InfraGO: Viele Fragen weiter ungeklärt

Das war mal eine Ansage: Auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Bahn (DB) Ende März gab Bundesverkehrsminister Volker Wissing ziemlich unverhofft ein Gastspiel. Ein Schwerpunkt seines Auftritts war die Präsentation eines Papiers zur neuen, gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft zusammen mit DB-Chef Richard Lutz. Zweifelsohne wollte er damit vor allem signalisieren, dass er stärker als seine Vorgänger Einfluss nehmen möchte auf die Entscheidungen der DB.

Am morgigen Donnerstag ist wieder eine Bilanz-Pk der DB. Präsentiert werden die Halbjahreszahlen. Ob Wissing dabei sein wird, ist nicht bekannt. Aber der Elan aus dem März scheint verpufft zu sein. Bei der InfraGO, wie die gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft genannt wird, sind nicht die erhofften Fortschritte erfolgt. Nach wie vor sind viele Fragen ungeklärt: Die Akteure stehen vor einem schwer zu entwirrenden Knäuel. Auch ein Treffen der vom Ministerium beauftragten Berater mit den Verbänden vor zwei Wochen brachte wenig neue Erkenntnisse: „Es ist bisher nicht sehr viel an Details zu sehen. Es ist alles in einem sehr rohen Zustand“, lautet die Einschätzung von Martin Henke, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).

Der Druck im Kessel steigt
Und mit jedem Tag ohne weitere Informationen steigt der Druck im Kessel. Denn bereits am 1. Januar 2024 soll die neue Gesellschaft an den Start gehen. Bis dahin müssen DB Netz und DB Station & Service fusioniert und entsprechende Verträge unterschrieben werden. Es muss geklärt sein, was Gemeinwohlorientierung überhaupt heißt und wie man sie messen will.

Nicht zuletzt müssen auch Bundestag und Bundesländer dazu ihr Okay geben oder zumindest informiert werden. Dass es für solche Prozesse Zeit braucht, hat das Tohuwabohu um das Heizungsgesetz gezeigt – inklusive Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht und eines Rüffels durch die obersten Richter für die Bundesregierung. Wird also der Termin womöglich noch verschoben? „Nein, der 1. Januar 2024 steht“, lautet die Aussage eines Sprechers des Bundesverkehrsministeriums. Nach Ansicht der Opposition hingegen ist der Termin „kaum mehr zu erreichen“, wie es in einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur InfraGO an die Bundesregierung aus dem Juni heißt.

Immerhin stehen einige Entscheidungen fest, an denen nicht mehr gerüttelt werden soll: die Zusammenlegung von DB Netz und DB Station & Service, die Gesellschaftsform der InfraGO als Aktiengesellschaft und nicht als GmbH, wie es bei der Autobahngesellschaft der Fall ist, aber auch, dass an dem Konstrukt eines integrierten Konzerns festgehalten wird (siehe Infowinkel unten).

Doch noch viele andere Themen rund um die InfraGO bedürfen einer dringenden Klärung. „Eine Kernforderung von uns ist die Vereinfachung der Finanzierungsarchitektur“, sagt Susanne Landwehr, im Deutschen Verkehrsforum unter anderem für den Schienenverkehr zuständig. So gibt es derzeit etwa 190 Finanzierungstöpfe, die eine Transparenz für alle Beteiligten deutlich erschweren. Die Zahl der Förderprogramme soll deutlich reduziert werden. „Mindestens ebenso wichtig ist aber auch, dass die Mittel für ein Projekt nicht nur für ein, zwei Jahre zur Verfügung stehen, sondern dass eine Überjährigkeit garantiert ist“, weist Landwehr auf einen zweiten wichtigen Aspekt innerhalb der Finanzierung hin. Wird also eine Baumaßnahme beschlossen, die sich über mehrere Jahre hinzieht, soll dafür auch die Finanzierung bis zum Bauende gesichert sein.

Es fehlt an geeigneten Kennzahlen
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die „Gemeinwohlorientierung“. Die soll bei der InfraGO – anders als bei DB Netz – eine größere Rolle spielen. „Wie das aussehen soll, dazu haben das Ministerium und die Berater die Katze bei dem letzten Treffen mit den Verbänden noch nicht aus dem Sack gelassen“, sagt Henke.

Das Problem: Anders als bei wirtschaftlichen Kriterien gibt es bei der Gemeinwohlorientierung keine erprobten Kennzahlen. Ministerium und Berater sind mit Unterstützung der Verbände noch auf der Suche, wie diese aussehen können, um den dem Begriff „Gemeinwohl“ Leben einzuhauchen. Verspätung von Zügen ist eine mögliche Kennzahl – wobei die noch nichts über die Ursache sagt; die genutzte und verfügbare Kapazität auf dem Netz eine andere, die allerdings viel schwerer zu berechnen und in Zahlen zu fassen ist. Das fängt schon damit an, dass es verschiedene Kategorien und Arten von Infrastrukturen gibt, für die sich ganz eigene Kennzahlen berechnen lassen.

Dann muss es noch ein Kontrollgremium geben, das die Einhaltung der Kennzahlen überwacht. „Dem schließt sich die Frage an, wann eine Kennzahl verfehlt wird, ob ein solches Verfehlen sanktioniert wird, und wenn ja, wie eine solche Sanktion dann ausfällt“, sagt Henke. Nur ein paar wenige Fragen von vielen weiteren, über die sich trefflich streiten lässt.

Ein hoffnungsvoller Ausblick
Henke will aber auch nicht alles negativ sehen, ganz im Gegenteil: „Wenn die Korridorsanierung so kommt wie geplant, haben wir das Gröbste 2030 hinter uns“, sagt er. Spätestens dann würde das Bahnsystem eine „Zeit mit wesentlich weniger Verspätungen“ erleben, „was auch wirklich dringend erforderlich ist“.

Doch bis dahin sind zahlreiche Dinge zu klären: zum Beispiel, wer die InfraGo steuern soll, ob es ein Aufsichtsgremium gibt, wer in dem Gremium sitzen wird (auch die Nutzer wie Vertreter von Eisenbahnverkehrsunternehmen?). Viele Fragen, das wurde der DVZ von Insidern bestätigt, werden vor dem 1. Januar 2024 nicht geklärt sein. Selbst wenn also die InfraGO pünktlich kommt, müssen die Akteure an dem Tag noch viele Fäden in die Hand nehmen, um das Knäuel weiter zu entwirren.

Quelle:
DVZ

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