EU-Lieferkettenrichtlinie bekommt keine Mehrheit im Ministerrat

Die EU will Unternehmen zur Verantwortung ziehen, wenn sie von Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Deutschland hatte zuvor angekündigt, sich bei der Entscheidung über die EU-Richtlinie zu enthalten.

Die EU-Lieferkettenrichtlinie findet unter den Mitgliedstaaten keine Mehrheit. Die Abstimmung im Ministerrat der Europäischen Union wurde daher erneut verschoben. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft am Mittwochmittag mit. Deutschland hatte zuvor angekündigt, sich bei der Abstimmung zu enthalten.

Die Richtlinie soll Unternehmen dazu verpflichten, künftig nicht nur im eigenen Betrieb, sondern auch bei ihren Lieferanten und deren Geschäftspartnern im Ausland darauf zu achten, dass elementare Standards wie das Verbot von Kinderarbeit und Ausbeutung eingehalten werden.

Die belgische Ratspräsidentschaft hatte ursprünglich die Abstimmung für Mittwochmittag angesetzt. Da sich bei einer mündlichen Abfrage kurz vor der Abstimmung aber zeigte, dass sie keine Mehrheit für die EU-Richtlinie finden würde, hat sie die Abstimmung wieder von der Tagesordnung genommen. Abstimmungen im Rat werden mit einer qualifizierten Mehrheit getroffen. Nötig ist dafür ein Ja von 15 der 27 EU-Staaten, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Eine Enthaltung gilt daher faktisch als Nein.

„Die erneute Verschiebung der Abstimmung über die Lieferkettenrichtlinie belegt, dass die Kritik an der Richtlinie fundiert ist“, sagt Carl-Julius Cronenberg, mittelstandspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Neben Deutschland sähen eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten die Richtlinie als nicht zustimmungsfähig an.

Die deutsche Bundesregierung konnte sich bislang nicht auf eine Position einigen. Es wird kritisiert, dass die EU-Vorgaben weit über das in Deutschland bereits geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinausgingen und zusätzliche Bürokratie bedeuteten. Auch deutsche Wirtschaftsverbände lehnen die Richtlinie aus Brüssel ab.

Unklar, wann Abstimmung wieder stattfindet
Während Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für die Richtlinie sind, konnte sich die deutsche Bundesregierung aufgrund des Widerstands der FDP nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Sowohl Justizminister Marco Buschmann (FDP) als auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind gegen die Richtlinie. Das Handelsblatt hatte zuvor exklusiv über die deutsche Enthaltung berichtet.

Nach der Verschiebung der Abstimmung haben die Mitgliedsländer nun Zeit, ihre Haltung zu überdenken. Wann die Belgier noch mal einen Anlauf nehmen und die Abstimmung auf die Tagesordnung setzen, ist bislang unklar. Nächste Möglichkeit dazu wäre am Freitag. Ob sie zu Zugeständnissen bereit wären und Mitgliedsländer damit umstimmen könnte, ist ebenso unklar.

Dass Deutschland seine Position ändert, gilt in Berlin allerdings als ausgeschlossen. Entscheidend dürfte daher vor allem das Votum Italiens sein. Anders als Deutschland verfügt Italien bislang über kein nationales Lieferkettengesetz. Beobachter gehen davon aus, dass Italien sich an Deutschland orientiert. Ohne die Zustimmung Italiens dürfte es nicht für eine qualifizierte Mehrheit reichen.

Üblicherweise sind die Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. Bereits im Dezember hatten sich das EU-Parlament und der Rat im sogenannten Trilogverfahren auf einen Kompromiss geeinigt. Deutsche Unterhändler waren maßgeblich an der Einigung beteiligt. In Brüssel ärgert man sich daher über das Verhalten der deutschen Bundesregierung, weil Bedenken üblicherweise im Trilog vorgebracht werden.

„Erneutes Scheitern gute Nachricht“
„Das erneute Scheitern des europäischen Lieferkettengesetzes im Rat ist eine gute Nachricht“, sagt Europaparlamentarier Daniel Caspary (CDU). Nichtsdestotrotz habe die Blockade der FDP Deutschland erneut im Rat isoliert. Die Bundesregierung hätte vor der Trilog-Einigung mit einer abgestimmten Position intervenieren müssen. Deutschlands Ansehen und Ruf als verlässlicher Partner habe dadurch massiv gelitten.

Das Gezerre der Mitgliedstaaten rund um das EU-Lieferkettengesetz im Rat sei ein Trauerspiel, sagt auch die Europaabgeordnete Anna Cavazzini (Grüne). „Dass die belgische Ratspräsidentschaft es noch mal probieren will, einen Kompromiss zu finden, lässt aber hoffen, dass das Trauerspiel nicht in einer Katastrophe endet und noch eine Mehrheit für das Lieferkettengesetz im Rat zustande kommt.“

Die Stiftung Familienunternehmen und Politik begrüßt hingegen, dass sich mehrere Mitgliedstaaten gegen das geplante EU-Lieferkettengesetz aussprechen. „Damit wird ein weiterer Bürokratie-Tsunami für kleine und große Unternehmen verhindert“, sagt Stiftungsvorstand Rainer Kirchdörfer. Die EU habe nun die Chance, aus dem missglückten Entwurf eine praxistaugliche Regelung zu machen.

Die EU-Richtlinie soll die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, Unternehmen ab 500 Mitarbeitern einzubeziehen, sofern diese einen weltweiten Umsatz von 150 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaften. Bislang gilt das deutsche Lieferkettengesetz für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sind.

Vor allem unterscheidet sich die EU-Richtlinie aber in der Frage der Haftung: Unternehmen können mit der EU-Richtlinie vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es in ihren Lieferketten zu Verstößen gegen Menschenrechte kommt. Das deutsche Lieferkettengesetz hingegen setzt vor allem auf Berichtspflichten.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Artikels hieß es, dass die EU-Staaten offiziell gegen das Lieferkettengesetz gestimmt hätten. Das war nicht der Fall. Stattdessen wurde die Abstimmung von der Tagesordnung genommen, weil bei einer mündlichen Abfrage keine Mehrheit zustande gekommen war. Wir haben dies präzisiert.

Quelle:
Handelsblatt

Schreibe einen Kommentar