Die Familie will, ein Fremder macht‘s – So rigoros regelt Dachser die Nachfolge

Bei Dachser wetteifert eine ganze Gruppe von Erben um Spitzenplätze im Kontrollgremium. Doch bei der Nachfolge in der Geschäftsführung setzt der Logistiker auf einen familienfremden Manager. Ein Lehrstück für Chancen und Risiken von Führungsübergängen.

Das kleine Wohnhaus steht an einer Straße gleich neben dem mittelalterlichen Marktplatz von Kempten im Allgäu. Oben unter dem Dach hat sich Bernhard Simon sein Büro eingerichtet. Im Flur hat der 61-Jährige moderne Malerei aufgehängt. Dabei hätte der Familiengesellschafter und Aufsichtsratschef des Logistikunternehmens Dachser keine fünf Minuten entfernt in der großen Firmenzentrale ein repräsentatives Büro samt Vorzimmer belegen können.

„Unser Unternehmen wird jetzt von einem familienfremden Vorstand bestimmt. Wenn meine Autorität dort noch sichtbar wäre, hätte ich die ganze Rochade gar nicht durchziehen müssen“, sagt Simon auf der Dachterrasse seines Stadtbüros. Am Firmensitz will er kein Büro mehr haben.

Er müsse seinem Nachfolger, dem 51 Jahre alten Burkhard Eling, Luft zum Atmen geben, sagt Simon. Außerdem ließen sich an einem unternehmensfernen Ort Gespräche auch über schwierige Themen leichter führen. In einem mehrjährigen Prozess hat der Enkel des Firmengründers Thomas Dachser den Wechsel hin zu Eling geplant und umgesetzt. Zwei von vier Vorstandsposten wurden in der Zeit neu besetzt, ein fünftes Vorstandsressort kam hinzu – allesamt aus der jüngeren Managergeneration.

Nachfolge in Familienunternehmen – eine Situation, die pro Jahr rund 30.000 Mal in Deutschland entsteht – ist eines der brisantesten Themen für die Zukunftschancen der Firmen. Wenn über viele Jahre ein Familienmitglied den Chefposten innehat und sich niemand aus der Familie als Nachfolger anbietet, bleibt die Auswahl eines externen Managements. Oft folgt dann der Wechsel des Familienangehörigen an die Spitze des Verwaltungsrats.

Die Spedition Dachser wurde in den 1930er-Jahren für den Transport von Käse aus dem Allgäu nach Nordrhein-Westfalen gegründet – und taugt heute als aufschlussreiches Beispiel für diesen Wechselprozess. „Ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, dass in Zukunft ein Vorstandschef aus der Familie kommen wird“, sagt Simon.

Dachser sei zu groß und komplex geworden. Zudem sei ein Familienmitglied im Unternehmen nie ein ganz normaler Mitarbeiter. Ein Angehöriger bekomme mehr Informationen oder erhalte Begünstigungen. „Die psychologischen Verflechtungen sind schwierig. Und wir wollen Streit draußen halten“, sagt Simon.

Bei Dachser gilt für Familienmitglieder die Regel „up or out“, rauf oder raus. Wer aus der Familie kommt, kann im Unternehmen eine Ausbildung machen und muss danach in eine andere Firma wechseln. Will der Kandidat zurück zu Dachser, muss er den Posten des Vorstandschefs anstreben. Wenn nicht in einer operativen Tätigkeit, so soll die aktuell vierte Generation der Gesellschafter von Dachser Interesse an der Arbeit im Kontrollgremium finden.

Dafür ausgewählt sind etwa zehn Familienmitglieder, die heute zwischen Mitte 20 und Mitte 30 Jahre alt sind. „Diese Generation muss aus ihrer Mitte einen Nachfolger für die Unternehmensaufsicht finden und dann aus diesem Posten heraus Dachser aktiv und professionell gestalten“, sagt Simon. In dieser Gruppe sind fünf junge Familienangehörige, die allesamt eine duale Ausbildung bei Dachser gemacht haben. Sie gelten als mögliche spätere Verwaltungsratsmitglieder – bis hin zum Chefkontrolleur.

Etliche Familientreffen
Mittelstandsexperten raten dazu, bei einem Wechsel hin zu einem familienfremden Management selbst kleine Details vorab zu klären. „Der externe Nachfolger sollte im Vorfeld detaillierte Fragen stellen, etwa zu den Werten der Inhaberfamilie, den Renditeerwartungen oder auch zur Art des angestrebten Unternehmenswachstums“, sagt Beatrice Rodenstock. Sie stammt aus der Familie des gleichnamigen Brillenherstellers und ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Gesellschaft für Familienunternehmen mit Sitz in München. Selbst die Zahl der Treffen mit den Familiengesellschaftern gelte es im Vorfeld abzuklären.

„Knackpunkt ist, ob der frühere Familienvorstand loslassen kann und ob der neue Chef tatsächlich eigene Entscheidungen treffen kann. Das muss klar angesprochen werden“, sagt Rodenstock. Dem Inhaber müsse dabei ein Rollenwechsel vom operativen Macher hin zum Gesellschafter mit hoher Einflussnahme gelingen. Die Tochter von Randolf Rodenstock ist damals nicht als vierte Generation in das Familienunternehmen gegangen. Später wurde Rodenstock im Jahr 2003 an Finanzinvestoren verkauft.

Familienunternehmer Simon trifft seinen Nachfolger einmal in der Woche, meist für mehrere Stunden. Hinzu kommen Verwaltungsratssitzungen, mehrtägige Treffen mit Führungskräften und Familiengesellschaftern sowie Strategietagungen. Auch auf Geschäftsreisen ist Simon häufig dabei. Ob Geburtstage von Familienmitgliedern oder Familienfeiern: Vorstandschef Eling ist an etlichen Tagen im Jahr mit Familienmitgliedern von Dachser zusammen. Alle zwei Wochen gibt es zudem ausführliche Telefonkonferenzen mit allen Gesellschaftern – etwa zu aktuellen Entwicklungen im Seetransport und in der Luftfracht.

Entziehen kann sich Eling dem nicht. Schließlich steckt dahinter ein langfristig angelegter Plan. Die Jüngeren unter den etwa 20 Gesellschaftern sollen durch ihn tiefere Einblicke auch in die Geschäftsbilanz des Unternehmens bekommen und dadurch enger angebunden werden. In seiner vorherigen Position als Finanzchef von Dachser hat Eling schon einmal Schülern und Studenten unter den Gesellschaftern die Zahlen erklärt.

Ein anderer Managertyp
Für die Suche eines Nachfolgers gibt Simon zwei Ratschläge aus: Man dürfe sich selbst nicht zu wichtig nehmen. Und man dürfe den Nachfolger nicht nach der eigenen Person aussuchen. „Einen Klon zu suchen, das wird scheitern“, sagt er. Das ist auch nicht passiert, denn schon vom Auftreten her ist Vorstandschef Eling ein anderer Managertyp.

Der großgewachsene 51-Jährige ist kaum zu übersehen und mit seinem lauten Lachen auch nicht zu überhören. Eling stammt aus einer Architektenfamilie, hat in seinen Schulferien auf Baustellen gejobbt, als Schüler eine eigene Firma zum Verkauf von Fahrrädern gegründet. Später arbeitete der Wirtschaftsingenieur in großen Baukonzernen: bei Philipp Holzmann, Hochtief und Bilfinger.

Vor zehn Jahren heuerte der Hobbysportler – Radfahren, Laufen, Wandern und Skifahren – dann bei Dachser an. Seit einem Jahr ist er Vorstandsvorsitzender. „In solch einem Fall wie bei mir sollte man die Gesellschafter schon gut kennen“, sagt Eling. „Der persönliche Fit muss passen.“ Außerdem müsse die Arbeitsbelastung auf dem Chefposten mit der eigenen Familie abgesprochen werden. „Was vorher schon viel war, wird nachher noch mehr“, sagt der Vater von drei Kindern.

Familiengesellschafter Simon, ein eher unauffälliger Typ eines Dauerläufers, ist dagegen ein Mann der leisen Töne. Er erklärt Dinge ausgiebig und bis ins Detail. Mit seiner ruhigen Art könnte er an mancher Stelle unterschätzt werden. An seiner Haltung und den Kriterien der Auswahl lässt er wenig Zweifel. „Wir haben einen Nachfolger ausgesucht, der weiß, dass Demut ein Talent ist“, sagt Simon.

Start-up-Methoden
Sie beide hätten unterschiedliche Herangehensweisen, sagt Simon. Eling arbeite strukturierter und mache sich für alles einen Plan. Er selbst „springe in die Situation hinein“, suche zuerst das Gespräch und sei sehr nah an den Mitarbeitern dran.

Nachfolger Eling sagt, dass Simon der Empathischere von ihnen beiden sei und das bessere Gespür für Menschen habe. Zum eigenen Führungsstil sagt Eling, er wolle einige Arbeitsmethoden aus der Start-up-Szene übernehmen. „Ich binde gern Mitarbeiter frühzeitig in Entscheidungen ein und gestalte Veränderungen so transparent wie möglich.“

Quelle:
Welt.de

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