Neue Ära der Seefahrt – Computer übernimmt das Steuer eines gigantischen Frachters

Zum ersten Mal hat eine Künstliche Intelligenz ein großes Frachtschiff von Amerika nach Asien gesteuert. Die Reise könnte eine neue Ära der Seefahrt einläuten. Doch die technologischen Herausforderungen sind größer als bei selbstfahrenden Autos.

Die Reise des Schiffes führte um die halbe Welt. Es legte Anfang Mai in Texas ab und erreichte 33 Tage später Südkorea. Die „Prism Courage“ fuhr durch den Golf von Mexiko, passierte den Panamakanal und überquerte den Pazifik – die übliche Route nach Asien. Aber etwas war anders bei dieser Fahrt: Auf einem guten Teil der Strecke – rund 10.000 Kilometer – traf nicht ein Kapitän die Entscheidungen, sondern ein Computer.

Die „Prism Courage“ ist der erste große Roboter-Frachter der Welt. Ein Gigant unter dem Kommando von Algorithmen. 299 Meter lang, 48 Meter breit, mit Platz für 180.000 Kubikmeter Flüssiggas. Der Tanker wurde im vergangenen Jahr von dem südkoreanischen Konzern Hyundai Heavy Industries gebaut und absolvierte nun seine Jungfernfahrt.

Der Riese soll eine neue Ära der Seefahrt einläuten. „Was auf der Straße gilt, das gilt auch auf dem Wasser“, sagte Do-hyeong Lim vor der ersten Fahrt der „Prism Courage“ zu WELT: „Die Zukunft ist autonom.“ Lim ist der Chef von Avikus, das ist eine Tochter von Hyundai Heavy Industries. Sie haben eine Künstliche Intelligenz für Schiffe entwickelt, einen Kapitän aus Millionen Zeilen Code.

Optimalen Kurs berechnet und Energie gespart
Bei Schiffen gibt es – wie bei Autos – mehrere Stufen des autonomen Fahrens. Die „Prism Courage“ war nach Definition der Weltschifffahrtsorganisation IMO mit Stufe zwei unterwegs: Die Algorithmen legten Kurs und Geschwindigkeit fest, wichen anderen Schiffen aus und umfuhren schlechtes Wetter, aber an Bord waren Seeleute, die jederzeit eingreifen konnten. Stufe zwei ist die höchste, die die IMO derzeit in internationalen Gewässern erlaubt.

Wie hat sich das Computergehirn, HiNAS genannt, auf hoher See geschlagen? Besser als Kapitäne aus Fleisch und Blut, wenn man Avikus glaubt. Die „Prism Courage“, heißt es von dem Unternehmen, habe sieben Prozent weniger Treibstoff verbraucht und fünf Prozent weniger Schadstoffe ausgestoßen als bei Überquerungen des Pazifiks üblich seien. HiNAS habe in Echtzeit Wind, Wellengang und Strömungen analysiert und stets den optimalen Kurs berechnet – und so Energie gespart.

Einer Untersuchung der Firma Acute Market Reports zufolge werden sich die Roboter-Frachter der Zukunft sogar rund 20 Prozent günstiger betreiben lassen als herkömmliche Schiffe. Algorithmen wollen keine Verpflegung und keine Heuer, brauchen keine Kojen und keine Rettungsboote. Es bleibt also mehr Platz für die Ladung. Zudem dürften die Computer für eine höhere Sicherheit auf See sorgen. Sieben von zehn Schiffsunfällen weltweit sind laut Acute Market Reports auf Fehler der Crew zurückzuführen.

„Autonome Schiffe“, schreiben die Analysten, „dürften in der kommenden Zeit große Aufmerksamkeit erfahren.“ Der Markt für computergesteuerte Tanker, Containerriesen und Fregatten werde jährlich um fast 13 Prozent wachsen und bis 2028 mehr als 235 Milliarden Dollar umfassen, mit dem stärksten Plus in Europa.

Keine Fahrbahnmarkierungen auf den Weltmeeren
Doch Unternehmen wie Avikus stehen auch vor großen Herausforderungen. Es ist extrem kompliziert, Schiffe mit einer Künstlichen Intelligenz auszurüsten. „Man könnte meinen“, hatte Lim vor dem Ablegen seines Tankers gesagt, „es sei einfacher, einen autonomen Frachter zu bauen als einen autonomen Pkw“. Schließlich gebe es auf dem Wasser viel Platz und keine Fußgänger, die bei Rot über die Straße liefen. „Doch in Wahrheit“, meinte Lim, „ist es viel schwieriger.“

Denn die Meere haben keine Fahrbahnmarkierungen, an denen sich die Computer orientieren könnten. Zudem ist die Oberfläche nicht glatt wie eine Autobahn. Und in Küstennähe können den Frachtern plötzlich Fischerboote und Freizeitsegler in die Quere kommen – das Äquivalent zum unvorsichtigen Fußgänger.

Nicht nur Avikus arbeitet an Geisterschiffen. Ein anderer wichtiger Player ist der britische Konzern Rolls-Royce. Die Technologien, die die Ingenieure nutzen, gibt es schon länger, das ist ein großer Unterschied zum Auto. Radar, Echolot und die Standortbestimmung per GPS zum Beispiel. Die Hersteller fügen Spezialkameras und Lidar hinzu sowie die Software, die alles miteinander vernetzt und im Bruchteil einer Sekunde Entscheidungen treffen kann.

Einige kleinere Roboterschiffe sind schon unterwegs. In Norwegen fährt ein Frachter mit Elektroantrieb autonom, in Finnland eine Fähre. Im vergangenen Jahr machte ein computergesteuertes Segelboot einen Törn von San Francisco nach Honolulu. Und im Mai dieses Jahres überquerte ein futuristisch aussehender Trimaran ohne Crew den Atlantik. Aber einen großen Tanker unter die Kontrolle einer Künstlichen Intelligenz zu stellen – das wagten bisher nur Do-hyeong Lim und sein Team.

Quelle:
Welt.de

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