Flugzeughersteller sind im Aufschwung – doch es drohen Schwierigkeiten

Airbus, Boeing und MTU sind auf Erholungskurs – das zeigen die Quartalszahlen. Doch die Luftfahrtindustrie wird es schwer haben, ihr Wachstum beizubehalten. Dafür sorgen etwa Personalmangel und Umweltauflagen.

Wenn die Vorstandschefs der Luftfahrtindustrie dieser Tage ihre Halbjahreszahlen verkünden, haben sie meist gute Laune. „Steigende Nachfrage bei Zivilflugzeugen und höhere Verteidigungsausgaben bescheren uns Umsatzwachstum und höhere Gewinne in allen Feldern“, sagte Greg Hayes, Chef des weltgrößten Luftfahrtzulieferers Raytheon aus Arlington bei Washington, und versprach weiteres Wachstum. Ähnlich, wenn auch etwas leiser, äußerte sich Lars Wagner, der seit Jahresbeginn den Münchner Triebwerksbauer MTU leitet. „Die Erholung unserer Branche hält im Hinblick auf Flugbewegungen und Auftragslage weiter an, und wir sehen uns auf einem guten Weg, die Ziele, die wir uns für 2023 gesteckt haben, zu erreichen.“

Kein Wunder. Denn nicht nur Raytheon und MTU, sondern auch GE und Lockheed Martin aus den USA sowie der auf Flugzeugelektronik spezialisierte Thales-Konzern aus Frankreich beendeten das erste Halbjahr mit soliden Ergebnissen. Und der weltgrößte Flugzeugbauer Airbus hält nach einem überraschend guten Tagesgeschäft im zweiten Quartal an seinen Zielen für 2023 fest: Im Gesamtjahr sollen wie geplant 720 Verkehrsflugzeuge den Weg zu den Kunden finden, teilte der Dax-Konzern am Mittwoch in Toulouse mit.

Laut Analysten wie Douglas Harned von Bernstein oder Kollegen von Morgan Stanley und J.P. Morgan steht die ganze Luftfahrtbranche vor Rekordergebnissen. Im vollen Geschäftsjahr dürften die in der Coronazeit mehr oder weniger defizitären Konzerne auf eine operative Rendite von mindestens acht Prozent kommen. Angesichts immer besser gefüllter Auftragsbücher können sie bis 2028 wohl ihre Gewinne verdoppeln und zweistellige Margen erreichen, so die einhellige Meinung der Analysten. Selbst Boeing dürfte seine schier endlosen Probleme durch selbstverschuldete Produktionspannen und den Auslieferungsstopp für den Crashflieger 737 Max überwinden, spätestens 2024 wieder Geld verdienen und 2028 wieder bis zu acht Milliarden Dollar Jahresgewinn schaffen.

Es fehlt Personal
Dennoch steht die Branche vor Schwierigkeiten, wie etwa der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt glaubt. „Vor allem Airbus und Boeing stehen vor Herausforderungen durch Dinge, auf die sie wenig bis keinen Einfluss haben“, sagt er.

Am offensten spricht darüber Airbus-Chef Guillaume Faury. „Uns fordern zwei große Faktoren heraus“, begann der Manager Ende Juni seine Rede zum Start der diesjährigen Luftfahrtmesse von Paris. „Das Hochfahren der Produktion und die Dekarbonisierung“, wie er den Weg zu klimaneutralem Fliegen umschreibt.

Mehr Flugzeuge zu bauen, klingt zunächst nicht schwer. Bereits vor der Coronakrise hatte Airbus sich und seine Zulieferer vorbereitet, die Fertigung vor allem seiner Mittelstreckenflugzeuge der A320-Familie auf bis zu 75 im Monat hochzufahren. Und weil der Konzern in der Krise die Pläne nur verschob, aber nicht aufgab, hielt er die Fertigungskapazitäten dafür vor – und half seinen Lieferanten, das Gleiche zu tun.

Doch jetzt, während der Flugverkehr wieder boomt und die Fluglinien ihre in der Pandemie verschobenen Auslieferungen abrufen wollen, lahmt der Hochlauf. „Und es liegt nicht am Geld, sondern an etwas, bei dem wir beim besten Willen nicht helfen können: fehlendem Personal“, so Faury.

Zudem haben sich einige Zulieferer technisch verhoben. Das gilt vor allem für Raytheon, dessen Tochter Pratt & Whitney der bedeutendste Lieferant für das wichtigste Flugzeugteil ist: den Motor für die Mittelstreckenjets der A320-Familie und der kleineren A220. Von denen verlassen derzeit weniger Exemplare die Werke als erhofft. Darum stehen auf den Flächen rund um die Flugzeugfabriken wieder viele Jets mit leeren Flügeln. „Das ist unser größtes Problem“, so Faury über die Antriebsschwäche beim Aufschwung. Weil die dank einer neuen Getriebetechnik vergleichsweise sparsamen Kraftpakete immer wieder technische Probleme haben, schafft Pratt & Whitney nicht nur weniger Exemplare als geplant. Die fertigen Antriebe wandern statt an neue Flieger auch an aktive Jets, deren Motoren vorzeitig in die Werkstatt müssen.

Produkte eines anderen Herstellers sind kein Ersatz. Zwar verkauft Airbus den A320 auch mit den Leap genannten Triebwerken von GE und Safran aus Frankreich. „Doch für einen Wechsel müsste das Flugzeug so stark umgebaut werden, dass es sich nicht lohnt“, so Großbongardt.

Die Lieferprobleme betreffen zwar alle Hersteller, doch Airbus ein bisschen mehr, glaubt Kristine Liwag, Analystin bei Morgan Stanley. „GE und Boeing haben beide mehr Kontrolle über ihr Schicksal bei den Lieferketten.”

Umweltauflagen gefährden das Wachstum
Die Probleme dürften lange nicht gelöst sein. Zwar will MTU-Chef Wagner seine ohnehin vergleichsweise kleinen Schwierigkeiten bis Anfang 2024 im Griff haben. Doch für den Rest der Branche könne es 2028 werden, bis alles wieder wie vor der Pandemie geplant laufe, meint etwa Steven Udvar-Házy, Chef des führenden Flugzeugverleihers Air Lease Corporation und einer der größten Abnehmer von Airbus und Boeing. Denn selbst wer in der Branche nach den Corona-Entlassungswellen wieder genug Beschäftigte habe, müsse diese erst umfangreich qualifizieren, bis sie die strengen Anforderungen der Flugbranche erfüllen.

Den Herstellern könnten zudem neue Umweltauflagen gefährlich werden. „Wir müssen und wollen Fliegen klimaneutral gestalten. Nur wenn uns das gelingt, verdienen wir auch weiterhin unsere Betriebserlaubnis, unsere Daseinsberechtigung für die Zukunft“, so Airbus-Technikvorständin Sabine Klauke.

Faury hat zwar die Forschung hochgefahren und verspricht revolutionäre neue Flugzeugmodelle etwa mit Wasserstoffantrieb ab 2035. Ob Airbus den Zeitplan einhalten kann, ist freilich offen. „Mein Gefühl ist, was immer 2035 kommt, es wird kein Wasserstoffflieger“, sagt ein Airbus-Aufsichtsrat.

Damit ist offen, ob die Anstrengungen ausreichen, um den immer strengeren Auflagen vor allem in Europa zu begegnen. Zwar halte die EU den Flugverkehr grundsätzlich für wichtig, lobt Faury. Doch sie gehe beim Weg zu mehr Nachhaltigkeit einen anderen und für Airbus riskanteren Weg als Nordamerika. Während die USA mit finanziellen Anreizen quasi Zuckerbrot böten, „setzt Europa hier eher auf die Peitsche“, sagt Faury über die ankündigten Regulierungen und Vorschriften etwa zu Abgaswerten oder dem Einsatz von nachhaltig erzeugtem Kerosin. „Es ist sehr schwer zu erfüllen, was Europa vorschreibt“, so der Manager.

Um dennoch die Wachstumsziele zu erreichen, prüfen einige Branchenverantwortliche eine Verlagerung ihrer Fertigung aus der EU in andere Teile der Welt. Nord- und Südamerika sowie Asien dürften als Absatzmärkte ohnehin wichtiger werden als Europa. Zudem fördern Ländern in diesen Regionen die Luftfahrt gezielt als Motor für Hightechjobs. „Viele Investitionen in unsere zentralen Technologien machen derzeit in den USA einfach viel mehr Sinn als in Europa“, sagt Faury. „Darum müssen wir in Europa über eine bessere Förderung nachdenken, statt über immer neue Regulierungen und Bremsen.“

Quelle:
Wirtschaftswoche

Schreibe einen Kommentar