EU-Zollreform: Datentransfer soll viele Dokumente überflüssig machen

Das vor rund einem Jahr von den EU-Gesetzgebern beschlossene „Single Window“ für den Zoll soll nur der erste Schritt gewesen sein, Bürokratie beim Im- und Export von Waren abzubauen. Das Portal zur digitalen Abgabe aller nötigen Zollangaben für eine Reihe von Produkten soll bis 2038 schrittweise Teil einer EU-Zolldatenplattform (Customs Data Hub) werden, die noch viel mehr kann. Die Zolldatenplattform werde der „Motor“ einer reformierten EU-Zollunion, heißt es in einem von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzesvorschlag.

Spediteure, Verlader oder Händler sollen auf der neuen Plattform alle Angaben einstellen können, die zum Beispiel für den Import eines Containers mit T-Shirts in die EU nötig sind: etwa die Angaben über Stückzahl und Material, den Kaufvertrag, die beteiligen Transportunternehmen oder Prüfbescheinigungen und etwa benötigte Zertifikate, beispielsweise über Herkunft und Qualität von Baumwolle oder Farben. Statt dass Importeure die Angaben zum Teil mehrfach in verschiedene Erklärungen eintragen zu müssen, die derzeit verlangt werden, sollen verschiedene Behörden in der EU auf diejenigen Informationen aus dem Datensatz zugreifen können, die sie benötigen. Dabei können Beamte nach Ansicht der Kommission von lernfähigen IT-Systemen und Künstlicher Intelligenz unterstützt werden.

EU-Zolldatenplattform ab 2028 nutzbar
Die EU-Zolldatenplattform soll – anders als das „Single Window“ – am Ende für nahezu alle Produkte und zur Bearbeitung aller möglichen Erklärungen verwendet werden. Zölle und Abgaben machen heute nur noch einen Teil der Aufgaben des Zolls aus, die Beamten müssen laut Kommission über die Einhaltung von 348 EU-Vorschriften wachen. Als Beispiele für neu dazugekommene Aufgaben nannte der für Wirtschaft und Zoll zuständige EU-Kommissar Paolo Gentiloni die Kontrolle von sozialen Standards und Abholzung von Wald in der Lieferkette, die EU-Grenzausgleichsabgaben für die CO₂-Bilanz von importierten Waren, oder die Durchsetzung von Sanktionen gegen Drittstaaten wie Russland. „Mit unserem Ansatz für ein Daten-getriebenes Zollsystem sind wir die ersten in der Welt“, sagte Gentiloni. „Ich hoffe, andere lassen sich dadurch inspirieren.“

Ab 2028 sollen erste Funktionen der Datenplattform nutzbar sein, 10 Jahre später will die Kommission ihre Nutzung zur Pflicht machen. Gentiloni sprach von möglichen jährlichen Einsparungen für Importeure im Wert von 2,7 Milliarden Euro. 111 IT-Systeme der nationalen Zollbehörden sollen schließlich überflüssig werden. Diese können derzeit nur eingeschränkt miteinander kommunizieren. Das Datenpooling soll einen deutlich besseren Überblick über Warenströme und Veränderungen in Lieferketten ermöglichen.

EU-Zollbehörde soll Risikoanalysen verbessern
Gemanagt werden soll die Datenplattform von einer neuen EU-Zollbehörde, die von den Mitgliedstaaten kontrolliert wird. Sie soll am 1. Januar 2028 ihre Arbeit aufnehmen. Eine Hauptaufgabe wird die Unterstützung der nationalen Zollbeamten bei der Risikoanalyse. Liefere ein Unternehmen etwa Textilien nach Rotterdam, die allergene Stoffe enthalten, könne dem Zoll in Hamburg und Marseille rasch geraten werden, Lieferungen desselben Unternehmens und derselben Warengruppe genau zu kontrollieren, sagte ein hoher Kommissionsbeamter. Eine weitere Aufgabe der EU-Zollbehörde soll die Koordination von Notfall- oder Schwerpunkteinsätzen sein, etwa wenn irgendwo Verstärkung gebraucht werde, wie wegen des Ukraine-Krieges im rumänischen Hafen von Constanta. Die Entscheidung über Einsätze und Kontrollen soll aber weiter bei den Mitgliedstaaten liegen. „Wir schaffen keine EU-Grenzschutzagentur Frontex für den Zoll. Wir tauschen Daten aus“, betonte Gentiloni.

Online-Plattformen für Zollabgaben verantwortlich
Die ersten Importeure, die die neue Zolldatenplattform ab 2028 nutzen sollen, sind Onlinehändler wie etwa Amazon. Diese will die Kommission verpflichten, beim Verkauf von Waren aus Drittstaaten an Kunden in der EU, Steuern und Zollabgaben auszuweisen, zu kassieren und an die EU-Behörden abzuführen. Empfänger in der EU sollen dadurch mit der Zollabwicklung nichts mehr zu tun haben und auch keine beim Online-Kauf versteckten Kosten tragen müssen. Die Plattformen müssten künftig nicht mehr für jede Warensendung eine Zollerklärung abgeben, sondern lediglich die Daten zu ihren Online-Verkäufen übermitteln.

Zollbefreiung für kleinere Paketsendungen soll fallen
Gestrichen werden soll im E-Commerce die Zollbefreiung für Paketsendungen im Wert unter 150 Euro. Deren Zahl sei in den vergangenen Jahren exponentiell gestiegen. Etwa 1 Milliarde davon kommen laut Gentiloni jährlich in die EU, zwei Drittel davon aus China. 73 Prozent aller Zollerklärungen entfielen bereits auf solche Pakete. Die Zollbefreiung gebe einen Anreiz, Warensendungen auf mehrere, kleinere Pakete zu verteilen und treibe so die Zahl der Sendungen weiter hoch. Zudem schätzt die Kommission, dass der Wert der Waren in 65 Prozent der Fälle tatsächlich höher liegt als 150 Euro. Die Abschaffung der Zollbefreiung könne den EU-Staaten jährliche Mehreinnahmen von etwa 1 Milliarde Euro bringen. Für die Paketsendungen von geringem Wert schlägt die Kommission vor, künftig lediglich vier Zollklassen anzuwenden. Die Abgabensätze reichen dabei von 5 Prozent für etwa Spielzeug und Regenschirme bis zu 17 Prozent für Schuhe. Ein ähnliches System werde bereits in Kanada erfolgreich praktiziert.

Besondere Privilegien für bestimmte Importeure
Weiterentwickeln will die Kommission das Konzept des „Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ (AEO – Authorised Economic Operator). Künftig sollen finanziell solvente Unternehmen mit rechtlich weißer Weste und starker Kontrolle über ihre Lieferketten den Status eines „Trust & Check-Händlers“ bekommen können. Dazu müssen sie die EU-Zolldatenplattform mit Echtzeitinformationen über ihre Warensendungen beliefern und nachweisen, dass sie alle einschlägigen Vorschriften einhalten. Unter den AEO bekomme die neue Gruppe eine Stellung, der vergleichbar mit dem Senator-Status bei der Lufthansa sei, sagte ein hoher Kommissionsbeamter.

Zu den in Aussicht gestellten Privilegien gehören, dass nicht mehr für alle Lieferungen Zollerklärungen abgegeben werden müssen. Angaben für regelmäßig wiederkehrende Transporte müssen nur einmal gemacht und Zölle nicht für jede Warensendung gezahlt werden. Sie können periodisch beglichen werden. Ab 2032 sollen Trust & Check-Händler zudem die Möglichkeit haben, alle Geschäfte mit der Zollverwaltung in einem EU-Staat abzuwickeln, selbst wenn sie Waren über verschiedene Mitgliedstaaten einführen. 2035 will die Kommission überprüfen, ob diese Option auf alle Händler ausgeweitet werden kann.

EP-Ausschussvorsitzende begrüßt den Vorschlag
Der Gesetzesvorschlag wird nun dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten vorgelegt, die darüber entscheiden. Anna Cavazzini (Grüne), Vorsitzende des EP-Binnenmarktausschusses, begrüßte den Ansatz, mehr Daten auszutauschen. „Derzeit ist das europäische Zollsystem ein Flickenteppich, das sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat stark unterscheidet“, sagte sie. „Die EU setzt ehrgeizige Umwelt-, Sozial- und Digitalstandards, die für alle Unternehmen gelten, egal ob sie innerhalb des Binnenmarkts agieren oder in Drittstaaten. Daher muss sichergestellt werden, dass die Standards auch bei Produkten aus Drittstaaten eingehalten werden“.

Quelle:
DVZ

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