Warum MSC längst in einer anderen Liga spielt

Die „MSC Mexiko“ ist ein unscheinbares Containerschiff. Die Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC) setzt sie derzeit auf dem Transatlantik-Trade zwischen Gioia Tauro und Montreal ein, und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass es vor dem 5. Januar 2022 wenige gute Gründe gab, sich weitergehend für dieses Schiff zu interessieren. Vor diesem Datum hatte es „Mexiko“, geheißen, davor jeweils ein paar Jahre „OOCL Mexiko“ oder „ZIM Mediterranean“. Was also macht dieses Schiff auf einmal so interessant?

Das unter der Flagge von Liberia fahrende, 2002 gebaute Schiff hat jedenfalls mit seiner nach heutigen Verhältnissen vergleichsweise bescheidenen Stellplatzkapazität von 4.992 TEU, die sich auf eine Länge von 294 Meter und eine Breite von 32 Meter verteilt, nie irgendeinen Rekord erzielt. Andere Schiffe der Schweizer Containerreederei hingegen wie etwa die stolze „MSC Gülsun“, die in dieser auf Größenzuwachs versessenen Branche ab dem Spätsommer 2019 mit einer Kapazität von 23.756 TEU für ein Weilchen den Titel des größten Containerschiffs der Welt trug, erlangte die Aufmerksamkeit der Branche, wenn auch nur kurz – das nächste Schiff, das noch ein paar Stahlboxen mehr tragen könnte, kam schon bald.

Mit einem Regelbruch an die Spitze
Die unscheinbare „MSC Mexiko“ hingegen dürfte für immer ihren Platz in den Geschichtsbüchern der Containerschifffahrt gefunden haben. Denn als MSC das auf dem Gebrauchtmarkt erworbene Schiff am 5. Januar 2022 in seine Containerschiffflotte einführte, wurde die Schweizer Linienreederei dadurch nach Stellplatzkapazität offiziell die neue Nummer 1 in der Rangliste der größen Carrier der Welt.

MSC schob sich an jenem Tag mit einer Kapazität von 4,28 Millionen TEU an dem ewigen Rivalen Maersk vorbei an die Spitze, mit einem Vorsprung von gerade einmal 1.888 TEU. Damit erreichte MSC 52 Jahre nach seiner Gründung eine Stellung in der Branche, die nach den ungeschriebenen Regeln der Schifffahrt nicht unbedingt vorgezeichnet gewesen war. Denn anders als alle anderen großen Carrier, war MSC aus eigener Kraft zu dieser Größe herangewachsen. Die anderen Player hatten ihre Marktanteilsgewinne über Jahrzehnte hinweg im Wesentlichen durch die Übernahme anderer Wettbewerber erzielt.

MSC hingegen hatte sich in all den Jahren auf organisches Wachstum verlassen. Die Übernahme eines Mehrheitsanteils in Höhe von 67 Prozent an dem brasilianischen Regionalcarrier Log-in Logistica Anfang 2022 ist die kleine Ausnahme der Regel und fällt zwar zeitlich in etwa mit dem Vorrücken auf Platz eins der Rangliste zusammen, hat aber daran keinen Anteil. Denn der Wechsel an der Spitze hatte aufgrund der unterschiedlich stark ausgeprägten Orderbücher von MSC und Maersk seit längerem festgestanden, nur der Zeitpunkt war unklar gewesen.

Während Maersk zum Zeitpunkt des Wachwechsels gerade einmal 25 Schiffe mit einer Kapazität von 255.000 TEU bestellt hatte, hatte Wettbewerber MSC 60 Schiffe geordert mit einer Kapazität von fast 1 Million TEU.

Hintergrund des damals begonnenen und seitdem beibehaltenen Größenwachstums von MSC dürfte die konzernintern bereits damals wohl festehende Entscheidung sein, die Schifffahrtsallianz 2M mit Maersk beenden zu wollen. Als Ende Januar 2023 die Trennung zu Anfang 2025 bekannt gegeben wurde, kam dieser Schritt nicht wirklich überraschend.

Denn MSC hatte in den gut zwei Jahren zuvor mehr als 270 gebrauchte Schiffe mit mehr als 1,1 Millionen TEU gekauft; hinzu waren weitere 133 Schiffsbestellungen gekommen mit einer Kapazität von rund 1,8 Millionen TEU. Knapp 3 Millionen TEU zusätzliche Kapazität ergäben nur Sinn, so die Lesart der Märkte, wenn MSC seinen dänischen Partner fallen lassen und dessen 2M-Kapazität ersetzen wollte, um fortan allein zu operieren.

Seit dem Sprung auf Platz 1 lässt MSC die aktuelle Nummer 2, Maersk, immer weiter hinter sich. Im Mai des laufenden Jahres kam der Carrier über die Kapazitätsschwelle von 5 Millionen TEU – nur rund 16 Monate nach der Übernahme von Platz 1. Zum Vergleich: MSC brauchte nach seiner Gründung rund 37 Jahre, um Anfang 2007 über eine Flotte mit 1 Million TEU zu verfügen; 2011 waren es 2 und 2017 dann 3 Millionen TEU; die Marke von 4 Millionen wurde im Juli 2021 überschritten.

MSC ist zudem seit diesem Jahr der größte Reefer-Carrier. Zu Anfang April verfügte die Reederei auf ihren rund 750 Schiffen über rund 500.000 Anschlüsse für Kühlcontainer. Ein Jahr zuvor noch hatte Maersk die größte Stellplatzkapazität für Reefercontainer gehabt.

Derweil macht MSC keinerlei Anstalten, die auf den Zugewinn von Marktanteil angelegte Strategie zu ändern. Aktuell verfügt der Carrier bereits über 5,3 Millionen TEU (19,3 Prozent Marktanteil); hinzu kommt das nach bestellter Tonnage umfangreichste Orderbuch aller Carrier mit 1,5 Millionen TEU, verteilt auf 123 neue Schiffe. Ob der massive Aufbau von Kapazität vor dem Hintergrund der düsteren weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, dem bereits bestehenden Überhang an Transport-raum sowie der niedrigen Frachtraten intelligent ist, bleibt abzuwarten. Offensichtlich ist allerdings, dass die meisten Wettbewerber MSC nacheifern und ihr jeweiliges Verhältnis von bestellter zu bestehender Flotte teils noch expansiver in die Höhe treiben als MSC mit einem Wert von 28,3 Prozent. So kommt etwa CMA CGM auf eine Ratio von 34,3 Prozent, Cosco auf 31,1 Prozent, Evergreen auf einen Wert von 50,2 und Zim sogar auf 53,9 Prozent.

Die entgegengesetzte Strategie nimmt einzig Maersk ein und ist offenbar bereit, sowohl einen Marktanteils- als auch den damit einhergehenden Bedeutungsverlust in Kauf zu nehmen. Der dänische Carrier wird nach Berechnungen von Alphaliner voraussichtlich 2026 aufgrund seiner Zurückhaltung bei Neubestellungen von CMA CGM von Rang drei verdrängt werden.

Und so hat MSC mit seiner expansiven Wachstumsstrategie die in den vergangenen Jahren zementierte Rangfolge in der Riege der maßgeblichen Carrier aufgebrochen und bis auf Maersk fast alle Wettbewerber mitgezogen. Weniger Beachtung als Übernahme der Spitzenposition von Maersk fand, dass es mit CMA CGM auch eine neue Nummer drei und mit Wan Hai eine neue Nummer zehn gab. Diese dynamische Entwicklung ist nach wie vor ungebrochen; selbst der bei Neubestellungen lange Zeit eher zurückhaltende Carrier Hapag-Lloyd begann Anfang 2022, eine aktivere Orderpolitik aufzunehmen mit der Bestellung von zwölf Großschiffen mit einer Kapazität von jeweils 23.664 TEU – die Flotte von HMM mit rund 800.000 TEU sowie einer georderten Kapazität von rund 265.000 TEU soll hinzukommen.

Quelle:
DVZ

Schreibe einen Kommentar