Die Schiffe kommen wieder, aber der Materialmangel bleibt

Immer wieder kommt es seit dem vergangenen Jahr zu Verzögerungen im Schiffsverkehr. Waren verspäten sich, die Transportpreise haben sich gegenüber der Vor-Pandemiezeit versiebenfacht. Warum sich die Lage entspannen könnte, das Material aber weiterhin fehlt
Anfang September 2022. 19 Schiffe liegen in der Deutschen Bucht und warten auf die Einfahrt in die großen Häfen von Hamburg und Bremerhaven. Manche wurden Wochen vertröstet.

Solche Staus zeigten in den vergangenen Monaten immer wieder, wie sehr der weltweite Schiffsverkehr aus dem Ruder gelaufen ist. Vor Kalifornien stauten sich Ende 2021 über hundert Schiffe, vor der chinesischen Küste waren es zeitweise sogar mehrere hunderte. Als der Hafen von Schanghai im April und Mai nach einem Corona-Ausbruch mehrere Wochen dicht machte, konnten vorrübergehend 3,5 Prozent der weltweiten Frachtkapazität nicht abgefertigt werden. Die Transportpreise für einen standardmäßig genutzten 40-Fuß-Container zwischen China und Deutschland stiegen auch deswegen seit Beginn der Pandemie von 2000 auf 15.000 US-Dollar. Viele deutsche Unternehmen mussten immer länger auf ihr Material warten.

Jetzt könnte sich die Lage entspannen. Auch wenn noch immer viele Waren auf den Schiffen gebunden sind, hat sich zumindest der Schiffstau vor der deutschen Bucht langsam aufgelöst. „Zwar sinkt auch in der Tendenz die Zahl der weltweit vor Häfen gestauten Containerschiffe, aber weiterhin sind etwa elf Prozent aller weltweit per Container verschifften Güter in diesen Staus blockiert“, sagt Vincent Stamer, der beim Kieler Institut für Weltwirtschaft den Kieler Trade Indicator leitet, mit dem unter anderem das Ausmaß der Schiffsstaus gemessen wird.

Frachtpreise sinken
Vor allem aber deuten fallende Frachtpreise darauf hin, dass die Nachfrage nach Plätzen auf den Containerschiffen sinkt. Die Überführung eines 40-Fuß-Containers von China nach Nordeuropa kostete im Januar noch 15.000 US-Dollar. Ende Oktober kostete eine Containerüberfahrt von Asien nach Nordeuropa nur noch 5000 Dollar, ein Containertransport von Asien in die USA nur 2500 statt 20.000 Dollar auf dem Höhepunkt der Krise.

Der Septemberhandel war durch eine schwächere Nachfrage aus Europa und Nordamerika nach chinesischen Waren geprägt. Die Importe der EU und der USA aus China sowie der gesamte Welthandel waren im September rückläufig. Im Oktober nahmen Import und Export gegenüber dem September ab. „Eine Abkühlung des globalen Handels könnte auch etwas Positives darstellen, wenn sich überspannte Lieferketten und Verkehrsstaus durch die Atempause erholen“, sagte Stamer.

Die Materialknappheit in Deutschland ist bisher aber nur leicht zurückgegangen. Als das Ifo-Institut im Juli deutsche Industrieunternehmen zur Materialknappheit befragte, antworteten erstmals weniger als im Vormonat, dass ihnen Material fehle. In der folgenden Befragung im September stieg der Wert wieder. In dieser Befragung berichteten 65,8 Prozent der Industrieunternehmen von einem Materialmangel.

Auch wenn die Entspannung im Schiffsverkehr langsam voranschreitet und sich erst mit Verzögerung in den Materiallieferungen niederschlägt, könnten die Lieferengpässe noch länger bestehen bleiben. Denn neben den Verwerfungen durch die Coronapandemie stören derzeit schließlich auch durch den Ukrainekrieg bedingte Sanktionen die Belieferung deutscher Unternehmen mit Rohstoffen und Vorprodukten.

Lieferengpässe könnten bleiben
Der Ökonom Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden warnte zuletzt in einem Aufsatz, dass auch nach Coronapandemie und Ukrainekrieg Gründe für Lieferengpässe bestehen blieben. Denn der Materialmangel sei nicht nur das Ergebnis temporärer Ereignisse, sondern habe auch strukturelle Gründe. Eine sich verändernde Nachfrage verursache unabhängig vom Schiffsverkehr Lieferengpässe. Besonders für die stark gestiegene Nachfrage nach Halbleitern gibt es oft kein ausreichendes Angebot.

Ragnitz warnte aber auch vor einer weiteren Entwicklung: Weil die Bevölkerung in Deutschland und in wichtigen Zuliefererländern von Vorprodukten immer älter würde, müssten mehr Waren aus Ländern mit geringeren demographischen Problemen bezogen werden. „Diese Lieferbeziehungen müssen aber erst einmal aufgebaut werden“, schreibt Ragnitz in seinem Aufsatz.

Auch wenn jetzt die Schiffe wieder zuverlässiger fahren, könnten die Materialprobleme der deutschen Wirtschaft also bestehen bleiben.

Quelle:
capital.de

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