Ende der Reeder-Privilegien im Container-Linienverkehr

Ab dem 25. April 2024 müssen sich Container-Linienreedereien an die üblichen EU-Wettbewerbsvorschriften halten, wenn sie mit anderen Carriern kooperieren. Die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für Reederkonsortien wird nicht erneut verlängert, sondern läuft zu diesem Termin aus, hat die EU-Kommission entschieden. Die Ausnahme von Teilen des Wettbewerbsrechts bringe keine Vorteile mehr für den Wettbewerb im Container-Seeverkehr. Auch hätten kleinere Carrier die GVO zuletzt nicht mehr nutzen können, um untereinander zu kooperieren und alternative Angebote in Konkurrenz zu den großen Reedereien anzubieten.

In der für den europäischen und den Welthandel entscheidend wichtigen Schifffahrtsbranche habe es bedeutende strukturelle Veränderungen gegeben, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders, der von der vorübergehend aus der Kommission ausgeschiedenen Margrethe Vestager die Zuständigkeit für Wettbewerbspolitik übernommen hat.

Er nannte Konsolidierungsprozesse, die Bildung globaler Allianzen und vertikale Integration. „Diese neuen Marktbedingungen waren während der Corona-Pandemie klar zu erkennen“, erklärte Reynders. „Unsere Evaluierung hat ergeben, dass eine spezielle Gruppenfreistellung für Schifffahrtslinien unter diesen neuen Marktbedingungen nicht mehr angemessen ist.“

Angesichts der kleinen Zahl und des Profils der Reederkonsortien, die unter die GVO fielen, biete diese den Beteiligten nur begrenzte Möglichkeiten, Kosten bei der Befolgung der EU-Rechtsvorschriften zu sparen, begründete die Kommission ihre Entscheidung weiter. Die Regelung spiele daher nur noch eine zweitrangige Rolle für den Entschluss, mit anderen Reedereien zusammenzuarbeiten. Eine Kooperation sei auch künftig nicht verboten, betonte die Kommission, unterliege aber dem normalen Wettbewerbsrecht, etwa was Absprachen angeht.

Regeln wurden 2009 eingeführt
Die GVO für Reederkonsortien wurde 2009 eingeführt und 2014 sowie 2020 jeweils verlängert. Die Regeln sollen den Carriern Größenvorteile verschaffen und eine bessere Auslastung ihrer Schiffskapazitäten ermöglichen. Solche Privilegien können laut EU-Vertrag im Einklang mit den Binnenmarktregeln stehen, sofern auch Kunden der Reeder und Verbraucher von den wirtschaftlichen Vorteilen profitieren.

Das haben Verbände von Spediteuren, Verladern und Hafenoperateuren allerdings in den vergangenen Jahren zunehmend bezweifelt. Sie kritisierten auch, die GVO erlaube es den Carriern, eine dominierende Stellung am Markt einzunehmen und zunehmend in Geschäftsbereiche von Spediteuren oder Hafenoperateuren vorzudringen. Der Seehafenverband ZDS sowie das Komitee Deutscher Seehafenspediteure haben das GVO-Ende in ersten Stellungnahmen gegenüber der DVZ entsprechend begrüßt.

Hafenverbände fordern genaues Hinsehen
„Die Entscheidung der EU-Kommission ist ein erster wichtiger Schritt, um die Linienschifffahrt zu normalisieren“, sagte Daniel Hosseus, Geschäftsführer des ZDS. „Damit endet aber nicht die Zeit der großen Reederei-Allianzen, die sich mit mehr als 30 Prozent Marktanteil in vielen Fahrtgebieten seit langem außerhalb des heute gekippten Rechtsrahmens bewegen. Daher fordert der ZDS in einem nächsten Schritt, dass die Kommission geltendes Wettbewerbsrecht nun auch konsequent durchsetzt.“

Die beihilferechtliche und fiskalische Sonderstellung der Linienschifffahrt bei der weiterhin bestehenden Tonnagesteuer sollte überprüft werden. „Die Ballung von Markt- und Verhandlungsmacht von Allianzen gegenüber den Häfen und anderen Logistikdienstleistern wird bestehen bleiben. Ein solches Ungleichgewicht wirkt zum Nachteil von Wirtschaft und Verbrauchern und kann politisch nicht gewünscht sein“, sagte Hosseus.

„Das Spiel beginnt jetzt erst“
Beim europäischen Zentralverband der privaten Hafenoperateure FEPORT sieht man das ähnlich. „Das Spiel beginnt jetzt erst“, sagte Generalsekretärin Lamia Kerdjoudj. Es müsse zum Beispiel genau beobachtet werden, welche Daten die großen Carrier in Bezug auf den Hinterlandverkehr austauschten, in dem sie auch bereits aktiv seien. Die Abschaffung der GVO komme zu spät, einige der Reedereien seien inzwischen so mächtig, dass sie diese Regelung vielleicht nicht mehr brauchten. FEPORT sei nicht für eine Abschaffung der GVO gewesen, sondern hätte den Carriern in einer Neuauflage darin lieber klare Auflagen gemacht. Nun sei die Frage, ob die EU-Kommission die Kapazitäten habe, den Markt genau genug zu beobachten. „Bisher wird sie meist tätig, wenn sich jemand beschwert“, sagte Kerdjoudj zur DVZ.

Auch der EU-Seehafenverband ESPO wünscht sich, dass die Kommission den Wettbewerb in der maritimen Wirtschaft von nun an genauer unter die Lupe nimmt und sich nicht hinter Verweisen auf die GVO versteckt. MSC und Maersk hätten bereits angekündigt, ihre 2M Allianz aufzulösen, aber es sei möglich, dass künftig andere Bedrohungen für einen „gesunden Wettbewerb“ größer würden, sagte ESPO-Generalsekretärin Isabelle Ryckbost zur DVZ.

Mit Interesse habe sie gehört, dass EU-Kommissar Reynders die vertikale Integration erwähnt hat. Wie die Reeder-Konsortien könne vertikale Integration Abläufe in der maritimen Lieferkette effizienter machen, es gebe aber auch potenzielle Gefahren für den fairen Wettbewerb. Das müsse sorgfältig überprüft werden, mahnte Ryckbost.

Spediteure sind zufrieden
Mit dem Auslaufen der GVO ende eine kartellrechtliche Sonderstellung für die Container-Linienschifffahrt, die zu Marktverwerfungen nicht nur zulasten vieler Überseespeditionshäuser und deren Kunden, sondern der Logistikbranche insgesamt sowie der Häfen geführt habe, begrüßte der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) die Ankündigung. „Die Entscheidung der Kommission, auf die der DSLV und sein europäischer Dachverband CLECAT fortlaufend gedrängt haben, ist deshalb richtig – allerdings kommt sie Jahre zu spät“, sagte DSLV-Präsident Axel Plaß. CLECAT-Generalsekretärin Nicolette van der Jagt erklärte: „Wir sind zufrieden, dass die Kommission auf die Stimme der Kunden, Spediteure und deren Verlader-Kunden gehört hat.“ Der Verband habe seit langem bemängelt, dass die Gruppenfreistellung ihren Zweck nicht mehr erfülle.

Reederverband befürchtet Rechtsunsicherheit
Der Weltverband der Linien-Reedereien WSC (World Shipping Council) erklärte, er sei nicht mit der Schlussfolgerung der EU-Kommission einverstanden, die GVO trotz aller wirtschaftlichen Vorteile auslaufen zu lassen, auf die diese selbst hinweise. „Der Übergang zur Anwendung der allgemeinen Anti-Kartellregeln der EU wird Unsicherheit schaffen, bis sich die Carrier an die neuen Regeln angepasst haben“, sagte WSC-Präsident und CEO John Butler. „Dennoch werden Vessel Sharing Agreements für die Reedereien ein völlig legaler und unterstützter Weg bleiben, einen effizienten und nachhaltigen Verkehr für Europa sicherzustellen“.

Britischer Verband erhofft ähnliche Entscheidung
Im Vereinigten Königreich prüft die Wettbewerbsbehörde CMA derzeit, was dort passieren soll, wenn die in britisches Recht übernommenen Regeln ebenfalls zum 25. April auslaufen. Im Januar hatte die CMA zu erkennen gegeben, dass sie dazu tendiere, eine modifizierte Form der Gruppenfreistellungsregeln für Großbritannien vorzuschlagen. Das wäre nicht im Sinne der British International Freight Association (BIFA). „Die EU-Kommission hat eine vernünftige Entscheidung getroffen und die britische Regierung sollte dem folgen, um sicherzustellen, dass die Schiffsgesellschaften künftig dem Wettbewerbsrecht unterliegen“, sagte BIFA-Generaldirektor Steve Parker.

Quelle:
DVZ

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