Was ein Verbot der ITA-Übernahme für Lufthansa bedeuten würde

Bleiben die EU-Wettbewerbshüter bei ihrem Nein, wäre das ein Rückschlag für die Wachstumsstrategie von Konzernchef Carsten Spohr. Doch es gäbe noch Alternativen zu Zukäufen.

Für Jörg Eberhart, in der Lufthansa-Gruppe für das Thema Strategie verantwortlich, sind Übernahmen fester Bestandteil der Konzernplanung. Neben ITA (Italien) und TAP (Portugal) gebe es weitere Namen potenzieller Kandidaten, auf die Lufthansa ein Auge habe, sagte er kürzlich in einer internen Videokonferenz. Doch es gibt ein Problem.

Zukäufe in Europa werden immer schwieriger. Die Wettbewerbshüter der EU entscheiden bei Fusionen und Zukäufen (Mergers & Acquisitions, kurz M&A) merklich strenger. Dabei untersuchten sie nicht nur den geplanten Einstieg von Lufthansa bei ITA gründlicher als gedacht. Auch bei der Übernahme von Air Europa durch den Lufthansa-Rivalen IAG (British Airways, Iberia, Vueling und Aer Lingus) geht die Überprüfung in die Verlängerung.

Die EU fürchtet eine zu große Marktmacht der großen Airline-Gruppen Lufthansa, IAG und Air France-KLM. Zwar seien die M&A-Experten bei Lufthansa zuversichtlich, dass eine Einigung möglich sein wird – aber auch mangels Alternative. Einen anderen Interessenten gibt es nicht, allein ist ITA kaum überlebensfähig. „Aber keiner kann aktuell ausschließen, dass der Deal am Ende doch noch kippt“, sagt eine Führungskraft.

Streit mit der EU um Langstrecke Richtung Nordamerika
Die EU-Kommission pocht nach Brancheninformationen auf einen Verzicht von Langstreckenverbindungen, insbesondere Richtung Nordamerika. Bei Berechnung der Marktmacht von Lufthansa berücksichtigt sie nicht nur das Angebot der Fluggesellschaften der Gruppe, sondern auch der Partner wie United Airlines.

Die Lufthansa-Führung – so ist im Unternehmensumfeld zu hören – ist dagegen aktuell nicht dazu bereit, Start- und Landerechte (Slots) Richtung Nordamerika abzugeben. Der MDax-Konzern will sich auf Anfrage nicht äußern.

Der Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr betont, wie wichtig der Einstieg bei ITA für seine Strategie ist. Er will die Airline-Gruppe stärker auf die „südliche Hemisphäre“ konzentrieren. Bisher haben sich die Lufthansa-Airlines sehr stark auf die Transatlantik-Routen nach Nordamerika und den Verkehr nach Asien konzentriert. Richtung Lateinamerika und Afrika gibt es dagegen Lücken.

Hier sind die beiden Wettbewerber IAG und Air France-KLM besser positioniert. Das liegt nach Ansicht Spohrs auch an der Lage ihrer Drehkreuze in Frankreich und Spanien: Von dort aus ist die Strecke zu Zielen etwa in Lateinamerika kürzer und damit günstiger. Ein Grund, warum sich Lufthansa so sehr für ITA interessiert, ist der Flughafen in Rom, der für Verkehre in die südliche Hemisphäre strategisch besser liegt.

Dafür Verbindungen nach Nordamerika zu opfern, fällt Lufthansa allerdings schwer. In den ersten neun Monaten 2023 erzielte die Gruppe im Verkehrsgebiet Amerika Erlöse von rund 5,5 Milliarden Euro. Nur in Europa war der Wert mit 8,4 Milliarden Euro höher. Zudem spielt auch hier Italien eine wichtige Rolle. Laut Spohr befördert Lufthansa mehr Menschen zwischen den USA und Italien als zwischen den USA und Deutschland.

Es geht aber nicht nur um günstige Verbindungen: Gemessen am Umsatz steht die Lufthansa-Gruppe weltweit auf Platz vier – hinter den drei großen US-Gesellschaften Delta, American Airlines und United Continental. Diese Position will Konzernchef Spohr unbedingt verteidigen. Und das geht eben vor allem über weitere Zukäufe.

Die sind allerdings schon jetzt nur innerhalb Europas möglich. Weltweit haben die Länder Airline-Zukäufen enge Grenzen gesetzt. Übernimmt ein Investor aus dem Ausland größere Pakete oder sogar die Mehrheit, verliert die erworbene Airline ihren Status als nationale Gesellschaft. Sämtliche Verkehrsrechte mit den Ländern müssen dann neu verhandelt werden – ein enormer Aufwand, der sich nicht lohnt. Konsolidierung in der Luftfahrt findet deshalb vor allem innerhalb Amerikas, Chinas oder eben Europas statt.

Wenn wir eine der Top fünf Airlines der Welt sein wollen, können wir uns nicht auf Europa beschränken.

Jörg Eberhart, Strategiechef Lufthansa Gruppe


Sollte die EU den Einstieg von Lufthansa bei ITA endgültig verbieten, wäre das Thema Übernahmen für alle großen europäischen Airline-Konzerne vorerst erledigt. So müsste IAG wohl damit rechnen, Air Europa nicht übernehmen zu dürfen. Die Überschneidungen zwischen Käufer und Gekauftem sind hier noch größer als im Fall Lufthansa und ITA. Und mit Iberia und Vueling hat der britisch-spanische Konzern schon jetzt eine große Marktmacht in der Region Spanien.

„Wenn wir eine der Top-fünf-Airlines der Welt sein wollen, können wir uns nicht auf Europa beschränken“, machte Strategiechef Eberhart beim virtuellen Mitarbeitertreffen deutlich. Das Netzwerk der Fluggesellschaft, ein wesentlicher Kern des Erfolgs, funktioniere nur, wenn die Gruppe in den relevanten Märkten einen hohen Marktanteil habe.

Alternativen gibt es im Ernstfall schon. Das Management könnte auf zwei andere Instrumente setzen: organisches Wachstum und Partnerschaften mit anderen Airlines jenseits von Europa. Mit der Ferienfluggesellschaft Discover hat die Gruppe zum Beispiel eine neue Airline, die stark wachsen kann.

Partnerschaften mit Airlines als Ersatz für Zukäufe
Discover könnte indirekt profitieren, sollte der Einstieg bei ITA untersagt werden. Da vor allem Privatreisende aktuell die Nachfrage nach Tickets treiben, ist Potenzial für weiteres Wachstum vorhanden. Aktuell hat die Fluggesellschaft 22 Jets, in diesem Jahr sollen sechs dazukommen. Der Konzern hat zahlreiche Flugzeuge bestellt, kurz vor Weihnachten zum Beispiel 80 Kurz- und Langstreckenjets. Das Management könnte bei Bedarf einige davon an Discover geben.

Mit Partnerschaften hat Lufthansa derweil viel Erfahrung, das Unternehmen zählt zu den Gründungsmitgliedern der Star Alliance. Die Airline hat zudem mit United Airlines und Air Canada das Bündnis Atlantic Plus-Plus aufgebaut. Dort wird das Angebot auf den Strecken zwischen Nordamerika und Europa gemeinsam vermarktet, die Erlöse werden aufgeteilt. Allerdings müssen auch solche sehr engen Kooperationen kartellrechtlich genehmigt werden.

In Asien arbeitet der Konzern eng mit Singapore Airlines und ANA (Japan) zusammen. Und das Beispiel Indien zeigt, welche Möglichkeiten das bietet: Weil Vistara Airlines, eine Beteiligung von Singapore Airlines, mit Air India fusioniert wird, hält Singapore Airlines künftig 25,1 Prozent an Air India. Das eröffnet Lufthansa über die Zusammenarbeit mit Singapore Airlines auch Chancen auf eine engere Zusammenarbeit mit Air India.

Lufthansa-Chef Spohr hat schon vor einigen Monaten erklärt, mehr Flugzeuge nach Indien bringen zu wollen. Im November startete die Kernmarke Lufthansa die Verbindung von München nach Bangalore, Anfang des Jahres folgte die Strecke Frankfurt – Hyderabad.

Quelle:

Handelsblatt

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