Angriff auf Getreiderouten aus der Ukraine

Nach der Route über das Schwarze Meer will Russland der Ukraine offenbar auch alternative Transportwege für Getreide abschneiden. Zu Wochenbeginn wurden die ukrainischen Donauhäfen in Ismail und Reni bombardiert. Sie sind wichtiger Bestandteil der seit Kriegsbeginn von der EU aufgebauten „Solidaritätskorridore“ in die Ukraine.

Bereits in den vergangenen Monaten, seit sich Probleme auf der Schwarzmeer-Route abzeichneten, hat der Getreideumschlag in Ismail, Reni und Kilija deutlich zugenommen – auf gut 2 Millionen Tonnen im Monat. Es gibt die Hoffnung in der EU, diese Menge auf 3 Millionen Tonnen steigern zu können. Dieses Ziel könnte durch die Angriffe infrage gestellt werden.

Raketen schlugen nahe der rumänischen Grenze ein
Besonders die Luftangriffe auf Hafenanlagen in Reni, wo es auch ein Ölterminal gibt, haben Manfred Seitz, Generaldirektor der Donaukommission, überrascht. „Das zeigt die Hemmungslosigkeit Russlands“, sagt er zur DVZ. Der ukrainische Hafenort liegt in einem Dreiländereck direkt neben dem moldauischen Donauhafen Giurgiulesti und an der Grenze zu Rumänien. Bis zum großen rumänischen Donauhafen in Galati sind es nur rund 25 Kilometer. Raketen könnten leicht auch das NATO-Land Rumänien treffen. Diese Gefahr ordne Russland offenbar dem politischen Ziel unter, die Ukraine vom Weltgetreidemarkt abzuschneiden, sagt Seitz.

Donauhäfen lagen im Mai vor Seehäfen
Von den rund 4,4 Millionen Tonnen Getreide, die die Ukraine im Mai exportierte, wurden nach Angaben der Donaukommission gut die Hälfte in Donauhäfen umgeschlagen und nur mehr 29,4 Prozent in den ukrainischen Seehäfen rund um Odessa. 14,4 Prozent wurden mit der Bahn und 4,2 Prozent mit Lkw in und durch die EU transportiert.

Die Ukraine bringt ihr Getreide per Bahn und Lkw zu ihren drei Häfen, die am Hauptstrom und am Kilija-Arm der Donau liegen, der Grenze zu Rumänien. Die Häfen waren nach dem Ende der Sowjetunion mit etwa 5 Millionen Tonnen jährlichem Frachtumschlag kaum mehr von Bedeutung. Seit Kriegsbeginn hat der Verkehr ein nie gesehenes Ausmaß erreicht. „Es ist gewaltig, was die Ukraine dort an technischen und logistischen Leistungen gestemmt hat“, sagt Seitz. Etwa 100.000 Tonnen pro Tag können jetzt in den drei ukrainischen Donauhäfen umgeschlagen werden. Statt einer Handvoll liefen zuletzt mehr als 300 Seeschiffe pro Monat diese Häfen an.

Auf dem „maritimen Teil“ der Donau, der sich von der rumänischen Stadt Braila bis zur Mündung des Sulina-Kanals in das Schwarze Meer erstreckt, können bei einer garantierten Wassertiefe von 7,30 Metern Seeschiffe fahren. Sie können Getreide aus Reni, Ismail und Kilija oder dem moldauischen Hafen Giurgiulesti durch den auf rumänischem Gebiet verlaufenden Sulina-Kanal und durch rumänische und bulgarische Küstengewässer zu Destinationen in der Türkei und im Mittelmeer transportieren.

Ein anderer stark genutzter Weg ist es, das Getreide mit Binnenschiffen zunächst donauaufwärts und dann über einen Kanal zum rumänischen Schwarzmeerhafen Constanta zu bringen und dort auf große Seeschiffe zu verladen. Doch was nach Russlands Luftangriffen auf die ukrainischen Donauhäfen geschieht, ist ungewiss. „Ich gehe davon aus, dass die Häfen weiterarbeiten“, sagt Seitz. Doch wie viel dort umgeschlagen werden könne, hänge davon ab, ob es weitere Bombardements gibt, wie schnell Schäden repariert werden können, welchen Schutz die Luftabwehr Transportunternehmen künftig garantieren kann und wie Versicherer die Risiken beurteilen.

Landweg soll ausgebaut werden
Den grenzüberschreitenden Getreidetransport per Bahn und Lkw in die rumänischen Donauhäfen Galati und Braila oder direkt nach Constanta zu erleichtern und zu beschleunigen, sei bereits in den vergangenen Monaten Top-Priorität der EU-Kommission gewesen, sagt Seitz. Er erwartet hier jetzt noch mehr Anstrengungen.

Giurgiulesti ist laut Hafenchef Mathias von Tucher für den Getreideumschlag eher von untergeordneter Bedeutung. „Insgesamt sprechen wir von rund 35 Millionen Tonnen ukrainischen Getreides, das exportiert werden muss. Davon können wir nur einen Bruchteil umschlagen“, so von Tucher. Der Standort sei vor allem für den Import von Treibstoff in die Ukraine wichtig.

Gedanken machen wird sich die EU sicher, wie noch mehr Getreide auf dem Landweg transportiert werden kann, zum Beispiel zum Hafen Klaipeda in Litauen, der große Umschlagkapazitäten hat. Ein anderer Landkorridor führt über Polen entweder zu den Häfen Gdynia und Gdansk oder im Transit auch nach Hamburg. Gegenwärtig seien dort 1.800 Tonnen Mais mit einem Zug nach Hamburg unterwegs, sagt Jes-Christian Hansen, Geschäftsführer des Futtermittel- und Getreidehändlers Habema aus Hamburg. Die phytosanitäre Kontrolle an der Grenze zu Polen könne schnell gehen, aber auch dauern. Eine weitere Verkehrsroute führt über den Osten der Slowakei. Dort ist laut Hansen die Umladung von Waggons mit ukrainischer Breitspur auf Getreidewagen in Normalspur möglich.

Transport über die Donau nach Westen ist teuer
Der Getreidetransport per Binnenschiff von der ukrainischen Grenze bis nach Westeuropa ist laut Seitz in der Regel zu teuer. Theresia Hacksteiner, Generalsekretärin des europäischen Binnenschifffahrtsverbandes EBU, hat von ihren Mitgliedern seit Russlands Aufkündigung des Schwarzmeerabkommens noch keine Informationen über Veränderungen bekommen. Sie hält es aber nicht für ausgeschlossen, dass der Binnenschiffverkehr auf der Donau weiter zunimmt.

Zunächst muss das ukrainische Getreide aber erst einmal die Donau erreichen. Seit dem jüngsten Bombardement von Odessa gibt es Einschränkungen beim Transport per Lkw und Bahn. Eine wichtige Brücke bei Zatoka auf der Bahnlinie nach Ismail sei seit Kriegsbeginn mehrmals von Russland zerstört und von der Ukraine jeweils wieder instand gesetzt worden, sagt Seitz. Am 21. Juli wurde die erneute Zerstörung der Brücke gemeldet.

Grenzübertritte kosten viel Zeit
Ein Problem bei steigenden Volumina auf den alternativen Routen ist es, genügend Personal bei Grenzpolizei, Zoll und Schifffahrtsverwaltung zu finden, für die vorgeschriebenen Kontrollen. Die EU hat seit Kriegsbeginn bereits eine Menge Geld und Zeit investiert, um den Grenzübertritt auf den Solidaritätskorridoren zu beschleunigen. „Ohne die intensive Koordination durch die EU-Kommission geht es hier nicht“, betont Seitz.

Zudem müssen genügend Umschlagmöglichkeiten, Züge, Lkw und Schiffe vorhanden sein. Ein wichtiger limitierender Faktor sind auch fehlende Lotsen für Seeschiffe auf dem Sulina Kanal. Laut Seitz werden derzeit als Notfallmaßnahme pensionierte Kapitäne der rumänischen Marine geschult, um die erforderliche Anzahl an Lotsen zu erreichen.

Konkurrenz um Hafenkapazität
Ukrainisches Getreide ist nicht das einzige Gut, das in der Region transportiert werden muss. Die ukrainischen Donauhäfen sind auch wichtig, um etwa Treibstoff und Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen. „Es darf außerdem nicht außer Acht gelassen werden, dass die ukrainischen Donauhäfen sowie der Seehafen Constanta und die See- und Flusshäfen Galati, Braila und Giurgiulesti auch wichtige Knoten für nationale Verkehre sind, beziehungsweise im Fall von Constanta eine wichtige Drehscheibenfunktion für die gesamte Donauregion haben“, sagt Seitz. Unter anderem möchten rumänische oder ungarische Getreidebauern ihre Ware auf die Märkte bringen und die Unternehmen beobachten genau, ob sie wegen der steigenden Nachfrage nach Transportkapazität höhere Frachtpreise zahlen müssen.

Bauern im Osten der EU fürchten Preisverfall
Weil einige östliche EU-Staaten Probleme mit billigem Getreide aus der Ukraine bekamen, das den eigenen Landwirten die Preise verdarb, verhängten sie – angeführt von Polen – Beschränkungen für die Getreideeinfuhr. Die EU-Kommission genehmigte das nach anfänglicher Kritik bis zum 15. September. Auf die Frage, ob diese Beschränkungen wegen der neuesten Entwicklungen eventuell verlängert werden dürfen, sagte eine Sprecherin, die Kommission habe noch keine solchen Anträge erhalten.

Quelle:
DVZ

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