„Die GDL schießt weit über das Ziel hinaus“

Der Streik der Lokführergewerkschaft GDL sorgt für großen Ärger, bei Bahnfahrern wie auch in der Wirtschaft. Die DVZ hat sich umgehört zu den Folgen, unter Verladern und Logistikdienstleistern: Der Unmut über die Auseinandersetzung ist unüberhörbar.

Was kostet der Lokführer-Streik? Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) könnte sich der gesamtwirtschaftliche Schaden auf bis zu 100 Millionen Euro pro Tag belaufen. Eine Schätzung, die mit einigen Unsicherheiten behaftet ist, gesteht das IW ein. Und die eine ziemlich plakative Obergrenze hat, bei der auf den Zusatz „bis zu“ gerne verzichtet wird und daraus dann schnell „100 Millionen Euro pro Tag“ werden.

Eine seriöse Berechnung scheint nicht möglich. Doch sicher ist: Die Kosten des Streiks in Güterverkehr sind nicht nur spürbar, sie sind immens. Das zeigen auch die Aussagen der Unternehmen, die die DVZ befragt hat.

Hellmann muss Volumen auf die Straße verlagern
Beispiel Hellmann Worldwide Logistics: Die Spedition fährt pro Woche etwa 54 Züge, die das Unternehmen direkt einkauft und für die sie die Verantwortung für die Auslastung übernimmt. Hauptsächlich arbeitet Hellmann dabei mit DB Cargo zusammen, setzt aber auch einige andere Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ein. „Während der Streiktage sind alle geplanten Züge von Hellmann betroffen. Das bedeutet: Wo nötig und möglich müssen wir unsere Volumina an den Streiktagen auf die Straße verlagern“, sagt Dirk Baerbock, Head of rail operations. Damit sei nicht nur ein großer, planerischer Mehraufwand verbunden. „Dies führt aufgrund begrenzter Kapazitäten auch zu erheblichen Mehrkosten“, sagt der Bahnexperte.

Auch unter Umweltaspekten habe der Streik einen erheblichen negativen Einfluss. Auf einem einzelnen Zug befänden sich bis zu 40 Lkw. „Das bedeutet, dass wir wöchentlich mehrere hundert Lastwagen auf die Straße schicken müssten, um das entstehende Defizit vollständig auszugleichen“, so Baerbock.

„Bisher nicht gekannte Herausforderungen“
Und jetzt kommen die Wellenstreiks der GDL mit sehr kurzen Ankündigungen. Die stellen „die Transport- und Logistikunternehmen vor bisher nicht gekannte Herausforderungen“, spricht Baerbock auch für seine Kollegen. Die komplexen Prozesse bei der Abwicklung intermodaler Transportketten würden einen gewissen zeitlichen Vorlauf erfordern, da es nahezu unmöglich sei, innerhalb weniger Stunden vom Verkehrsträger Bahn auf den Lkw zu wechseln oder umgekehrt. „Daher sehen wir uns in dieser Situation verstärkt gezwungen, auf den Einsatz von Lkw zurückzugreifen“, sagt der Rail-Manager.

Und welche Kosten sind damit verbunden? „Die Kosten für unser Unternehmen und die Branche insgesamt sind erheblich“, will oder kann er keine konkreten Zahlen nennen.

Betroffen vom GDL-Streik ist auch der Operateur Kombiverkehr. Aber nicht in dem Ausmaß, wie man es vermuten könnte angesichts der Tatsache, dass DB Cargo zu 50 Prozent an Kombiverkehr beteiligt ist. „Aufgrund unserer arbeitsteiligen Produktionsorganisation hat die DB Cargo im nationalen und internationalen Verkehr einen Anteil an der Direktproduktion von etwas über 20 Prozent“, sagt Kombiverkehr-Geschäftsführer Armin Riedl. Und trotzdem, für Kombiverkehr ist der Streik mehr als nur „spürbar“.

Streiks verstärken den Trend zur Abkehr von der Schiene
Riedl hat in den letzten Wochen eine Zurückhaltung bei den Spediteuren beobachtet, Sendungen der Schiene anzuvertrauen – zumal auf der Straße aktuell ausreichend Kapazität zur Verfügung steht. Mit der Ankündigung der Wellenstreiks befürchtet er eine weitere Verschlechterung: Damit würde die Unsicherheit im Markt „immens zunehmen“ und die Streiks würden „den Trend zur Abkehr von der Schiene verstärken“. Langfristig komme es mehr und mehr zu einem Vertrauensbruch bei den Spediteuren, die ihre Lieferverpflichtungen gegenüber der Industrie nachkommen müssen und dann auf den Lkw ausweichen würden. „In der Folge dieser Entwicklung sehen wir uns auch aus wirtschaftlichen Gründen leider gezwungen, Züge während der Streikphasen auslastungsbedingt aus dem Fahrplan zu nehmen“, schildert Riedl, welche Konsequenzen der Arbeitskampf für sein Unternehmen hat. Bei der letzten Streikwelle seien von den 170 Zügen, die Kombiverkehr pro Tag fährt, 25 bis 30 von den Streikmaßnahmen direkt beziehungsweise indirekt betroffen gewesen. Zudem hätten sich Arbeitsniederlegungen in Stellwerken und bei Fahrdienstleitern auf die pünktliche Bereitstellung von Zügen negativ ausgewirkt.

„Je höher die Verunsicherung, umso teurer werden die Folgekosten hinsichtlich fehlender Zugauslastung und Erzielung des Break Even“, sagt Riedl. Das könne Einfluss haben auf die zukünftigen Zugangebote von Kombiverkehr. Er habe zwar Verständnis dafür, dass Gewerkschaften stark verhandeln, um die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. „Spätestens jetzt mit Beginn der Wellenstreiks in dieser Woche schießt die GDL weit über das Ziel hinaus und schiebt die Langzeitfolgen der Streikauswirkungen ganz bewusst zur Seite“, wirft er der Gewerkschaft vor. Mit jedem Streiktag werde der Ruf der Eisenbahn mehr und mehr beschädigt. „Dafür haben wir absolut kein Verständnis mehr. Wir vermissen eine Kompromissbereitschaft und die Übernahme von Verantwortung in dieser Auseinandersetzung“, so Riedl.

BASF muss nachjustieren
Etwas bedeckter halten sich die von der DVZ befragten Verlader. „BASF hat seine Transportbedarfe auf großflächige Warnstreiks im Schienenverkehr durch die GDL vorbereitet. Wie bei vorherigen Streiks auch, haben wir bereits relevante Maßnahmen für unsere Bahntransporte vorbereitet und justieren diese bedarfsgerecht nach“, heißt es aus dem Chemiekonzern. Zu diesen Maßnahmen zählen „eine intensive Kommunikation mit der DB und anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sowie den Kunden und Lieferanten“, aber auch die Prüfung von Verlagerungsmöglichkeiten sowie das Verschieben von Kundeneintreffterminen. Auf den Hauptachsen versucht BASF mit seinen täglichen Ganzzügen auf andere EVU’s auszuweichen. Im Nahverkehr wird das BASF-eigene EVU eingesetzt.

Immerhin, 25 Prozent des Transportvolumens der ein- und ausgehenden Verkehre am Standort Ludwigshafen von BASF werden über die Schiene abgewickelt, 35 Prozent per Lkw und 40 Prozent per Binnenschiff. DB Cargo ist dabei einer von mehreren großen Partnern für BASF im europäischen Schienengüterverkehr. Und Streiks wie die der GDL „schaden der deutschen Industrie und dem Standort Deutschland“, teilt das Unternehmen mit. Zu den Kosten für BASF will das Unternehmen keine Aussagen machen. Aber es sei ein „erheblicher Mehraufwand für die Mitarbeitenden der BASF“ damit verbunden, um die negativen Folgen für die Kunden und BASF abzufedern.

Lanxess wählt Lkw als Alternative
Bei Lanxess beobachten die Logistikverantwortlichen die Lage genau. „Innerhalb Deutschlands wickeln wir nur einen geringen Teil unserer Transporte über die Schiene ab. Somit halten sich die Auswirkungen des Streiks für uns in Grenzen“, sagt Gerald Höppener, Head of Bulk Logistics bei dem „Global Player in der Spezialchemie“, wie sich das Unternehmen selber bezeichnet. Aber vollkommen verschont bleibt Lanxess auch nicht. Daher hat das Unternehmen in Vorbereitung auf die Streiks Lieferungen vorgezogen – sofern möglich – oder von der Schiene auf die Straße verlagert. „Die Auswirkungen möglicher Wellenstreiks hängen dann maßgeblich von deren Länge ab“, sagt Höppener.

Wie die Chemieindustrie, so gilt auch für die Stahlindustrie: Hier sind die Lagerbestände und damit die Puffer umfangreicher. Streiks mit einer maximalen Dauer von 24 oder 48 Stunden sind daher zwar spürbar und mit Aufwand verbunden, können aber besser aufgefangen werden als beispielsweise im Handel oder in der Autoindustrie. Der größte Anteil an der Logistik beim größten Stahlhersteller Deutschlands, Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), entfällt auf inner- und zwischenwerkliche Transporte. Knapp 70 Prozent der gesamten Tonnage werden per Bahn oder Schiff transportiert. Inbound macht der Schiffsverkehr den größten Anteil aus, inner- und zwischenwerklich Schiene und Lkw.

Verunsicherung bei Thyssenkrupp Steel Europe
„Wir stehen in kontinuierlichem Kontakt mit DB Cargo, können aber zum jetzigen Zeitpunkt die konkreten Auswirkungen der angekündigten Wellenstreiks noch nicht abschätzen“, teilt das Unternehmen der DVZ mit. Und es kommen vergleichsweise beruhigende Töne aus dem Unternehmen, aber auch nur, weil die Bahn in der Inbound-Logistik praktisch bedeutungslos ist: „Unsere Rohstoffversorgung ist weitestgehend bahnunabhängig und daher gesichert“, heißt es bei TKSE.

Quelle:
DVZ

Schreibe einen Kommentar