Warum Deutsche Bahn und Schifffahrt bei einem Erdölembargo an ihre Grenzen stoßen

Bei einem Ölembargo sollen Schiffe und Züge Mineralöle nach Ostdeutschland bringen. Es gibt jedoch viele Probleme – und viele davon sind strukturell.

Der Ukrainekrieg zeigt, wie kritisch es um die deutsche Infrastruktur bestellt ist. Die Bundesregierung hat vor Ostern erstmals in der Verkehrsbranche nach Transportkapazitäten gefragt, sollte künftig kein russisches Öls mehr durch die Pipeline Druschba nach Deutschland fließen, wie das Handelsblatt aus Regierungskreisen erfuhr.

Das Ergebnis der Abfrage war wenig erbaulich: Zwar sei vor allem die Schifffahrt in der Lage, Benzin, Diesel und Heizöl zu liefern, um mögliche Ausfälle bei Raffinerien in Schwedt und Leuna auszugleichen. Allerdings begrenzen besonders die Wasserstraßen die Transportmengen.

In Regierungskreisen war von vier Millionen Tonnen die Rede, mit denen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin versorgt werden müssten. Die Wasserstraßen gen Ostdeutschland sind indes bei Weitem nicht so gut ausgebaut, um solche Mengen problemlos zu transportieren, wie es in der Branche hieß.

So können Schiffe von Hamburg nach Berlin allenfalls 86 Meter lang sein und maximal 1200 Tonnen transportieren. Entsprechend seien 3333 Schiffsladungen für die avisierten vier Millionen Tonnen nötig. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt dauert eine Fahrt schon knapp eine Woche.

Auch Routen aus Rotterdam oder dem Ruhrgebiet Richtung Magdeburg und Berlin sind möglich, allerdings ebenfalls nicht mit großen Schiffen wie auf dem Rhein, der als am besten ausgebaute Wasserstraße des Landes gilt.

Bei der Deutschen Bahn gibt es Brancheneinschätzungen zufolge kaum Kapazitäten, Öl zu transportieren. Zum einen fehlen entsprechend viele Kesselwagen, zum anderen aber auch freie und intakte Routen auf dem Schienennetz. Obendrein soll die Bahn bereits helfen, die landwirtschaftliche Produktion in der Ukraine aufrechtzuerhalten, indem sie Geräte liefert und die Ernte ausfährt. Die Ergebnisse bestärken die Sorge, dass ein Ölembargo große Schäden anrichten könnte.

Industrie verlangt Umdenken auf der Schiene
Bislang sind viele Infrastrukturprojekte, wie etwa Schleusen für größere Schiffe zu verlängern oder Eisenbahnlinien zweigleisig auszubauen und zu elektrifizieren, an ihrer Rentabilität gescheitert. Auch kommt es wie aktuell in Bayern oft zu Verzögerungen bei der Planung.

Die Ampelkoalition hat zwar beschlossen, alle Projekte zu überprüfen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis neu zu justieren – hat dies bislang allerdings mit den ambitionierten Klimazielen begründet und nicht damit, die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Auf dem Schienennetz sind die Probleme besonders groß. So gab es bereits 2021 und zuletzt zu Ostern massive Probleme: Es kam zu Zugausfällen, Rückstaus, Streckensperrungen wegen Unwettern oder wegen der unzähligen, vor allem wenig koordinierten Baustellen. Ausweichstrecken gab es nicht. Es kam sogar zu Produktionsstopps in der Industrie.

An diesem Donnerstag treffen sich daher Eisenbahnunternehmer, verladende Wirtschaft und Industrie mit der Führung des Netzbetreibers DB Netz. Zum zweiten Mal hat das Bundesverkehrsministerium zum Krisentreffen eingeladen. Die Runde soll Auswege finden, wie das marode Netz einerseits modernisiert und ausgebaut werden und andererseits der Verkehr fließen kann.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert einen radikalen Mentalitätswechsel. Das Baustellenmanagement sei „einer grundlegenden Überprüfung“ zu unterziehen, wie es in einem Positionspapier des Verbands heißt, das dem Handelsblatt vorliegt. „Die Anstrengungen für kundenfreundliches und kapazitätsschonendes Bauen müssen intensiviert werden.“

Der BDI fordert, Bauarbeiten so zu begrenzen, um mindestens die Hälfte der Kapazität auf einem Netzabschnitt sicherzustellen. Grundsätzlich seien Arbeiten im Sinne der Kunden durchzuführen. Andernfalls sinke das Vertrauen der Wirtschaft in das System Schiene weiter.

70 kleine und mittlere Maßnahmen mit großer Wirkung
Die DB Netz habe „70 kleine und mittlere Maßnahmen“ identifiziert, um hochbelastete Stecken schnell zu entlasten, etwa durch zusätzliche Weichen, zweite Gleise oder Elektrifizierung, vermerkt der BDI. Diese seien schnell umzusetzen, um Kapazitäten mit einem digitalen Gleiswechselbetrieb zu schaffen. Die Züge müssten „auf dem Niveau von mehr als 90 Prozent“ pünktlich sein. Derzeit läge die Pünktlichkeit je nach Korridor bei 51 bis 67 Prozent.

Neben den Problemen auf dem Netz fehlen auch Loks, Lokführer und Kapazitäten bei den Serviceeinrichtungen der Bahn, etwa um Güterzüge zusammenzustellen. Müssten nun noch Züge auf dem Netz fahren, um Mineralölprodukte zu transportieren, käme es zu neuerlichen Lieferengpässen an anderer Stelle.

Der BDI fordert, Bauarbeiten so zu begrenzen, um mindestens die Hälfte der Kapazität auf einem Netzabschnitt sicherzustellen. Grundsätzlich seien Arbeiten im Sinne der Kunden durchzuführen. Andernfalls sinke das Vertrauen der Wirtschaft in das System Schiene weiter.

Sorge wegen eines Ölembargos
Anfang der Woche hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor den weitreichenden Folgen eines Ölembargos gewarnt. „Wir müssen davon ausgehen, dass ein Lieferstopp sofort Auswirkungen auf jeden einzelnen Haushalt in Deutschland hätte“, sagte er.

Zuvor hatte das Bundeswirtschaftsministerium in einem Papier festgehalten, ein Embargo werde „in Ost- und Mitteldeutschland zumindest zeitweise zu Marktverwerfungen und Engpässen bei der Versorgung mit Erdölprodukten führen“.

Inzwischen hat Minister Robert Habeck erklärt, der Anteil russischen Öls liege nur noch bei rund zwölf Prozent. „Heute kann ich sagen, dass ein Embargo handhabbar für Deutschland geworden ist“, sagte der Grünen-Politiker nach einem Treffen mit seiner polnischen Kollegin Anna Moskwa am Dienstag in Warschau. Es müsse nur noch eine Lösung für die PCK Raffinerie in Schwedt an der Oder gefunden werden. Hier sei man auf der Suche nach einer Alternative. Am Mittwoch betonte er: „Es wird Lieferunterbrechungen geben.“ Auch könne es „zu lokalen Ausfällen kommen“.

Im brandenburgischen Schwedt wird russisches Öl zu Benzin, Diesel und Kerosin verarbeitet. Die Raffinerie, die mehrheitlich dem russischen Ölkonzern Rosneft gehört, deckt in weiten Teilen Ostdeutschlands 95 Prozent des Marktes ab. Auch der Flughafen BER bezieht sein Kerosin dorther.

Ob es Habeck gelingt, schnell eine Alternative zu finden, ist noch unklar. Zweifel gibt es beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie. Es werde in allen Mineralölunternehmen an Notfallplänen gearbeitet – und das in enger Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium.

Dabei sei wichtig, dass die beiden Raffinerien Leuna und Schwedt „zumindest im Teillastbetrieb weiterbetrieben werden können“, wie ein Sprecher erklärte. „Dennoch werden dann im Osten Deutschlands Produkte fehlen, die durch Lieferungen aus anderen Regionen Deutschlands oder durch Produktimporte ausgeglichen werden müssen. Das stellt erhebliche Anforderungen an die Logistik von Mineralölprodukten, per Binnenschiff, auf der Schiene und auf der Straße.“

Quelle:
Handelsblatt

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