EU-Mobilitätspaket – Fällt die Rückkehrpflicht?

Nach der Empfehlung eines Generalanwalts des EuGH, die Rückkehrpflicht für Lkw nach spätestens acht Wochen abzuschaffen, ist die Aufregung groß. Was steckt dahinter?

In den sozialen Medien schlug zuerst der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) unter dem markanten Profil von Prof. Dirk Engelhardt am 14. November Alarm. „Generalwalt hat dafür plädiert, die Bestimmungen zur Rückkehr des Fahrzeuges wieder abzuschaffen“, so Engelhardt. „Die regelmäßige Rückkehr des Fahrzeuges ist ein essentieller Bestandteil des Mobilitätspakets und zwingend notwendig, um Wettbewerbsgleichheit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen herzustellen. Die Rückkehr des Fahrzeugs unterstreicht die wirtschaftliche Verbindung zu dem niedergelassenen Transportunternehmen. Es steht jedem Unternehmen frei, seine Fahrzeuge dort zuzulassen, wo seine wirtschaftliche Aktivität stattfindet. Der BGL wird die Schlussanträge des Generalanwalts im Detail analysieren.“

Über 300 Seiten auf Französisch
Wenn das so einfach wäre: Denn als PDF sind die Ausführungen des Italieners M. Giovanni Pitruzella, die der Vertreter des BGL in Brüssel, Dirk Saile, nach Frankfurt weitergeleitet hat, über 300 Seiten lang. Eine sonst übliche deutsche Fassung auf der Presseseite des EuGH gibt es aktuell nicht. Das ist ungewöhnlich, mag aber damit zusammenhängen, wie Jutta Maier vom Background Verkehr & Smart Mobility des Tagesspiegel heute berichtet, dass der Italiener Pitruzella gar kein Generalanwalt des EuGH mehr ist. Vielleicht hat ihn die umfangreiche Analyse erschöpft. Wie auch immer: In vielen Verfahren folgt der EuGH den Anträgen eines Generalanwalts. Wie es sich diesmal auf das Urteil, dass in drei bis sechs Monaten erwarten wird, auswirkt, bliebt abzuwarten.

Die wichtigsten Punkte in Kurzform
Dankenswerterweise hat der Stuttgarter Experte Götz Bopp zu allen Fragen um das EU-Mobilitätspaket per Übersetzungsprogramm auf die Schnelle die wichtigsten Punkte für eurotransport.de herausstellen können:

  1. Der Klage der Republik Zypern in der Rechtssache C-549/20 wird stattgegeben. Diese bezieht sich allein gegen die Rückkehrpflicht.
  2. Den Klagen der Republik Litauen in der Rechtssache C-542/20, der Republik Bulgarien in der Rechtssache C-545/20, Rumäniens in der Rechtssache C-547/20, Ungarns in der Rechtssache C-551/20, der Republik Malta in der Rechtssache C-552/20 und der Republik Polen in der Rechtssache C-554/20 wird stattgegeben, soweit sie gegen Art. 1 Nr. 3 der Verordnung (EU) 2020/1055 gerichtet sind.
  3. Folglich wird Art. 1 Nr. 3 der Verordnung (EU) 2020/1055 für nichtig erklärt, soweit er Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1071/2009 ändert.
  4. Im Übrigen werden die in Nummer 2 genannten Klagen abgewiesen.
  5. Die Klagen der Republik Litauen in der Rechtssache C-541/20, Bulgariens in den Rechtssachen C-543/20 und C-544/20, Rumäniens in den Rechtssachen C-546/20 und C-548/20, der Republik Zypern in der Rechtssache C-550/20 und der Republik Polen in den Rechtssachen C-553/20 und 555/20 werden abgewiesen.


Bopps Fazit: „Die Klagen gegen die EU-Verordnungen 2020/1054 und 2020/1057 sollen demnach abgewiesen werden, somit sind die Lenk- und Ruhezeitenregelungen und die Entsendungsvorschriften nicht betroffen. Alle Klagen gegen die EU-Verordnung 2020/1055 (Marktzugang und Kabotage) sind abzuweisen, sofern Sie nicht die Rückkehrpflicht der Fahrzeuge binnen acht Wochen betreffen. Der konkrete Passus, der die Rückkehrpflicht regelt, soll für nichtig erklärt werden. Wie genau der Generalanwalt das begründet, kann ich noch nicht sagen. Das verbirgt sich irgendwo in den Ausführungen zwischen Randnummer 527 und 834.“

Rückkehrpflicht per se kaum zu kontrollieren und zu ahnden
In meinem Blogbeitrag „Gleicher Lohn für Lkw-Fahrer gefordert“ aus dem März 2022 hatte ich bereits zum wiederholten Male darauf hingewiesen, dass zwei große Hoffnungsträger des EU-Parlaments und demzufolge auch des BGL, das Rückkehrrecht der Lkw-Fahrer und die Rückkehrpflicht der Lkw, kaum kontrollierbar und bei der Rückkehrpflicht hier in Deutschland etwa durch das BALM, gar nicht zu ahnden sind. Dem Bundesamt für Güterverkehr (heute BALM) fehlten die unmittelbaren Sanktionsmöglichkeiten, so Bopp damals. Das liege daran, dass Verstöße gegen die Rückkehrpflicht rechtlich an der ordnungsgemäßen Niederlassung des Unternehmens hängen, die nur im Niederlassungsstaat selbst geahndet werden können. Über die EU-Verordnung 1071/09. Das ist also eine Frage der wiedererteilten Genehmigungen.

„Sollte das BAG also Verstöße feststellen, bleibt im Grunde nur, die Kontrollorgane im Niederlassungsstaat auf die Verfehlung hinzuweisen und höflich um Sanktionierung zu bitten“, erläutert Bopp. Bei den vor dem EuGH anhängigen Klagen erscheint die Amtshilfe aus Osteuropa eher unwahrscheinlich. In den Auswertungen der drei Schwerpunktkontrollen des BALM pro Monat taucht der Punkt des Verstoßes gegen die Rückkehrpflicht daher gar nicht erst auf. Und ist daher mutmaßlich dem Bundesverkehrsministerium (BMDV) als Problem gar nicht bekannt.

Keine Rückkehrpflicht im internationalen Kombinierten Verkehr
Erschwerend und für manche deutsche Verkehrspolitiker immer noch nicht fassbar, ist die Tatsache, dass es die Rückkehrpflicht nach spätestens acht Wochen im internationalen Kombinierten Verkehr gar nicht gibt. Denn da der Vor- und Nachlauf auf der Straße im grenzüberschreitenden kombinierten Verkehr gemäß EU-Richtlinie 92/106/EWG von der Genehmigungspflicht befreit ist, müssen die Unternehmen, die diese Beförderungen durchführen, keine EU-Lizenz oder eine andere Güterkraftverkehrserlaubnis besitzen. Deshalb greifen für Fahrzeuge, die in Deutschland im Vor- oder Nachlauf eingesetzt werden, eben auch die neuen Regelungen aus dem EU-Mobilitätspaket I nicht. Was das vor Ort in den Terminals des KV für die Fahrer bedeutet und wie relativ machtlos das BALM dieser Lage gegenübersteht, hatte ich im März 2023 in meinen Blog-Beitrag „BALM-Sonntag“ beschrieben. Sollte also der EuGH tatsächlich den Ausführungen ihres ehemaligen Generalanwalts folgen, so würde sich am aktuellen Status Quo nicht wirklich viel ändern.

Quelle:
eurotransport

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