Neues Kapital für Sennder?

Die Digitalspedition denkt über die künftige Strategie nach. Für weiteres Wachstum könnten neue Investoren gesucht werden – ein Kandidat ist die italienische Staatsbahn.

David Nothacker denkt derzeit besonders viel darüber nach, wie es mit Sennder weitergehen soll: „Wollen wir uns noch stärker auf Profitabilität ausrichten und nicht mehr so schnell wachsen wie bisher, oder aber setzen wir weiter auf gezieltes Wachstum?“, gewährt der CEO Einblick in zwei mögliche Strategie-Optionen. Seine Tendenz geht klar in Richtung Wachstum. „Dann halten wir uns natürlich die Option offen, weiteres Kapital aufzunehmen“, sagt er.

Grundsätzlich „sind wir kontinuierlich mit unseren Bestandsinvestoren zu unserer Strategie im Austausch“, versichert er. Diese – dabei handelt es sich vor allem um Scania (Anteil circa 13 Prozent), die Poste Italiane (11,50) sowie die Venture-Capital-Investoren Accel London, Palo Alto/USA (7,7) sowie Project A Venture, Berlin (7,1) – müssten sich an einer neuen Kapitalrunde beteiligen, um ihr Vertrauen in Sennder zu dokumentieren und neue Investoren zu gewinnen, so Mitgründer Nothacker.

Ein potenzieller neuer Teilhaber scheint dabei schon identifiziert: die italienische Staatsbahn FS. Denn mit deren Transportsparte Mercitalia Logistics hat Sennder kürzlich die Gründung des Joint Ventures Newco vereinbart, mit dem beide ihren Kunden europaweite kombinierte Verkehre Schiene/Straße aus einer Hand anbieten wollen. Daher dürfte auch ein Engagement von FS bei Sennder selbst nicht ausgeschlossen sein, über das nach DVZ-Informationen offenbar schon gesprochen wird.

Langfristige Perspektive
Zwar sind verschiedene Logistik-Start-ups in den vergangenen Monaten angesichts der schwierigen Marktlage in wirtschaftliche Bedrängnis geraten, mussten deutlich Personal abbauen oder gar Insolvenz anmelden. Sennder aber habe angesichts dieser Gesellschafterstruktur eine deutlich bessere Ausgangslage: „Wir haben mit Scania und der Italienischen Post zwei sehr starke Investoren, die strategisch denken und investieren – und damit eine andere Perspektive einnehmen als klassische Finanzinvestoren“, erläutert Nothacker. Das heißt, sie kalkulieren langfristig und nicht in Zyklen von bis zu sieben Jahren, wie es bei Fonds häufig der Fall ist. Zudem werde auch operativ eng zusammengearbeitet, wie das Joint Venture Sennder Italia zeigt, das Sennder und die italienische Post gemeinsam betreiben.

Zweiter Faktor: In den vergangenen zwei Jahren hat Sennder das sogenannte Control-Tower-Konzept entwickelt. Dabei übernimmt Sennder das Transportaufkommen eines Kunden; dabei kann es sich dann um eine Geschäftseinheit eines Unternehmens handeln, um Transporte für ein bestimmtes Land oder aber auch das gesamte Volumen. So steuert Sennder über die eigene Plattform beispielsweise alle FTL-Transporte der italienischen Post. Inzwischen gebe es sechs dieser Control Tower in Polen, Italien und in Lettland für einen französischen Kunden.

Neben dem Ladungsaufkommen werden auch die zuvor von dem Kunden direkt eingesetzten Fuhrunternehmer in das Sennder-System übertragen. Bestehende Verträge werden übernommen und wenn nötig nachjustiert. „Durch die größere Lkw-Flotte steigt die Effizienz, denn wir haben mehr Touren und mehr Fahrzeuge auf unserer Plattform und können so das Netzwerk weiter optimieren.“

Beispiel Italien: Mit der Übernahme des FTL-Geschäfts der Post wurden auch 28 Fuhrunternehmer mit über 1.000 Lkw integriert. Diese fahren weiterhin die angestammten Touren für die Post, können aber auch für Anschlussaufträge anderer Sennder-Kunden eingesetzt werden.

Dieses Konzept hat Sennder gerade in der Zeit geholfen, als der Spotmarkt eingebrochen ist. Denn inzwischen entfallen rund 50 Prozent des Sennder-Umsatzes auf diese Control Tower und sind vergleichsweise stabil. Dagegen sind viele andere digitale Speditionen im Wesentlichen auf den fragilen Spotmarkt ausgerichtet. Und: Insgesamt steuert Vertragsladung bei Sennder inzwischen 80 Prozent zum Umsatz bei, nach 60 Prozent vor zwei Jahren.

Dies hat auch dazu geführt, dass die Berliner im Gegensatz zu anderen Start-ups keine Beschäftigten entlassen mussten, betont Nothacker. Rund 1.000 Menschen werden beschäftigt, die in der Lage sind, durch eine höhere Produktivität auch steigende Transportmengen abzuwickeln.

„Aber natürlich funktioniert unser Geschäftsmodell noch besser, wenn der Spotmarkt stärker ist“, gibt Nothacker zu. Deshalb hofft er auf einen Aufschwung in den kommenden Monaten, um sich auch wieder außerhalb der Kontrakte besser entwickeln zu können.

Erste und letzte Meile
Weitere Impulse erwartet Nothacker von dem geplanten Joint Venture Newco im Kombinierten Verkehr. Das Ziel von Mercitalia sei es, nicht nur Züge zu betreiben, sondern stärker in das End-to-end-Geschäft einzusteigen. Hier will Sennder die Transporte auf der ersten und letzten Meile übernehmen. Der Mehrwert für die Digitalspedition auch bei kürzeren Strecken: Oft sind nach einem längeren Transport noch Reste der Fahr- und Schichtzeiten des eingesetzten Fahrers übrig. Diese könnten durch Kombination eines langen mit einem kurzen Transport genutzt werden, skizziert Nothacker das Auslastungs- und Optimierungspotenzial. „Und der IT-Technolgie ist es gleich, ob es sich um einen langen oder einen kurzen Transport handelt.“

Zu den Bilanzzahlen des Berliner Unternehmens äußert sich Nothacker nicht. Einem Medienbericht, wonach im laufenden Jahr ein Umsatz von gut 600 Millionen Euro erzielt werden soll, widerspricht er nicht. Im kommenden Jahr will er sich der Milliardengrenze deutlich annähern. Erfreulich entwickele sich dabei das Italien-Geschäft: Gut 250 Millionen Euro Umsatz wurden dort 2023 erzielt, „und wir erwarten für 2024 einen EBITDA von 9 Millionen – wir sind auf einem guten Weg“, freut er sich.

Gewinne macht Sennder allerdings noch nicht, „wir investieren weiter gezielt in unser Wachstum“, umschreibt es der CEO. So entfällt rund ein Drittel der Kosten auf die Technologieentwicklung. Ohne diese Investitionen „wären wir schon nahe an der Wirtschaftlichkeit“.

Unverändert ist ein Jahresumsatz von 2 Milliarden Euro Nothackers Ziel, „und damit wären wir in Europa der größte Player im FTL-Segment, auf diese Ambition arbeiten wir hin“. Mit den heutigen 600 Millionen Euro sieht er sich unter den Top 15 bis Top 20, in den beiden nächsten Jahren will er unter die Top 5 vorstoßen.

Und wenn die Gesellschafter –bisher haben die gut 60 Investoren rund 350 Millionen Euro bereitgestellt – da nicht entsprechend mitmachen? Ausschließen könne er das nicht, das könne kein Unternehmer, räumt Nothacker ein. Doch angesichts der Perspektiven des Unternehmens glaubt er fest an die nötige Unterstützung der Ankerinvestoren: „Jeder von ihnen sieht das Potenzial und hat Lust, weiter zu wachsen“, ist er überzeugt. In zwei bis drei Monaten wird er mehr wissen – bis dahin erwartet er die ersten Entscheidungen, in welche Richtung es gehen soll.

Quelle:
DVZ

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