HHLA/MSC-Deal: Experten reden Politikern ins Gewissen

Die Meinungen der Fachleute zum geplanten Einstieg der Reederei MSC bei der HHLA gehen auseinander. Während ein Analyst davon überzeugt ist, dass die Vorteile überwiegen, kritisieren andere den aus ihrer Sicht viel zu geringen Kaufpreis und befürchten monopolistische Strukturen beim Hafenumschlag in Hamburg und im Hinterlandverkehr.

„Der Hafen ist für Hamburg kritische Infrastruktur. Daher bedürfen alle Entscheidungen, die den Hafen betreffen, einer besonders sensiblen Abschätzung der langfristigen Folgen“, eröffnete Joachim Seeler, ehemaliger Fachsprecher der SPD für den Hafen und Unternehmer, sein Statement als geladener Experte im gemeinsamen Ausschuss für Wirtschaft und dem für öffentliche Unternehmen der Hamburgischen Bürgerschaft. Am Mittwochnachmittag diskutieren die Abgeordneten mit sechs weiteren Fachleuten mehrere Stunden die möglichen Folgen, Chancen, Risiken und Fehler des geplanten Einstieges von MSC bei der HHLA.

Einigkeit bestand unter den Hafenexperten darin, dass Beteiligungen von Carriern im Hamburger Hafen wichtig seien, um die Wettbewerbsfähigkeit sowohl innerhalb des Hafens als auch international zu stärken. In früheren Diskussionen „bestand immer Konsens darüber, dass eine Reedereibeteiligung auf Terminalebene eine gute Sache ist“, führte Seeler in seinem Vortrag weiter aus und mahnte im gleichen Atemzug, dass MSC mit dem geplanten Vorhaben nun auf höchster Steuerungsebene über alle Terminals und das Hinterlandgeschäft beteiligt werde. Aktienrechtlich behalte die Stadt zwar formal die Mehrheit an der HHLA, aber „MSC bekommt eine starke mitbestimmende Funktion“.

Er bezweifelt, dass sich durch die Beteiligung der Reederei die eigentlichen Probleme wie der Investitionsstau in die Infrastruktur sowie die Wettbewerbsnachteile des Hafens – die Auslegung der Tonnagesteuer und das Modell der Einfuhrumsatzsteuer – lösen ließen. Zudem entstehe dadurch nicht der gewünschte Wettbewerb, sondern das Gegenteil. Denn auf der Angebotsseite würde ein Monopol geschaffen. Er hätte eine Beteiligung am Containerterminal Burchardkai für zielführender gehalten, um mehr Wettbewerb zu erzeugen.

„Börsenpreis ist schlechte Bewertungsgrundlage für Stadt“
Seeler kritisierte zudem den in seinen Augen viel zu geringen Kaufpreis, den MSC für die Übernahme von bis zu 49,9 Prozent der HHLA-Aktien zahlt. Die Schweizer Reederei hat in ihrem Übernahmeangebot ein Preis je Aktie von 16,75 Euro zugesagt. Das entspricht etwa 5 Euro mehr pro Anteilsschein als der Wert an der Börse zum Stichtag Mitte September 2023. Demnach zahlt MSC für 49,9 Prozent der Aktien rund 606 Millionen Euro. Davon erhält die Stadt Hamburg rund 233 Millionen Euro für die rund 19 Prozent, die sie an MSC abgibt.

„Der Börsenpreis der HHLA ist für die Stadt Hamburg eine denkbar schlechte Ausgangslage zur Bewertung des Unternehmens“, kritisierte Seeler und mahnte an, dass es kein Verkehrswertgutachten gegeben habe, das genaue Kriterien zur Bewertung von Unternehmen enthalte. Idealerweise hätte der Senat vor Gesprächen mit jeglichem potenziellen Partner ein sogenanntes IDW S1-Gutachten anfertigen lassen müssen, um den eigentlichen Wert der HHLA zu kennen.

Seeler rechnete den Ausschussmitgliedern vor, dass der eigentliche Wert der HHLA anhand der bisherigen und prognostizierten Geschäftszahlen deutlich höher liege. Basierend auf den Geschäftszahlen von 2022 liege die Marktkapitalisierung ihm zufolge bei rund 2,8 Milliarden Euro, für das vergangene Jahr bei 1,2 Milliarden Euro und bei der prognostizierten Entwicklung für 2025 sogar bei 5,2 Milliarden Euro. Seeler zufolge sei es üblich, den Durchschnitt aus mehreren Geschäftsjahren als Bewertungsgrundlage zu wählen. Die Wirtschaftsbehörde erklärte auf Nachfrage der DVZ, dass es sehr wohl eine Bewertung der beratenden Investmentbank Rothschild gegeben habe. Diese kommt zu dem Schluss, dass MSCs Offerte angemessen sei. Es handelt sich dabei nicht explizit um ein von Seeler genanntes IDW S1-Gutachten, allerdings sei dies der Wirtschaftsbehörde zufolge in solchen Kapitalmarkttransaktionen auch nicht üblich. Die Bewertung eines börsennotierten Unternehmens orientiere sich demnach eher am Kurs der Aktien und werde „durch den Markt bestimmt“. Der Sprecher der Wirtschaftsbehörde verwies zudem auf eine weitere Prüfung der Citibank im Auftrag der HHLA, die den angebotenen Kaufpreis ebenfalls für angemessen hält.

Auch Gunther Bonz, in seiner Funktion als Präsident des europäischen Verbands der privaten Terminalbetreiber (Feport), kritisierte den viel zu geringen Verkaufspreis. Zusätzlich bemängelt er fehlende Daten zum kombinierten Marktanteil der HHLA-Bahntochter Metrans und dem Äquivalent von MSC, Medlog. Er sieht die Gefahr, dass beide Unternehmen in einigen Märkten die Schwelle von 30 Prozent Marktanteil überschreiten könnten, und mahnte, dass Wettbewerber und die EU-Kommission diesen Aspekt genau prüfen würden, um eine marktbeherrschende Stellung in dem Segment zu verhindern. Würden die HHLA und MSC die Preise für den Schienentransport durch eine mögliche vorherrschende Stellung zu sehr erhöhen, drohe ein erheblicher Mengenverlust für den Standort Hamburg.

Bonz hätte sich statt der aus seiner Sicht sehr untypischen Beteiligung eines Carriers auf Holdingebene eines Terminalbetreibers eine Wettbewerbsanalyse für den Hamburger Hafen gewünscht, die die Gründe für den Verlust von Markteinteilen offengelegt hätte. Mit diesem Ergebnis hätten sich zielgerichtet Maßnahmen ableiten lassen, um den Hafen wieder auf Wachstumskurs zu bringen, sagte der ehemalige Manager von Eurogate und Staatsrat in der Hamburger Wirtschaftsbehörde.

„Die Vorteile überwiegen“
Tim Power, Chef des auf maritime Themen spezialisierten Beratungsunternehmens Drewry aus London, präsentierte den Abgeordneten der beiden Ausschüsse seine Marktperspektive auf den Deal. Zunächst verdeutlichte er, dass Hamburg zwischen 1998 und 2023 im Vergleich zu anderen Nordrange-Häfen unterdurchschnittlich gewachsen sei, nämlich um lediglich 3,1 Prozent. Das durchschnittliche jährliche Wachstum von Antwerpen-Brügge hat seinen Daten zufolge in dem Zeitraum bei 4,6 Prozent gelegen. Die durchschnittliche Wachstumsrate in der Hamburg-Le Havre-Range liegt Power zufolge bei 3,7 Prozent. Folglich hat Hamburgs Marktanteil in Nordeuropa von 21 Prozent im Jahr 1998 auf heute 18 Prozent abgenommen. Der Marktanteil des belgischen Hafens ist in dem Zeitraum am stärksten gestiegen, von einst 24 auf heute 30 Prozent. Rotterdam liegt den Drewry-Daten zufolge aktuell bei 31 Prozent.

Power führt das maßgeblich auf den Einstieg eben jener Reederei MSC im Hafen von Antwerpen zurück, der 2005 begann. Heute beherrscht die Reederei fast 50 Prozent der Kapazität im belgischen Hafen. Aus diesem Grund ist Analyst Power überzeugt, dass der Einstieg von MSC auch Wachstum für den Standort Hamburg bedeute und gut für die Stadt sei.

Das Risiko, dass andere Carrier Hamburg in Zukunft nicht mehr ansteuern, sieht er nicht. Als Beispiel nannte der den Hafen von Piräus, der vom chinesischen Staatskonzern Cosco betrieben wird und dennoch von anderen Reedereien außerhalb der Ocean-Alliance – zu der Cosco zählt – angesteuert werde. Powers Fazit zum bevorstehenden Einstieg von MSC bei der HHLA: „Die Vorteile überwiegen.“

Bemerkenswert an der Expertenanhörung war, dass die von den Bürgerschaftsparteien nominierten Experten im Vorfeld keinen vollumfänglichen Einblick in die Vertragsunterlagen hatten. Damit hätten sie sich keinen umfassenden Blick über die Details machen können, kritisiere Norbert Hackbusch von den Linken gleich zu Beginn der Sitzung. Die sei eine bewusste Entscheidung, erklärte ein Sprecher der Wirtschaftsbehörde gegenüber der DVZ, da in den Vertragsunterlagen Geschäftsgeheimnisse enthalten seien, die nicht an weitere Personen herausgegeben werden sollten. Die Abgeordneten des Hamburger Landesparlamentes können einen Teil der Unterlagen in einem extra gesicherten Datenraum einsehen, wobei einige Informationen auch für sie geschwärzt sind.

Die Abgeordneten des Hamburger Landesparlaments müssen über den von der Regierung beabsichtigten Deal abstimmen, womit vor der parlamentarischen Sommerpause in diesem Jahr gerechnet wird. Angesichts der rot-grünen Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft ist davon auszugehen, dass das Vorhaben im Parlament eine Zustimmung erhält.

Quelle:
DVZ

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