Wo zwei Lastenräder einen Lkw ersetzen

Städte engen den Raum für Autos ein, wollen so den CO₂-Ausstoß reduzieren. Das betrifft auch den Lieferverkehr – Zusteller, Handwerker und Logistiker müssen umdenken. Cargo Cycle baut die weltweit größten Schwerlasträder und ist damit bestens im Geschäft: Zwei Lastenräder ersetzen einen 7,5-Tonner.

Es ist kalt an diesem Montagmorgen, viele Straßen und Fahrradwege in Hamburg sind mit einer Schnee- und Eisschicht überzogen. Die Streudienste in der Hansestadt kommen kaum hinterher. Keine gute Idee, jetzt aufs Fahrrad zu steigen – doch das gilt nicht für Christian Rusche (44). „Selbstverständlich fahren wir weiter Ware aus. Das machen wir seit zwölf Jahren, auch bei Schnee und Eis.“ Mit den drei- und fünfrädrigen Lastenrädern sei das kein Problem, sagt der Gründer und Chef von Cargo Cycle, der ersten Lastenspedition per Pedalkraft in Hamburg.

Trotz hartnäckiger Erkältung, etwas Stolz ist in seinen Worten hörbar. Auch nach mehr als einem Jahrzehnt lässt den Unternehmer und Fahrzeugkonstrukteur die Idee eines CO₂-freien Lieferverkehrs in deutschen Städten nicht los. „Das ist immer noch meine Leidenschaft und das ganze Team ist hier mit Leib und Seele dabei.“

Vor uns steht der „Nanuk Megaliner“. „Grüner Transport. Mit Muskeln und Strom“ steht auf der Plane des Lastenrades. „Eines der größten weltweit“, versichert Rusche. Knapp sieben Meter in der Länge misst das kleine Monster, 500 Kilogramm kann es zuladen. Weil es gerade etwa einen Meter breit ist, darf es deshalb auch überall fahren, wo Fahrräder erlaubt sind. Auf der Ladefläche ist Platz für drei Euro-3-Paletten in Reihe.

Zwei Mega-Lastenräder ersetzen einen 7,5 Tonnen schweren Lkw im Stadtverkehr
Rusche hat das riesige Lastenrad konstruiert und gebaut, in Kürze nimmt das Vierte in Hamburg seinen Dienst auf. Zwei davon bewegt Cargo Cycle im Auftrag seines Kunden DB Schenker in Hamburg, ein weiteres betreibt die internationale Spedition in Coburg mit einem eigenen Fahrer. Auch für den Logistikdienstleister Dachser fährt Cargo Cycle in Hamburg – auf der letzten Meile ersetzten dabei zwei „Megaliner“ einen 7,5 Tonnen schweren Lastkraftwagen. In Belgien hat die Logistikgruppe Ziegler zwei „Megaliner“ im Einsatz. Weitere Logistikunternehmen hätten nachgefragt. Eines in Wiesbaden etwa will künftig Ikea-Möbel mit dem „Megaliner“ ausfahren, weil es in Tests festgestellt habe, dass sich zu bestimmten Zeiten auf diese Weise „viel mehr“ Kunden beliefern ließen als mit einem Transporter.

Cargo Cycle stellt das Schwerlastenrad nach wie vor her und tüftelt ständig an Verbesserungen. Rund 27.000 Euro netto kostet der „Megaliner“ samt Akku und Plane. Die Produktion kleinerer Lastenräder hat das Logistik-Start-up hingegen eingestellt. Über das Auftragspolster spricht Rusche nicht so gern – aus Wettbewerbsgründen.

In Hamburg füllt DB Schenker morgens im Stadtteil Wilhelmsburg einen Elektro-Lkw mit Ladung und fährt diese zum Umschlagplatz nach Altona. Dort packen die Fahrer die Fracht auf die Lastenräder um und pedalieren sie dann zu den Kunden im Hamburger Stadtgebiet. Abends kurven die Räder zurück nach Altona und füllen ihre Akkus wieder auf. Eine Ladung reicht im Stadtgebiet je nach Wahl der Batterie für bis zu 100 Kilometer.

„Wir sind sehr zufrieden mit dem Einsatz der Cargo Bikes in Deutschland“, sagt eine Konzern-Sprecherin zu manager magazin. Für mehr nachhaltige Logistiklösungen treibe DB Schenker nicht nur die Elektrifizierung seiner Fahrzeugflotte voran, sondern nutze auch Lastenräder. Gerade in der Innenstadt eigne sich das „XXL Cargo Bike“, wie es die Spedition nennt, „ideal“ für Warenlieferungen auf der letzten Meile. Insgesamt betreibt Schenker in Europa mit rund 100 kleineren Lastenrädern noch eine überschaubare Anzahl. Wegen der individuellen Sendungsstruktur, welche auch von Geschäftsstelle zu Geschäftsstelle variierten, sei ein Einsatz der Lastenräder nicht überall möglich, heißt es.

DHL rüstet auf letzter Meile elektrisch stark auf
Auch Wettbewerber setzen verstärkt auf CO₂-freie Lieferung: Der Paketdienst DPD befördert täglich etwa zwei Millionen Pakete in Deutschland und will bis 2030 auf der letzten Meile den CO₂-Ausstoß um 80 Prozent reduziert haben – vor allem durch den Einsatz von Elektrofahrzeugen, erklärt ein Sprecher auf Anfrage. Der Marktführer DHL liefert in der Hälfte seiner Zustellbezirke Pakete elektrisch aus, 2025 soll die Quote auf 70 Prozent steigen. Über die Anzahl der Pakete (6,2 Millionen sind es täglich deutschlandweit) sagt dies aber nichts.

Derzeit sind 60.800 Transporter auf der letzten Meile unterwegs, 25.000 davon rein elektrisch. Bis Ende 2025 soll ihre Zahl auf 38.000 steigen. Jedes dieser Fahrzeuge spare jährlich im Schnitt vier Tonnen CO₂ ein, sagt DHL-Konzernsprecher Alexander Edenhofer. Transporte zwischen Städten oder großen Depots bewältigen nach wie vor ganz überwiegend herkömmliche Lkw, räumt er ein.

Briefzustellerinnen und Briefzusteller, die auch kleine Päckchen ausfahren, sind fast gänzlich elektrisch unterwegs: mit zuletzt rund 13.500 E-Trikes und etwa 5700 weiteren E-Bikes. 2,3 Millionen solcher Päckchen lieferten die Zusteller wöchentlich per E-Lastenrad aus. Damit sparten sie pro Jahr 0,4 Tonnen CO₂ ein im Vergleich zur herkömmlichen Zustellung der Päckchen per Auto, erklärt Edenhofer.

Cargo Cycle fürchtet als Fahrradspediteur weder die großen noch die kleinen Wettbewerber. Für die großen Paketzusteller fährt das Start-up schon lange nicht mehr, weil sie „viel zu schlecht“ zahlten. Das junge Unternehmen kann es sich offensichtlich leisten: „Es gibt viel mehr Nachfrage als wir bewältigen können“, sagt Rusche. Neben den Megalinern ist Cargo Cycle mit sieben weiteren, kleineren Lastenrädern in Hamburg unterwegs. Laut Rusche, der schon sein Studium mit Rikscha-Fahrten für Touristen finanzierte, legen die Lastenräder des Start-ups in Summe rund 52.000 Kilometer emissionsfrei in Hamburg pro Jahr zurück. Insgesamt betrage die CO₂-Ersparnis jährlich sieben bis neun Tonnen. Hinzu komme die Zeitersparnis: Je nach Waren- und Verkehrsaufkommen spare ein Kunde anderthalb bis drei Stunden mit einer Lastradlieferung am Tag, rechnet der Unternehmer akribisch vor.

Lastenräder könnten jeden zweiten Gütertransport per Auto ersetzen
Dass sich viele Güter jedoch mit einem Lastenrad nicht transportieren lassen, weiß auch Rusche. Er sei „kein Feind des Autos“, erklärt der Radlogistik-Unternehmer. „Wir versuchen durch unseren Service die Straße von jenen Fahrzeugen zu befreien, die für den Transport bestimmter Dinge eben nicht notwendig sind.“ Protagonisten der Radlogistik schätzen, dass Lastenräder bis zu 50 Prozent der mit einem Auto erledigten Gütertransporte in einer Stadt ersetzen könnten.

Dabei kommen die Bemühungen vieler Kommunen, Autos aus der Innenstadt zurückzudrängen, Dienstleistern wie Cargo Cycle entgegen. Diese profitieren auch davon, dass Unternehmen nach Alternativen für eine emissionsfreie Logistik suchen, um ihre ESG-Ziele zu erreichen. Dabei setzt der Start-up-Chef weniger auf die Schützenhilfe der Politik als vielmehr auf ökonomische Vernunft: „Egal was die Politik macht, das Lastenfahrrad wird sich auf der letzten Meile durchsetzen, denn es ist 30 Prozent effizienter“, ist Rusche überzeugt und verweist auf eine Studie des Bundesverbands Paket und Expresslogistik.

Subventionen liegen auf Eis
Deshalb reagiert der Geschäftsführer gelassen darauf, dass die Bundesförderung von bis zu 2500 Euro für ein gewerblich genutztes Lastenrad derzeit auf Eis liegt und im Zuge der Haushaltssanierung 2024 womöglich ganz wegfallen könnte. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) jedenfalls bewilligt derzeit keine Neuanträge mehr, bestätigt der Radlogistik Verband Deutschland (RLVD).

„Förderung braucht die Branche eigentlich nicht. Warum soll der Staat ein Fahrzeug subventionieren, mit dem ich auf der letzten Meile effizienter und schneller ausfahren kann, das zugleich günstiger ist als ein herkömmlicher Transporter – mit dem ich als Unternehmer also Geld sparen kann?“, fragt Rusche. Cargo Cycle, das operativ profitabel arbeite, seine Gewinne aber reinvestiert, habe nie Subventionen in Anspruch genommen, sagt der Unternehmer.

Der Radlogistik Verband hingegen warnt davor, die Förderung auslaufen zu lassen. Selbstständige, Handwerker aber auch kleinere Lieferdienste hätten die Förderung in den vergangenen zwei Jahren stark nachgefragt. Bis zum vorläufigen Stopp zahlte das Bafa im laufenden Jahr bis Mitte November rund 4,8 Millionen Euro Förderung für rund 3320 elektrische Lastenfahrräder und Lastenanhänger aus.

Radlogistik-Lobby sieht junge Firmen gefährdet
Sollte der Zuschuss wegfallen, seien vor allem die jungen Hersteller dieser Räder in Deutschland gefährdet. Diese Start-ups produzierten 100 bis maximal 1000 Stück im Jahr. „Für wettbewerbsfähige Preise und den Markthochlauf ist die Förderung essenziell. Sonst droht das Aus vieler junger, innovativer Unternehmen, ihrer Zulieferer und Dienstleister“, warnt Tom Assmann, Vorsitzender des Radlogistik-Verbands.

Jonas Kremer, Leiter des Geschäftskundenbereichs beim Lastenradhändler Isicargo , steckt gerade mitten im Jahresendgeschäft. „Das ist jetzt eingebrochen“, berichtet er. Kunden würden durch den drohenden Förderstopp verunsichert, dies bremse das Geschäft aktuell aus. Isicargo ist Kremer zufolge führender Händler in Deutschland für gewerbliche Lastenräder – und der Chef zugleich Fachvorstand des Radlogistik-Verbands Deutschland. Der Verband schätzt, dass 100.000 Cargobikes in Deutschland gewerblich genutzt werden.

Steuersenkung statt Subventionen
Manchem Akteur in der Fahrradindustrie geht das Thema Subvention hingegen komplett gegen den Strich. „Geht man den klassischen Weg, müsste man als Unternehmen mit den Verbänden Sturm laufen und auf die Förderung pochen“, sagt Thorsten Heckrath-Rose, Chef des Premiumfahrradherstellers Rose, im Gespräch. In der Realität aber sei die Komplexität aus Steuersystem, Quersubventionen, Lobbyarbeit und die damit einhergehende Bürokratie „nicht mehr zu ertragen“. Sein Votum: „Subventionen und Förderungen komplett abbauen, Steuern im Gegenzug radikal senken, Ausnahmen im Steuersystem abschaffen.“ So könnten sich „gute Lösungen besser durchsetzen“, ist der Manager überzeugt. Und dies sei dann „mit großer Sicherheit in den Innenstädten nicht mehr das eigene Auto“.

Quelle:
manager-magazin

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