Amazon will eigene „Schlüssel“ zu Häusern von Kunden

Ein digitales System soll den Paketboten in den USA die Türen öffnen. Einfach und effizient – doch Amazon’s „Key for Business“ könnte zum Sicherheitsrisiko werden.

Amazon ist es offenbar leid, jedes Mal zu klingeln. In den USA setzt der Onlineversandhändler deswegen nun verstärkt auf Hilfe von Vermietern. Das Ziel: Mit einem einfachen Mobilgerät sollen sich Fahrer des Unternehmens Zugang zu Gebäuden verschaffen können. Pakete würden dann ohne Störung der Empfänger etwa im Hausflur abgestellt. Amazon könnte dadurch Kosten reduzieren – und hätte einen großen Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

In etlichen Städten prescht Amazon derzeit vor, um die Lösung zu etablieren. Wer einen „Key for Business“ haben möchte, bekommt ihn kostenlos installiert. Zum Teil werden potenzielle Partner auch mit finanziellen Anreizen gelockt. Beworben wird der Service unter anderem als ein Mittel gegen Paketdiebstahl. Viele derer, die den Dienst bereits nutzen, zeigen sich zufrieden. Es gibt aber auch Kritik – von Datenschützern ebenso wie von Sicherheitsexperten.

Mit zunehmender Verbreitung des digitalen Systems steigen auch die Risiken. Das Unternehmen betont zwar, dass es bei den eigenen Fahrern Hintergrundchecks vornehme und dass diese eine Tür immer nur dann öffnen könnten, wenn sie tatsächlich ein Paket mit der entsprechenden Adresse in der Hand hielten. Empfänger werden aber oftmals gar nicht wissen, dass die Boten überhaupt einen solchen Zugang haben. Denn Amazon überlässt es ganz den Vermietern, ob Hausbewohner über die Installation informiert werden.

Der Datenschutz-Forscher Ashkan Soltani warnt, dass jedes webbasierte System auch gehackt werden könne. „Im Wesentlichen wird da ein fremdes, mit dem Internet verbundenes Gerät an ein ansonsten internes Netzwerk angeschlossen“, sagt der Experte, der schon in leitender Position für die US-Handelsbehörde FTC (Federal Trade Commission) und als Berater von Ex-Präsident Barack Obama gearbeitet hat. Über diesen Weg könnten Kriminelle versuchen, sich ebenfalls Zugang zu einem Gebäude zu verschaffen.

Amazon wollte sich auf Anfrage nicht zu den Risiken eines möglichen Cyberangriffs äußern. Das Unternehmen lehnte es auch ab, genaue Angaben bezüglich der bisherigen Verbreitung des „Key for Business“ zu machen. Insgesamt dürften aber bereits Tausende Gebäude mit dem System versorgt sein. Einen Anhaltspunkt bieten mitunter runde Aufkleber mit Amazon-Logo an den Türklingeln. In einer New Yorker Straße waren diese kürzlich an drei von elf Gebäuden zu sehen, in einem anderen Viertel der Stadt an zwei von sieben Gebäuden.

Tausende Haushalte bereits verbunden
Die Vertriebsabteilung von Amazon ist jedenfalls gerade im ganz großen Stil aktiv. Mitarbeiter klopfen überall in den USA an Türen, telefonieren oder sprechen Hausverwalter auf den Straßen an, um sie zur Installation des Systems zu drängen. Das Unternehmen ist sogar Kooperationen mit lokalen Schlüsseldiensten eingegangen, die bei Reparaturen von Schlössern nun gleich auch den „Key for Business“ anbieten. Als „Überzeugungshilfe“ werden manchmal Geschenkgutscheine über 100 Dollar (85 Euro) für die Amazon-Website dazugegeben.

Soltani sagt, er habe zum ersten Mal von „Key for Business“ gehört, als sich zwei Amazon-Vertreter im April um eine Zugangsberechtigung zu dem Gebäude, in dem er lebt, bemüht hätten. Seine Hausverwaltung habe dies aber abgelehnt. Bei Kenton Girard, einem Vermieter aus Chicago, hatte der Onlineversandhändler mehr Glück. Girard ließ das System gleich in vier seiner Gebäude installieren, weil Paketdiebstahl dort immer mehr zu einem Problem geworden war. „Ich wäre auch bereit gewesen, dafür zu bezahlen“, sagt er.

Bisher hatte in den USA nur der United States Postal Service eine Möglichkeit, Mehrfamilienhäuser zu betreten, um Briefkästen hinter den Eingangstüren zu erreichen. Der Paketdienstleister UPS hatte laut eigenen Angaben 2018 gemeinsam mit einem „Smartlock“-Hersteller Tests mit einem System vorgenommen, das den eigenen Boten das Klingeln ersparen sollte. Warum das Projekt eingestellt wurde, wollte UPS gegenüber der Nachrichtenagentur AP nicht erläutern. Der Wettbewerber Fedex wollte sich auf Anfrage generell nicht zum Thema äußern.

Amazon sucht schon seit Jahren nach einem Weg bis in die Häuser der Kunden hinein. Mit dem „Key for Business“ konzentriert sich das Unternehmen seit 2018 auf Mehrfamilienhäuser, bei denen es Vermieter oder Hausverwalter als zentrale Ansprechpartner gibt. Seit dem vergangenen Jahr scheint es seine Bemühungen verstärkt zu haben. In Jobausschreibungen für Miami und dem texanischen San Antonio hieß es kürzlich, Vertriebsmitarbeiter von Amazon könnten mit Boni und Provisionen zwischen 3000 und 11.000 Dollar pro Monat verdienen.

Auch nach Installation des „Key for Business“ landen derweil nicht alle Amazon-Bestellungen gleich innerhalb des Hauses. Denn laut Daten des Marktforschungsdienstes Rakuten Intelligence werden nur etwa 60 Prozent der Pakete von eigenen Fahrern ausgeliefert. Der Rest wird mithilfe von externen Lieferfirmen zu den Kunden gebracht. Und deren Mitarbeiter können sich über die Lösung von Amazon keinen Zugang verschaffen.

Hinter der offensiven Vermarktung des Systems durch Amazon stecke daher womöglich auch der Versuch, die Konkurrenz möglichst außen vor zu halten, sagt Philip T. Evers, Logistik-Professor an der University of Maryland. Denn viele Hausbesitzer würden der Sache zwar wohl eine Chance geben, aber nicht gleich sämtlichen Lieferdiensten, die auf dem Markt seien, Einlass gewähren wollen. Und Amazon könnte den besonderen Zugang laut Evers künftig auch für andere Service-Leistungen nutzen – etwa in den Fluren abgestellte Retour-Sendungen mitnehmen.

Jason Goldberg von dem Marketingunternehmen Publicis Communications hebt hervor, dass der Dienst Amazon zunächst einmal Kostensenkungen ermöglichen werde. Denn ein Fahrer könne auf diese Art mehr Pakete pro Schicht ausliefern und bei weniger Paketdiebstahl würden auch weniger Erstattungen fällig. „Sie verteilen ihn kostenlos“, sagt er über den „Key for Business“. „Er nützt Amazon mehr als uns.“

Quelle:
WiWo

Schreibe einen Kommentar