Am Golf entsteht ein neues Gravitationszentrum

Seit vier Jahren ist Dalia Samra-Rohte in Riad Geschäftsführerin der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Saudi-Arabien, Bahrain und Jemen. Als sie 2019 in die saudische Hauptstadt wechselte, startete das Nationale Programm für industrielle Entwicklung und Logistik, das Saudi-Arabien in „eine globale Logistikdrehscheibe“ verwandeln soll. Samra-Rohte erklärt die Idee so: „Schiffe sollen im Suezkanal sozusagen abgefangen werden, um das Transshipment direkt am Roten Meer abzuwickeln, mit kürzeren Fahrzeiten auch Richtung Afrika.“ Das führt zu einer erhöhten Wettbewerbssituation am Golf, wo sich der Hub-Hafen Jebel Ali in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate, VAE) etabliert hat.

Doch dorthin müssen Containerschiffe einen Umweg durch die Straße von Hormus fahren, wo jederzeit geopolitische Spannungen entstehen können. Die saudische Regierung will am Roten Meer nicht nur den wichtigsten Hafen des Landes in Jeddah erweitern, sondern hat zwei weitere Megahäfen auf dem Reißbrett entworfen.

Im Rahmen des Projekts King Abdullah Economic City ist der King Abdullah Port schon im Betrieb und das Containerterminal für die weltgrößten Schiffe konzipiert – es soll eine Kapazität von 25 Millionen TEU bekommen. Das sind die Dimensionen der „Vision 2030“, mit der Kronprinz Mohammed bin Salman die Energiewende beschleunigen und eine neue Investitionswelle auslösen will.

Im November 2021 gab er die Gründung der Planstadt Neom am Golf von Akaba bekannt. Dazu gehört der schwimmende Industriekomplex Oxagon, der laut Pressemitteilung „eine hochmoderne integrierte Hafen- und Flughafenanbindung“ erhalten soll. Der Plan klingt wie Science-Fiction: „Alles wird an ein Netz vollautomatischer Verteilzentren und autonomer Anlagen für die Zustellung auf der letzten Meile gekoppelt.“ Erst kürzlich wurde bekannt, dass die weltgrößte Linienreederei MSC mit ihrer Logistiktochter Medlog in Neom ein Schifffahrts- und Logistikzentrum aufbauen möchte. Und Kühne + Nagel liefert 1,4 Millionen Tonnen Ausrüstung für den Aufbau von Windkraftanlagen.

Freihandelszonen nach Dubai-Vorbild
Arndt Sonntag, Trade Lane Manager EMEA für BHS Spedition und Logistik in Bremen sowie die Muttergesellschaft A. Hartrodt, ist regelmäßig in Saudi-Arabien vor Ort. Containerbuchungen für die Westküste erhalte er derzeit zu 90 Prozent für den Hafen Jeddah, der King Abdullah Port spiele „noch keine große Rolle“. Künftig wolle die Regierung das Verhältnis „drehen“. Die Hartrodt-Gruppe ist dabei, über Agenten Neugeschäft zu entwickeln. Während Saudi-Arabien in der Vergangenheit „eher ein Markt für große Logistikunternehmen“ gewesen sei, könne es für mittelständische Speditionen interessanter werden, meint Sonntag, „weil die Hürden niedriger werden“. Konkret gebe es bei Steuern und Zöllen bereits Vereinfachungen – digitale Verzollung sei mittlerweile Standard. Außerdem entstünden in Jeddah und Riad „nach Dubai-Vorbild“ Freihandelszonen, über die sich Waren künftig zollfrei importieren ließen.

DHL Global Forwarding gründete 2020 ein „Arabian Cluster“, um das Wachstum in der Region voranzutreiben. In Saudi-Arabien wurden über 30 Millionen Euro investiert und drei „wichtige Gateways“ eröffnet – in Riad, Jeddah und Dammam. Im Oktober 2022 hat der Logistiker in der Eastern Gateway Bonded Zone (EGBZ) am King Fahad International Airport in Dammam einen LCL-Seefracht-Expressdienst mit einer durchschnittlichen Abfertigungszeit von weniger als 12 Stunden eingeführt. Immer mehr Kunden wollten den Flughafen als alternatives Abfertigungsportal zum Seehafen nutzen, „um Staus und lange Wartezeiten zu vermeiden“, sagt Mark C. Anthony, kaufmännischer Direktor der EGBZ.

Hutchison Ports sehr aktiv
Im März gab DHL Supply Chain zudem ein Joint Venture (JV) mit dem saudischen Erdölkonzern Aramco bekannt, um Beschaffungs- und Lieferketten-Services für Industrie-, Energie-, Chemie- und Petrochemie-Unternehmen anzubieten. Aramco entwickelt in der Ostprovinz zwischen Dammam und Al-Hasa den Trockenhafen King Salman Energy Park (SPARK). Ende Juni gründete SPARK mit einer Tochter des chinesischen Hafenkonzerns Hutchison Ports das JV Energy City Logistics Company, das die Konzession für den Trockenhafen inklusive Zollfreizone erhielt. Für 400 Millionen US-Dollar entsteht eine 50 Quadratkilometer große Logistikanlage für den Umschlag von Containern, Stückgut und Projektladung, Lagerung sowie Zollabfertigung.

Südlich von Jeddah betreibt Hutchison Ports den Hafen „Jazan City für Primär- und nachgelagerte Industrien“, der im September 2022 unter anderem für 21.000-TEU-Schiffe eingeweiht wurde. In diesem Zusammenhang wurde auch die Saudi Silk Road Company gegründet, um chinesische Industrieinvestitionen ins Königreich zu holen.

Von Januar 2024 an müssen alle ausländischen Unternehmen ihre regionale Zentrale nach Saudi-Arabien verlegen, wenn sie weiterhin mit der Regierung zusammenarbeiten möchten. Samra-Rothe beobachtet, dass Logistiker „ein steigendes Interesse zeigen“. Firmengründungen benötigten keinen lokalen Partner mehr, „aber die Kosten sind meist höher als in den Nachbarländern“.

Hellmann gründete 2011 die erste Niederlassung in Saudi-Arabien und hat heute an vier Standorten über 200 Mitarbeitende. Seit 2021 gibt es mit der Saudi Chemical Group ein JV im Bereich Healthcare-Logistik, das „künftig durch zusätzliche spezialisierte Lager in Riad, Jeddah und Dammam ausgebaut“ werden soll, sagt Madhav Kurup, Regional CEO IMEA bei Hellmann Worldwide Logistics. „Wir entwickeln aktuell Lösungen für den Automobilsektor, wobei wir uns zunächst auf den Ersatzteilbereich konzentrieren und anschließend auch in der Fahrzeuglogistik tätig werden wollen.“

Samra-Rothe kam 2004 nach Abu Dhabi, um dort das AHK-Büro aufzubauen. Zwischen dem Aufbruch damals in die VAE und heute in Saudi-Arabien sieht sie Parallelen: „Das wirtschaftliche Gravitationszentrum der Megaprojekte ist jetzt in Saudi-Arabien“ – nachdem es zuvor in Dubai, Abu Dhabi, Doha (Katar) war.

Quelle:
DVZ

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