Warum Reedereien wieder die Segel setzen

Die Schifffahrt muss dringend ihre Emissionen reduzieren. Doch alternative Treibstoffe fehlen. Frachter könnten künftig auch mit der Windkraft angetrieben werden.

Die Funker auf der „Berge Olympus“, die Mitte September ihre Jungfernfahrt von China nach Singapur angetreten hat, haben viel zu tun. Jeder Kapitän, der dem 300 Meter langen Massengutfrachter auf den Weltmeeren begegnet, erkundige sich bei ihnen nach den ungewöhnlichen Schiffsaufbauten, heißt es an Bord.

Denn auf dem Deck des Frachters der norwegischen Reederei Bergebulk sind vier gewaltige Segel aus Verbundstoffen gehisst. Nicht die Matrosen, sondern mächtige Motoren drehen sie nach dem Wind.

Die 37,5 Meter hohen und 20 Meter breiten „Wind-Wings“ sorgen für klimaschonenden Vortrieb. Entwickelt wurden sie von einer Ausgründung des America’s-Cup-Teams „Ben Ainslie Racing“ (BAR). Die Segel, die aus jeweils drei beweglichen Hochkantflügeln bestehen, sollen bis zu sechs Tonnen Diesel pro Tag einsparen, versprechen die Konstrukteure. Je nach Schiffsgröße wären das 20 bis 25 Prozent des Treibstoffs. Täglich sollen damit 19,5 Tonnen weniger CO2-Emissionen entstehen.

„Die Nutzung von Wind ist aktuell der größte Hebel, den es gibt, um die Seefahrt klimaneutraler zu machen“, erklärt Thomas Koniordos gegenüber dem Handelsblatt. Der Maschinenbauer und Betriebswirt leitet die Konstruktionsfirma Yara Marine Technologies in Oslo, die das BAR-Konzept in Lizenz übernommen hat. „In den kommenden vier bis sechs Jahren könnten wir weltweit bis zu 2000 Schiffe mit solchen Segeln ausrüsten.“

Mit der „Pyxis Ocean“, einem umgebauten Massengutfrachter für den Agrarkonzern Cargill, haben die Norweger bereits vor einem Monat den ersten windbetriebenen Frachter an den Start gebracht – allerdings zunächst testweise nur mit zwei „Wind-Wings“. Auf der um ein Drittel längeren „Berge Olympus“ geht es nun mit doppelter Windkraft voraus.

Das Unternehmen selbst ist eine 100-prozentige Tochter des norwegischen Düngemittel-Giganten Yara Industries, der zuletzt zusammen mit Stickstoffprodukten wie Ad Blue und Ammoniak zur Abgasreinigung rund zwölf Milliarden Euro umgesetzt hat. Die Schiffstechniktochter hatte sich zunächst auf den Bau von Schwefelstoff-Reinigungsanlagen (Scrubbern) auf See spezialisiert. Mittlerweile arbeitet sie zunehmend an spritsparenden Antriebstechniken und emissionsarmen Landstromanlagen für Häfen.

Vor zwei Jahren hatte Yara Marines mit einem elektrisch betriebenen und fahrerlosen Frachter „Yara Birkeland“ für Aufsehen gesorgt. Seit Frühjahr 2022 steht der Düngemittelfrachter in kommerziellen Diensten und erspart jährlich 40.000 Fahrten mit dem Diesel-Lkw.

Die Seefahrt braucht dringend neue Ideen, um ihre Emissionen zu senken. Vor wenigen Wochen hatte die UN-nahe Seefahrtorganisation International Maritime Organization (IMO) ihre Klimaziele drastisch nach oben geschraubt. Reedereien machen sich nun Gedanken, wie sie den CO2-Ausstoß ihrer Flotte schnell senken können. Aktuell trägt die internationale Seefahrt 2,6 Prozent zu den weltweiten Klimagasemissionen bei, 2050 soll ihr Ausstoß nach dem Willen der IMO dagegen nahe null liegen – und das mit mehreren klar definierten Zwischenschritten. Da Frachter durchschnittlich 25 Jahre im Dienst bleiben, müssen schon heute weitreichende Entscheidungen gefällt werden.

Die Branche steht vor einem Umbruch: 219 Millionen Tonnen Schweröl verbrauchte die Seefahrt allein im vergangenen Jahr, wie die IMO errechnet hat. Der fossile Brennstoff muss bis 2050 komplett ersetzt werden. Womöglich wird dafür noch mehr Energie gebraucht, denn die Menge an Seefracht wächst üblicherweise schneller als die Weltwirtschaft, wie historische Daten zeigen. Doch mit welchen alternativen Treibstoffen das Umsteuern gelingen soll, ist selbst Experten unklar.

Viele Reedereien haben ihre Schiffe in den vergangenen Jahren auf Antriebe mit Liquified Natural Gas (LNG) umgerüstet und dafür viel Geld investiert. Doch die Klimawirkung scheint überschaubar zu sein: Der CO2-Ausstoß solcher Motoren ist zwar deutlich geringer als beim Schiffsdiesel, der sogenannte Methan-Schlupf aber macht diesen Vorteil fast wieder zunichte. Das im LNG enthaltene Methan, das bei der Verbrennung oft ungewollt entweicht, schädigt das Klima noch weitaus schlimmer als Kohlendioxid.

Eine Lösung böte das mit grünem Wasserstoff hergestellte synthetische Flüssiggas SNG. Doch die verfügbaren Mengen sind zu gering, um auch nur einen Bruchteil der weltweit 85.000 Seeschiffe antreiben zu können.

Ähnliches gilt für Biodiesel, der etwa aus Pflanzenabfällen oder gebrauchtem Frittierfett hergestellt wird. Selbst Methanol, ein Treibstoff, auf den seit Kurzem die dänische Container-Reederei Maersk setzt, steht in der Seefahrt kaum zur Verfügung. Biomethanol, per Wasserstoff-Elektrolyse hergestellt mit Strom aus Wind- oder Sonnenenergie, kostet wegen seiner Knappheit mindestens viermal so viel wie üblicher Schiffsdiesel. Sein Einsatz würde die Transporte über See daher über die Maßen verteuern.

Günstige Windkraft soll Frachter antreiben
Die von BAR Technologies entwickelten Segel sind darum nicht der erste neuzeitliche Versuch, die günstige Windkraft für den Schiffsantrieb zu nutzen. Ende 2007 montierte die Bremer Reederei Beluga gewaltige Lenkdrachen an den Bug ihrer Frachter, die sie per Seilwinde auf eine Höhe von 150 Metern steigen ließ. Die zwölf Meter breiten und sieben Meter langen Gleitschirme, entworfen von der Firma Skysails, sollten rund zehn Prozent an Treibstoff einsparen.

Doch nicht nur die hohen Investitionskosten behinderten die Verbreitung. Unter Seeleuten galt die Steuerung als aufwendig, die benötigte Motorleistung für die Lenkdrachen als enorm. „Auch der mögliche Verschleiß schreckte viele Reedereien“, sagt Yara-Marine-CEO Koniordos. 2011 ging Beluga pleite, das Experiment endete.

Doch in der kommerziellen Seefahrt wird weiterhin daran gearbeitet, die Windkraft für den Antrieb einzusetzen. Etwa zehn Schiffe weltweit nutzen dafür aktuell sogenannte Flettner-Rotoren. Die zylindrischen Schiffsaufbauten, die überdimensionierten Schornsteinen ähneln, sind benannt nach ihrem Erfinder Anton

Die Technologie basiert auf dem sogenannten Magnus-Effekt: Trifft Wind seitlich auf rotierende Zylinder, wird er je nach Rotationsrichtung auf deren Vorder- oder Hinterseite beschleunigt. Auf der gegenüberliegenden Seite dagegen bremst ihn die Rotation aus. Der dadurch entstehende Unterdruck vor dem Zylinder und der Überdruck hinter ihm setzen das Schiff in Bewegung.
Flettner. Der deutsche Ingenieur hatte die ersten von ihnen bereits in den 1920er-Jahren konstruiert.

Die Technologie basiert auf dem sogenannten Magnus-Effekt: Trifft Wind seitlich auf rotierende Zylinder, wird er je nach Rotationsrichtung auf deren Vorder- oder Hinterseite beschleunigt. Auf der gegenüberliegenden Seite dagegen bremst ihn die Rotation aus. Der dadurch entstehende Unterdruck vor dem Zylinder und der Überdruck hinter ihm setzen das Schiff in Bewegung.

Erst in der vergangenen Woche hatte auch der Airbus-Konzern angekündigt, vom französischen Schiffseigner Louis Dreyfus Armateurs ab 2026 insgesamt drei Frachter zu chartern, die mit jeweils sechs Flettner-Rotoren ausgerüstet sein sollen. Man wolle die Schiffe zwischen den Produktionsstandorten Saint-Nazaire in Frankreich und Mobile im US-Staat Alabama einsetzen. Die neue Flotte werde nur halb so viel CO2 ausstoßen, versprach Airbus-Manager Nicolas Chrétien.

Auch das Ostsee-Fährunternehmen Scandlines hatte im vergangenen Jahr die Fähre „Berlin“ mit einem Rotorsegel ausgestattet. Gemeinsam mit dem Schwesterschiff „Copenhagen“, das ebenfalls auf die Rotoren setzt, ist es auf der Route zwischen Rostock und dem dänischen Gedser unterwegs.

Die knapp 30 Meter hohen und fünf Meter dicken Zylinder werden von der finnischen Firma Norsepower gebaut. Der Elektromotor, der sie pro Sekunde bis zu dreimal um die Achse dreht, verbraucht etwa 50 Kilowatt, ersetzt beim Dieselantrieb damit aber durchschnittlich 600 Kilowatt an Leistung. Bei den Fahrten über die Ostsee vermeidet die Reederei so vier bis fünf Prozent der CO2-Emissionen.

Yara-Manager Thomas Koniordos, ein Rheinländer mit griechischen Wurzeln, kennt allerdings die Tücken der Flettner-Technik. „Das System funktioniert“, sagt er, „hat aber Probleme, wenn der Wind direkt von vorn oder hinten kommt.“ Wind von vorn ist allerdings auch für die von ihm angebotenen Segel ein Problem. „In solchen Fällen klappen wir sie dann einfach auf Deck.“

Quelle:
Handelsblatt

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