Livetracking in der Seefahrt: Nexxiot stattet Container mit Internet aus

Für den Logistikdienstleister schraubte sogar Verkehrsminister Wissing als Hilfsarbeiter. Nexxiot will den Seeverkehr digitalisieren, etwa mit Kunden wie Hapag-Lloyd.

Ausgestattet mit einem Akkuschrauber, zog es Bundesverkehrsminister Volker Wissing am Montag vergangener Woche an Hamburgs Binnenalster. Neben der Reedereizentrale von Hapag-Lloyd, einem Prunkbau aus Kaiserzeiten, schritt der FDP-Politiker selbst zur Tat.

Dem 700.000. von insgesamt 1,6 Millionen Seecontainern, die der Seefahrtskonzern bis 2024 in sein „Internet der Dinge“ einbinden will, verpasste Wissing höchstpersönlich den dafür nötigen Peilsender, ein Datengerät, nicht größer als ein Telefonhörer.

Der Aufbau einer intelligenten Containerflotte komme nicht nur der Schifffahrt zugute, lobte der aus Berlin angereiste Minister, „solche Fortschritte stärken den Innovationsstandort Deutschland und tragen zu unserer Vision eines besser vernetzten und effizienteren Verkehrssektors bei.“

Die notwendige Technik, die Hapag-Lloyd als erste Reederei weltweit in die Lage versetzt, jeden ihrer Container rund um die Erde in Echtzeit zu orten, stammt allerdings hauptsächlich aus Zürich. Denn erfunden haben den Sender, der Temperaturen misst, Stöße registriert und per GPS den Standort mitteilt, die Schweizer.

Das 150 Mitarbeiter zählende Unternehmen Nexxiot AG, gegründet von Christoph Wartmann und Daniel MacGregor, entstand 2015 als Spin-off an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Doch nicht für Anwendungen in der Logistik, sondern zunächst als erfolgloser Lieferant von Tracking-Tools für Haustiere wie Hunde und Katzen.

Nexxiot: Knorr-Bremse und Bertelsmann beteiligt
Ein Großauftrag für den Waggonvermieter VTG brachte vor sieben Jahren die Wende. Vergangenes Jahr stieg zudem der deutsche Eisenbahn-Zulieferer Knorr-Bremse mit 60 Millionen Euro ein und sicherte sich rund ein Drittel der Anteile. Auch der Gütersloher Medien- und Logistikkonzern Bertelsmann ist seit Anfang 2022 beteiligt, neben mehreren Firmenmanagern und Private-Equity-Gesellschaften.

Doch nicht nur ein Großteil des Firmenkapitals, auch die Unternehmensleitung stammt inzwischen aus Deutschland. Seit August 2020 liegt sie bei dem Münchener Stefan Kalmund, der als CEO – ganz schweizerisch – den Titel „Präsident des Verwaltungsrats“ trägt.

„Die Digitalisierung der Logistikbranche bietet das Potenzial, Milliarden einzusparen“, ist sich Kalmund sicher, „und diesmal liegen die Europäer damit weit vor den Amerikanern.“ Zudem würden erst fünf Prozent aller Seecontainer digital verfolgt, zehn Prozent aller Güterwaggons. Entsprechend groß sei der Nachholbedarf.

Die Datengeräte sollen schon ab 2024 Zoll-Prozeduren erleichtern, Reedereikunden sicherere Ankunftszeiten liefern und Leerfahrten drastisch verringern. „Sobald die Flotten vollständig mit der neuen Technologie ausgerüstet sind, rechnet sich die Investition für viele Kunden nach deutlich weniger als einem Jahr“, verspricht Kalmund.

Bei Hapag-Lloyd gibt man sich zurückhaltender. „Wir sind noch dabei, entsprechende Angebote für unsere Kunden zu entwickeln“, erklärt ein Firmensprecher. Für erste Erfolgsmeldungen sei es noch zu früh.

Der 52-jährige Kalmund bringt reichlich Erfahrung in den Betrieb. Zuvor leitete er die auf Internettelefonie spezialisierte Deutsche Telefongesellschaft AG (DTG). 2014 versuchte er sich – wenn auch vergeblich – in führender Position an der Sanierung des TV-Herstellers Loewe. Vor dem Wechsel zu Nexxiot arbeitete Kalmund für eine Londoner Vermögensverwaltung, die sich insbesondere auf kleinere Technologiefirmen fokussierte.

Nexxiot-Chef Stefan KalGoßer Nachholbedarfmund bereitet weitere Aufträge mit Reedereien vor
Der Deal mit Hapag-Lloyd ist womöglich nicht sein letzter Coup in der weltweiten Seefahrt. Das Reederei-Konglomerat ONE, entstanden aus den drei japanischen Containergesellschaften K-Line, NYK und MOL, will es den Hanseaten gleichtun. Nach dem Vorbild von Hapag-Lloyd möchte nun auch die weltweit siebtgrößte Reederei ihre Stahlboxen mit Sendern ausstatten und die Betriebs- und Standortdaten per Mobilfunk in die Internet-Cloud befördern.

Noch läuft dort die Ausschreibung, doch Nexxiot hat zur Bewerbung bereits vorgesprochen. Statt eines Senders in Orange, wie er passend für Hapag-Lloyd gefertigt wurde, lackierten Kalmunds Mitarbeiter die Box für die Japaner in deren Hausfarbe Pink. „Das macht es schwieriger, die Geräte an den gleichfarbigen Containern zu finden“, erklärt Kalmund. Denn auch Kriminelle dürften an Sendeboxen interessiert sein.

Doch mehr noch als die Fertigung der zwischen 250 und 500 Euro teuren Sendegeräte hält die Anbringung den Lieferanten in Atem. Bislang 150 Containerdepots in Ländern wie Indien, Pakistan, Dubai oder den Philippinen mussten die Monteure aufsuchen, um Hapags Stahlboxen nachzurüsten. Mitunter glich das einem verzweifelten Suchspiel, heißt es bei Nexxiot.

Digitalisierung der Lieferkette: Schienengüterverkehr bereits erfahren
Im Schienengüterverkehr sind die Erfahrungen bereits fortgeschritten. Dort gehören längst Eisenbahn- und Waggonbetreiber wie DB Cargo, die Schweizer Firmen SBB und Hupack, aber auch der Waggonvermieter VTG und die Nutzer der sogenannten „Eisernen Seidenstraße“ nach China zur Kundschaft. Als Türöffner erwies sich der Gesellschafter Knorr-Bremse, zu dem man schon vor dem Einstieg partnerschaftliche Beziehungen pflegte.

Hier allerdings sind die Datengeräte deutlich größer – und fünfmal teurer. Der Grund: Anders als im Seeverkehr, wo die gesammelten Daten nur viermal pro Tag per Mobilfunk an die Cloud gesendet werden, sind die Eisenbahnwaggons pausenlos online. Denn nur so können die Bahnbetreiber unmittelbar eingreifen, sobald der Peilsender eine Störung meldet.

Im Wettbewerb um die Digitalisierung der Lieferkette steht Nexxiot nicht allein. Neben Firmen wie Orbcomm aus New Jersey sind es vor allem Anbieter, die sich ausschließlich auf die Analyse von Verladedaten verlassen. Darunter sind die an der Nasdaq gehandelte Technologieplattform Coupa, der in Chicago gegründete Dienstleister Project44 oder die US-amerikanische Echtzeitplattform Fourkites, zu deren Kunden Konsumgüterhersteller wie Henkel oder Coca-Cola, aber auch die Speditionen Kühne + Nagel und Frigotrans zählen.

Auch in Wissings Verkehrsministerium selbst gibt es offenbar einen ernsthaften Nachholbedarf in Sachen Livetracking. Ihren Chef wähnten die Ministerialen laut Presseankündigung am 19. Oktober in der Hapag-Unternehmenszentrale. Tatsächlich aber kam der FDP-Politiker dort erst vier Tage später an.

Quelle:
Handelsblatt

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