann es von einem Algorithmus gesteuert werden. Bei einem Parkmanöver an der Laderampe übernimmt der Teleoperator wieder.“

Die anstehenden Rangieraufgaben sollen den Teleoperatoren künftig über eine Plattform zugeteilt werden. Das heißt, es wird nicht ein Fahrer für vier bestimmte Fahrzeuge zuständig sein. Vielmehr kümmert sich ein Team von 20 Fahrern dann gemeinsam um 100 Lastwagen.

Widerstand seitens der Gewerkschaften erwartet Kramer auch angesichts solcher Zahlen nicht. Denn diese wüssten, dass die meisten Arbeitsunfälle von Lastwagenfahrern beim Ein- und Aussteigen passieren. Kramer sagt: „Je weniger Menschen zwischen den Stahlmassen umherlaufen müssen, desto besser.“ Im kommenden Jahr will Fernride in die Serienfertigung gehen.

Personenbeförderung: Der Mietwagen kommt ferngesteuert
Ein anderes deutsches Start-up darf mit seinen ferngesteuerten Fahrzeugen bereits am regulären Straßenverkehr teilnehmen. Vay aus Berlin hatte im Dezember verkündet, dass es „als erstes Unternehmen in Europa“ auf öffentlichen Straßen Testfahrten ohne Sicherheitsfahrer durchführen darf.

Damit wird teleoperiertes Fahren auch im Bereich der Personenbeförderung realistischer. Vay will eine Mischung aus Taxi- und Leihwagen-Service anbieten, bei dem sich Nutzer ein Auto per App bestellen können. Nachdem dieses ferngesteuert bei ihnen angekommen ist, sollen sie selbst das Steuer übernehmen.

Normalerweise müssen bei Tests mit ferngesteuerten oder autonomen Fahrzeugen noch Menschen hinter dem Steuer sitzen, die bei Gefahr eingreifen können. Die Ausnahme für Vay macht nun die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende der Stadt Hamburg. „Es ist toll zu sehen, dass das aus Europa heraus möglich ist“, sagte Mitgründer und Vay-Chef Thomas von der Ohe.

So schnell es das Gesetz zulässt, will auch Mira auf die Straße. Die Rheinmetall-Tochter soll Fernsteuerungstechnologie entwickeln, die Autobauer und Fahrzeughalter in ihre Pkw integrieren können. Damit erhielten etwa Logistikfirmen, Nahverkehrsanbieter und Mietwagen-Unternehmen „die notwendige Technologie, um ihre Geschäftsmodelle effizienter und damit zukunftsfähig zu machen“, sagt Klaus Kappen, der auch Geschäftsführer von Mira ist.

In seiner Rolle als Rheinmetall-Technologiechef will er Teleoperation künftig auch in Militärfahrzeuge integrieren. Den ersten Anwendungsfall sieht er bei Lastwagen, die nach seiner Prognose schon 2027/2028 ferngesteuert auf die Straße kommen könnten. Technologisch gäbe es viele Synergien mit zivilen Anwendungen – nur bei der Datenübertragung müsse sich die Bundeswehr statt auf die öffentlichen Mobilfunknetze unter Umständen auf eigene Netze stützen.

Wehrtechnik: Entwicklung steht vor großen Herausforderungen
Längerfristig könnte Teleoperation aber auch für Waffensysteme relevant werden. Die nächste Generation der Kampfpanzer wird mit unbemannten Begleitsystemen geplant. Beim „Main Ground Combat System“ (MCGS), das ab 2035 den Leopard 2 ablösen soll, würden „Assistenzfunktionen inklusive Teleoperation sicherlich ein Thema“, sagt Kappen.

Zwar werden auch im Militärsektor immer wieder vollautonome Waffensysteme diskutiert. Doch bei der Entwicklung von Bodenfahrzeugen dürften die Herausforderungen noch größer sein als in der Autoindustrie. Einerseits stehen für das Training der Systeme in unbekanntem Gelände – mit Bäumen, Mauern und Geröll – viel weniger Daten zur Verfügung. Andererseits müssen die Entwicklungskosten durch eine kleinere Stückzahl der Fahrzeuge wieder eingespielt werden.

Auch der deutsche Rüstungskonzern Diehl Defence erprobt und entwickelt Fernsteuerungstechnologie und sieht sie gegenüber autonomen Systemen zum Teil als überlegen an: „In sehr dynamischen Szenarien ist eine Teleoperation bis heute zu bevorzugen“, sagt ein Sprecher. Die komplexe Umgebung sei „für die Autonomie eine große Herausforderung“.

Zudem halten die Rüstungskonzerne Teleoperation aus ethischen Gründen für unverzichtbar. „Wir werden als Rheinmetall keine vollautonomen Waffensysteme bauen“, sagt Technologiechef Kappen. „Über die Teleoperation behält der Soldat die Kontrolle über die Mobilität, Sensoren und Effektoren des Systems.“

Quelle:
Handelsblatt

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