Effekte der Gruppenfreistellungsverordnung werden überschätzt

Die Gruppenfreistellungsverordnung befreite Containerlinien-Konsortien nur noch bis April 2024 vom Kartellverbot. Was würde passieren, sollte sie tatsächlich nicht erneut von der EU-Kommission verlängert werden? Eine Analyse:

  1. Einführung
    Konsortien von Containerlinien gibt es seit dem Beginn der Entwicklung des Containerverkehrs Ende der 1960er Jahre. Es handelt sich dabei um Kooperationen zweier oder mehrerer Linienreedereien zur operationellen Zusammenarbeit, insbesondere zur gemeinsamen Nutzung von Schiffsraum. Im Kern geht es also um ein sogenanntes Vessel Sharing Agreement (VSA). Die gemeinsame Nutzung von Schiffsraum verringert nicht nur das Investitionsrisiko der beteiligten Linien, sondern kann durch eine höhere Auslastung des Schiffsraums Kosten reduzieren und durch eine Optimierung der Flotte und des Fahrplans die Leistung und Qualität der Liniendienste verbessern. Kurz gesagt, geht es um ein besseres Angebot zu geringeren Risiken, Kosten und damit auch Preisen.
    Die gemeinsame Leistungserbringung schränkt im Regelfall den Wettbewerb der beteiligten Linien ein, etwa indem sie Kapazitäten und Fahrpläne untereinander koordinieren. Schon das ist im Grundsatz vom Kartellverbot erfasst. Für die Freistellung vom Kartellverbot sind die mit der Wettbewerbsbeschränkung verbundenen Effizienzvorteile an die Kunden weiterzugeben, so dass die Vorteile des Effizienzgewinns die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen. Daran bestehen aktuell aufseiten einiger Kunden Zweifel, denn die Containerfrachtraten sind in den vergangenen Jahren extrem in die Höhe gegangen. Auch mit der Qualität der Dienste zeigen sich nicht alle Kunden zufrieden.
    Seit den 1990er Jahren sieht die sogenannte Konsortial-GVO (KGVO) eine Freistellung der Konsortien von Containerlinien vor, wenn der gemeinsame Anteil der beteiligten Linienreedereien auf dem relevanten Markt, meist eine bestimmte Paarung von Häfen, eine bestimmte Grenze von aktuell 30 Prozent nicht übersteigt und die Konsortien keine sogenannte Kernbeschränkungen des Wettbewerbs bezwecken, also keine Preisabsprachen, keine Einschränkung des Angebots und keine Kunden- oder Marktaufteilung. Absprachen über Kapazitäten sind nur dann erlaubt, wenn es sich nur um Kapazitätsanpassungen entsprechend den Schwankungen von Angebot und Nachfrage handelt.
    Die Kommission hat die KGVO in der Vergangenheit wiederholt geändert, aber immer wieder verlängert. Nun läuft sie nach ihrer letzten unveränderten Verlängerung im Jahr 2020 zum 25. April 2024 aus. Wie schon anlässlich früherer Überprüfungen üblich, fordern die begünstigten Linienreedereien erneut eine Verlängerung, während die Kundenseite dagegen wiederholt Bedenken äußert. Diesmal hat sich erstmalig auch das Bundeskartellamt (BKartA) eingeschaltet und propagiert ein Ende oder jedenfalls eine erhebliche Einschränkung der Regelung.
  1. Bedenken des Bundeskartellamtes
    Nach Einschätzung des BKartA erfüllen die Konsortien der Containerlinien nicht mehr mit hinreichender Sicherheit die Voraussetzungen für eine Freistellung. Es drohe durch sie eine Gefährdung des freien Wettbewerbs. Die Konzentration in der Branche habe in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Angesichts der heutigen Größe und Ressourcen der größten Reedereien sei unklar, wie ihre Beteiligung an einem Konsortium zu relevanten Effizienzgewinnen führen könne. Die sieben größten Reedereien würden heute jeweils mehrere Hundert Schiffe betreiben und über circa 75 Prozent der weltweiten Containerlinienkapazität verfügen.
    Die zunehmend größer gewordenen Allianzen zwischen den Reedereien und die bündnisübergreifenden Konsortien hätten inzwischen zu einem Dickicht von Kooperationsvereinbarungen geführt. Demgegenüber würde die KGVO die jeweiligen VSA für jede einzelne Strecke bewerten und dabei nicht auch Kooperationsvereinbarungen auf anderen Strecken berücksichtigen. Deshalb sollten die größten Reedereien nicht länger von der KGVO profitieren. Ihnen stünden weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen zur Verfügung, etwa flexible Subunternehmerverträge in Form von Charter- oder Slot-Charter-Vereinbarungen. Die großen Containerlinien würden jedenfalls über ausreichende Ressourcen verfügen, um nicht auf eine Risikoverteilung auf andere Reedereien angewiesen zu sein.
  1. Chancen für den Wettbewerb?
    Dass ein Ende der KGVO den Wettbewerb der Containerlinien zugunsten der Kunden fördern wird, erscheint unsicher. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs sind bisher nicht ersichtlich und wären unabhängig vom Fortbestand der KGVO verboten. Insbesondere gibt es offenbar keine Beweise dafür, dass die verhältnismäßig hohen Frachtraten auf Preisabsprachen oder anderen Kernbeschränkungen beruhen. Bekanntlich ist das Geschäft der Containerlinien zyklisch. Hohe Frachtraten führen regelmäßig zu Überkapazitäten, und Überkapazitäten führen wiederum zu einem Ratenverfall. Dieser Effekt mag allerdings durch die Zunahme der Allianzen und die gemeinsame Kapazitätenplanung in Konsortien künftig weniger stark ausfallen.
    Demgegenüber könnte das Ende der KGVO im Jahr 2024 dazu führen, dass die Kapazitätenplanung im Rahmen von Konsortien abnimmt und damit wieder mehr Überkapazitäten entstehen, was wiederum zu niedrigeren Frachtraten führen könnte. Dabei sind Überkapazitäten ihrerseits ein Kostentreiber, so dass sich eine Erhöhung der operationellen Kosten auf Sicht preistreibend auswirken könnte. Durch den Fortfall der KGVO könnte also zunächst eine Preissenkung durch Überkapazitäten bewirkt werden, die Kosten der Überkapazitäten könnten dann aber wieder zu Preiserhöhungen führen. Das Geschäft bliebe also zyklisch.
  1. Risiken für die Containerlinien?
    Ein Ende der KGVO bedeutet nicht, dass die bestehenden Allianzen oder Konsortien über Nacht unzulässig würden und beendet werden müssten. Denkbar bleibt insbesondere eine Einzelfreistellung, wenn die Effizienzgewinne der Konsortien etwaige wettbewerbsbeschränkende Wirkungen aufwiegen. Dies angesichts dynamischer Marktentwicklungen dauerhaft nachzuweisen, scheint eine kaum lösbare Sisyphusaufgabe zu sein. Ebenso schwierig dürfte es aber auch für die Kartellbehörden sein, in Untersagungs- oder Bußgeldverfahren die von ihnen identifizierten Wettbewerbsbeschränkungen mit den von den Konsortien behaupteten Effizienzgewinnen abzuwägen.
    Schon die Ermittlungen der Kommission wegen der Preisankündigungen der Containerlinien, die mit einer Durchsuchung im Mai 2011 starteten, haben fünf Jahre gedauert und endeten für die Kommission gesichtswahrend mit zeitlich befristeten Auflagen, die von den Containerlinien zu erfüllen waren, aber Preisankündigungen weiter erlaubten. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Fortsetzung der Konsortien über das Ende der KGVO hinaus unmittelbar zu Bußgeldverfahren führen würden. Der damit für die Kommission entstehende Aufwand scheint exorbitant. Demgegenüber scheint das damit für die Linien verbundene Risiko verhältnismäßig gering zu sein, so dass es aus Sicht der Linien naheliegen mag, die Konsortien auf Grundlage einer – vermutlich positiven – Selbsteinschätzung fortzusetzen und etwaige Maßnahmen der Kommission gelassen abzuwarten.
  1. Fazit
    Die Konsultation zur KGVO bindet schon jetzt erhebliche Ressourcen der EU-Kommission und der Containerlinien. Dass dies angemessen ist, erscheint fraglich. Das Angebots- und Nachfrageverhalten und die daraus resultierenden Preise sind in hohem Maße von allgemeinen Faktoren und branchentypischen Zyklen beeinflusst und weniger durch die kartellrechtliche Beurteilung der Konsortien. Wie die Containerlinien auf ein Ende der KGVO und damit verbundene Einschränkungen der Kooperationsmöglichkeiten reagieren, bleibt offen. Neben weiteren Übernahmen ist auch ein Verdrängungswettbewerb denkbar. Beides würde am Ende die Marktkonzentration erhöhen. Das wäre kein gutes Ergebnis für den Wettbewerb und die Kunden.

Quelle
DVZ

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