Welche Zukunft hat die Seidenstraße?

Der in der Pandemie beobachtete Boom im Schienengüterverkehr zwischen Europa und China, befeuert von den Problemen in der maritimen Lieferkette, ist vorerst vorbei. Es hat sich 2022 etwas verändert, nicht zuletzt hat der Angriff Russlands auf die Ukraine auch den Landverkehr durcheinandergebracht. In Duisburg, einem der wichtigsten westeuropäischen Ziele der Neuen Seidenstraße kamen in diesem Jahr im Schnitt 30 bis 35 Züge pro Woche aus China an, sagt Carsten Hinne, Vorstandsmitglied von Duisport. Im Vorjahr waren es laut Andreas Schwilling von der Beratungsfirma Roland Berger etwa doppelt so viele.

Nach Schwillings Daten ist der Ost-West-Bahnverkehr zwischen China und Europa 2022 um etwa 30 Prozent zurückgegangen, andere Schätzungen, die beim „New Silk Road Summit“ von RailFreight.com in Duisburg präsentiert wurden, lauten auf 25 Prozent. Güterzüge rollen zwar trotz des Krieges weiter unbehelligt über die klassische russische Route durch Sibirien und weiter durch Belarus nach Polen und europäischen Kunden ist dieser Wag auch nicht durch Sanktionen untersagt. Schwilling sieht in der bewussten Abkehr vieler europäischer Verlader und Transportunternehmen von diesem „nördlichen Korridor“ aber den Hauptgrund für das sinkende Frachtvolumen. Schätzungsweise 80 Prozent des Rückgangs seien durch den Wunsch zu erklären, Russland zu umfahren. Für den Rest seien Faktoren wie eine gedrosselte Produktion in China und die schlechtere Konsumlaune in Europa verantwortlich.

Der mittlere Korridor führt übers Meer
Eher skeptisch sieht die Branche die Möglichkeiten, auf den mittleren Korridor der Neuen Seidenstraße auszuweichen, der von China über Kasachstan, Aserbaidschan und Georgien ans Schwarze Meer führt und dann entweder per Schiff weiter in die EU – etwa nach Constanta in Rumänien – oder über die Türkei nach Westen führt. Schon vor der georgischen Schwarzmeerküste ist auf dieser Route das Kaspische Meer zu überwinden und die Güter müssen in Aktau auf Schiffe umgeladen werden.

Chinesische Bahnfrachtoperateure zeigten sich in Duisburg sehr zurückhaltend, was die Chancen angeht, den mittleren Korridor stärker zu befahren. Zu lange Strecken, zu viele Grenzen mit zu vielen Formalitäten und dann die zwei Meere mit teils langen Wartezeiten in den Häfen: so lauten ihre Hauptbedenken. Zudem seien im Winter auf dem Kaspischen Meer Stürme zu erwarten, die Fährüberfahrten zeitweise unmöglich machen oder verzögern könnten. Höchstens im Sommer könne man Kunden deshalb den mittleren Korridor als Alternative anbieten.

Kasachstan hat Trassengebühren erhöht
Ähnlich skeptisch wird die Route von europäischen Akteuren gesehen. 50 bis 60 Tage könnten die Transporte dauern, sagt Kelvin Tang von Ceva Logistics. Das ist deutlich länger als die Fahrten über Russland, wo derzeit mit unter 20 Tagen zu rechnen ist. Der Rekord auf der Strecke zwischen China und Duisburg liegt inzwischen bereits bei 10 Tagen. Zudem kostet der Transport auf dem mittleren Korridor laut Tang etwa 30 Prozent mehr als über Russland. Kasachstan hat die Gebühren für die Durchfahrt spürbar erhöht. Ceva bietet dennoch Transporte an. Ziel müsse es aber sein, auf verlässliche Transportzeiten von 30 bis 35 Tagen zu kommen, um wenigstens einen zeitlichen Vorteil gegenüber dem Seetransport von China nach Europa bieten zu können, für den 40 bis 45 Tage zu veranschlagen seien.

Das Frachtvolumen auf dem mittleren Korridor ist laut Schwilling seit Beginn des Ukraine-Krieges gestiegen. Es sei aber mit rund 100 TEU oder „bestenfalls“ 200 TEU pro Woche „fast nicht erwähnenswert“. Es liefen allerdings zahlreiche Projekte, sowohl die Infrastruktur zu verbessern, für einen reibungsloseren Fährverkehr zu sorgen und die Zoll- und Grenzformalitäten zu vereinfachen, etwa durch die Nutzung digitaler Ladungspapiere.

„Der Ukraine-Krieg könnte dem mittleren Korridor einen Aufschwung bringen, aber er kommt dafür ein paar Jahre zu früh“, sagt Schwilling. Noch seien Abläufe und Infrastruktur nicht entwickelt genug, um mit einem möglichen, deutlichen Nachfrageanstieg fertig zu werden. Schwilling hält Verbesserungen für möglich, glaubt aber nicht, dass sich die Transportkosten auf ein ähnliches Niveau wie auf der Sibirien-Route bringen lassen und rechnet auch nicht mit Transportzeiten von unter 25 Tagen.

Mittlerer Korridor ermöglicht Handel mit Zentralasien
„Der mittlere Korridor wird nie ein Ersatz für den nördlichen Korridor werden, aber er bietet durchaus zahlreiche Chancen“, sagt Maia Parlagashvili, Managerin für interkontinentale Bahnprodukte bei Maersk. Dazu zählt sie etwa die Anbindung der zentralasiatischen Staaten Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan, die nicht auf Seetransporte ausweichen können. Das Handelsvolumen dieser Staaten mit der EU beträgt allerdings nur einen Bruchteil des Güteraustausches mit China.

Ganyi Zhang, strategische Analystin bei Geodis, hält steigende Frachtvolumen auch für möglich, wenn neue Produkte für den Bahntransport infrage kommen. So habe die Schließung des russischen Luftraums in diesem Jahr bereits zu einem stärkeren Transport von Milchpulver per Bahn nach China geführt und dass China seit Herbst auch den Bahntransport von Elektrofahrzeugen erlaube, eröffne weitere Möglichkeiten.

Iran-Sanktionen blockieren südlichen Korridor
Die Schiffspassagen auf dem mittleren Korridor ließen sich auf einem südlichen Korridor der Neuen Seidenstraße vermeiden, der etwa über Turkmenistan und den Iran in die Türkei und dann weiter in die EU führen könnte. Diese Strecke wäre allerdings noch länger. Zudem ist derzeit wegen der westlichen Sanktionen gegen den Iran die Nutzung nicht möglich. Parlagashvili sieht bei weiter südlich verlaufenden Routen die Chancen, Verbindungen zum Mittelmeerraum und nach Afrika zu schaffen.

Diese bietet auch die „maritime Seidenstraße“, die – eventuell über Indien und Ostafrika – durch den Suezkanal ins Mittelmeer führen und Häfen wie Piräus, aber auch Adriahäfen wie Triest und Koper anbinden könnte. Kees Verweij, Partner beim Beratungsunternehmen BCI Global, glaubt, dass diese Variante besonders für Staaten im Südosten und Zentrum der EU Chancen bietet. Ungarn investiere etwa bereits in ein Bahnterminal im Hafen von Triest. Verweij sieht die südlichen Varianten der Seidenstraße als wichtige Elemente in der Diskussion, wie europäische Unternehmen ihre Lieferketten diversifizieren können. Die Stichworte lauten hier: Near- und Re-Shoring.

Tschechien führt vor Deutschland die Liste der von BCI Global analysierten Länder an, die für Re-Shoring oder Dezentralisierung der Produktion gut geeignet sein könnten. Auch Polen, Ungarn, Rumänien, Serbien, die Türkei und Nordafrika tauchen hier unter den Top Ten auf. Wichtig findet Verweij, dass bei solchen Re-Shoring-Überlegungen mit bedacht wird, woher Vorprodukte bezogen werden müssen und wohin fertige Waren vorrangig exportiert werden.

In einer Umfrage von BCI Global sagten 60 Prozent der befragten Unternehmen, dass sie sich über Re-Shoring Gedanken machen. Konkrete Projekte gibt es laut Verweij bisher nur vereinzelt. Dafür seien nicht zuletzt erhebliche Investitionen zu stemmen. „Wenn wir über Re-Shoring reden, wird auch Indien eine Rolle spielen“, glaubt Jakub Walczak, Rail Product Manager Europe beim Logistikkonzern C.H. Robinson.

Seefrachtanteil könnte wieder steigen
Im Schienenverkehr ist eine Anbindung Indiens allerdings schwierig. Mohammadbagher Forough, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg, weist auf die politischen Hindernisse hin, Züge aus Indien durch Pakistan oder China zu schicken. Selbst die Variante, Güter zu iranischen Bahnterminals zu verschiffen, ist derzeit aus politischen Gründen nicht praktikabel.

Wie es mit dem Schienengüterverkehr auf der Neuen Seidenstraße weitergeht, hängt nach Ansicht von Andreas Schwilling hauptsächlich davon ab, ob es zwischen Russland und der Ukraine zumindest zu einem Waffenstillstand kommt und wie sich das Handelsvolumen zwischen der EU und China entwickelt. Bei einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen zu Russland sieht er den Druck steigen, Alternativen zur Route durch Sibirien zu suchen. Möglich sei dann allerdings auch, dass viele Verlader von der Bahn wieder zur Seefracht wechseln. Die zunehmende Verlässlichkeit der Schiffsverbindungen und deutlich gesunkene Seefrachtraten machten das zu einer einfachen Option. Für die Diversifizierung der Handelsrouten zwischen China und der EU wäre es eher ein Rückschritt.

Quelle:
DVZ

Schreibe einen Kommentar